Göttliche Ordnung? – 28. Sonntag im Jahreskreis C

Aus dem Evangelium nach Lukas, Kapitel 17
11 Es geschah auf dem Weg nach Jerusalem: Jesus zog durch das Grenzgebiet von Samarien und Galiläa.
12 Als er in ein Dorf hineingehen wollte, kamen ihm zehn Aussätzige entgegen. Sie blieben in der Ferne stehen
13 und riefen: Jesus, Meister, hab Erbarmen mit uns!
14 Als er sie sah, sagte er zu ihnen: Geht, zeigt euch den Priestern! Und es geschah: Während sie hingingen, wurden sie rein.
15 Einer von ihnen aber kehrte um, als er sah, dass er geheilt war; und er lobte Gott mit lauter Stimme.
16 Er warf sich vor den Füßen Jesu auf das Angesicht und dankte ihm. Dieser Mann war ein Samariter.
17 Da sagte Jesus: Sind nicht zehn rein geworden? Wo sind die neun?
18 Ist denn keiner umgekehrt, um Gott zu ehren, außer diesem Fremden?
19 Und er sagte zu ihm: Steh auf und geh! Dein Glaube hat dich gerettet.

Autorin:
Elisabeth Schmitter Elisabeth Schmitter, Pastoralreferentin a.D. der Diözese Rottenburg-Stuttgart, spricht in Verkündigungssendungen des SWR

 
Die Predigt:
Göttliche Ordnung?

Liebe Brüder und Schwestern, liebe Leserin, lieber Leser,
es ist nicht nur ein Thema, das uns im Evangelium an diesem Sonntag angeboten wird. Es ist gleich ein ganzes Bündel.

Aber ein Thema springt sofort ins Auge, und dieses Thema wird auch entfaltet: Es geht um: Dankbarkeit. Es geht darum, wie Menschen, die etwas Wichtiges bekommen, sich verhalten. Haken sie es einfach ab und gehen weiter wie vorher, so nach dem Motto „na also“? Oder verändert sich etwas in ihnen? Neunzig Prozent, so erzählt Lukas, gehen einfach ihrer Wege, wie wenn nichts geschehen wäre. Und gerade mal einer von zehn macht es anders – und der ist auch noch ein Fremder, einer, der gar nicht richtig glaubt, einer, auf den fromme Leute herabschauen. Aber gerade er ist es, der die Fähigkeit hat zu danken. Das ist das Thema, das in dieser Heilungsgeschichte quasi obenauf liegt und ins Auge springt. Aber es gibt noch mehr Schichten, deshalb lohnt es sich, genauer hinzuschauen.

Die Kranken, von denen berichtet wird, haben keine gewöhnliche Krankheit. Sie haben eine der schrecklichsten und deshalb auch gefürchtetsten Krankheiten, die damals bekannt waren. Wer Aussatz hat, ist nicht einfach krank. Die Gesunden haben Angst, sie könnten angesteckt werden, denn dass die Krankheit im Kontakt von Mensch zu Mensch weitergegeben wird, das wusste man bereits. Heilen konnte man sie jedoch noch nicht. Deshalb tat man, was man bis heute tut, wenn eine ansteckende Krankheit auftritt, gegen die man kein – oder noch kein – Heilmittel kennt: Man isoliert die Kranken und verbietet ihnen, den Gesunden nahe zu kommen. Damit hofft man, sich die Krankheit vom Leib zu halten, und in der Regel gelingt das auch. Aber es gibt auch eine Kehrseite: Die Kranken werden nicht nur medizinisch isoliert, sondern auch sozial. Diesen tragischen Zusammenhang haben wir ja auch in der Anfangszeit der Corona-Pandemie erlebt: Die Kranken, die teilweise um ihr Leben kämpften, durften nicht besucht werden. Viele mussten einsam sterben – eine große Belastung, für die Sterbenden, und ebenso für die Angehörigen, die in ihrer Trauer auch noch das Gefühl haben, etwas schuldig geblieben zu sein.

Die Menschen, die der Evangelist Lukas als Aussätzige bezeichnet, mögen manches ähnlich erlebt haben. Aber es gibt etwas, das ihre Situation noch schlimmer macht, viel schlimmer. Zu allem Überfluss kommt zu der sozialen Isolation nämlich auch noch die religiöse. Denn Menschen, die an Lepra erkrankt waren, galten auch als kultisch unrein, wer sie berührt hat, wurde auch selbst unrein, und alles, was die Kranken berührt hatten, durften die Gesunden nicht mehr anfassen. Kranke wurden so zu „Aussätzigen“, zu Ausgesetzten, Ausgegrenzten. Die einzigen, mit denen sie Kontakt haben durften, waren ihre Leidensgenossen. Deshalb wundert es auch nicht, dass es eine größere Gruppe von leprakranken Männern ist, die Jesus entgegen kommt. Sie halten Abstand, genau, wie es sein soll. Aber sie rufen. So laut sie nur können rufen sie Jesus um Hilfe an.

Und wie reagiert Jesus? Er sagt zu den Kranken, den Ausgestoßenen, den von ihrer Krankheit Entstellten: Zeigt euch! Zeigt euch den Priestern, zeigt euch denen, die darauf bestehen, dass ihr unrein seid und euch verstecken müsst! Zeigt euch – das heißt doch auch: Ihr könnt euch sehen lassen, ihr müsst euch nicht weiter verstecken, damit den anderen der irritierende Anblick erspart bleibt. Und die Kranken tun tatsächlich, was er ihnen sagt. Sie trauen sich, aus der Unsichtbarkeit herauszutreten, aus der gesellschaftlichen Ächtung. Und da geschieht auch das Wunder der Heilung. Wie zur Bestätigung, dass sie auch wirklich sie selbst sein dürfen und zu sich selbst stehen dürfen, fällt auch die körperliche Krankheit von ihnen ab.

Sich zeigen dürfen und bedingungslos akzeptiert werden, das ist ein Urbedürfnis der Menschen. Aller Menschen, unabhängig davon, wie schön, wie gesund, wie angesehen, wie leistungsfähig sie sind. Jesus sagt: Zeigt euch! Denn vor Gott habt ihr immer Ansehen.

Jesus sagt das zehn aussätzigen Männern, damals. Und er sagt es bis heute. Er sagt es allen, die wie die Aussätzigen zu seiner Zeit „aussätzig“ sind. Aussätzig, das heißt: ausgesetzt, an den Rand gedrängt, versteckt, klein gemacht, entwertet, gedemütigt – im Namen einer Ordnung, die als „göttliche Ordnung“ gilt, und die oft doch nur die irdischen Verhältnisse abbildet.

Im Lauf der Jahrhunderte waren es unterschiedliche Gruppen, die im Namen der „göttlichen Ordnung“ ausgegrenzt wurden: sogenannte Irrgläubige, Juden, Menschen mit psychischer Erkrankung. Heute liegt der Blick besonders auf Menschen, deren sexuelle Orientierung angeblich schöpfungswidrig ist – und: auf Frauen. Auf Frauen, die scheinbar nicht taugen, um das Evangelium zu verkünden und mit den Gemeinden die Heilszeichen Jesu Christi zu feiern. Auch sie hören heute das Wort Jesu: „Zeigt euch! Ihr alle, die ihr nicht gut genug, nicht gläubig genug, nicht wichtig genug scheint: Zeigt euch – ihr dürft euch zeigen! Denn vor Gott habt ihr Ansehen, deshalb gibt es keinen Grund, euch weiter zu verstecken!“

Die Botschaft Jesu. Kürzer und schöner als in der Geschichte von den Aussätzigen lässt sie sich kaum zusammenfassen. Amen.

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