Sichtwechsel – 27. Sonntag im Jahreskreis C

Aus dem Evangelium nach Lukas, Kapitel 17
Übersetzung: Bibel in gerechter Sprache
In jener Zeit
5 sprachen die Apostel und Apostelinnen zum Gebieter: »Stärke uns den Glauben!«
6 Er aber sprach mit großer Autorität: »Wenn ihr Glauben hättet wie ein Senfkörnchen, dann würdet ihr zu diesem Maulbeerbaum sagen: ›Entwurzle dich und pflanze dich im Meer wieder ein‹ – und er würde euch gehorchen.
7 Wer aber von euch hat Sklavinnen und Sklaven auf dem Acker oder auf der Weide und würde zu ihnen sagen, wenn sie von draußen hereinkommen: ›Kommt gleich zu Tisch!‹
8 Würdest du nicht eher zu ihnen sagen: ›Bereitet mir etwas zu essen, legt euch eine Schürze um und dient mir, bis ich gegessen und getrunken habe. Danach sollt ihr essen und trinken.‹
9 Bist du etwa den Sklavinnen und Sklaven dankbar dafür, dass sie getan haben, was befohlen worden war?
10 So soll es auch bei euch sein: Wenn ihr alles getan habt, was euch befohlen wurde, so sagt: ›Wir sind nur unnütze Sklavinnen und Sklaven, wir haben getan, was wir zu tun schuldig waren.‹«

Autorin:
Passfoto A.R.Angela Repka, Literaturübersetzerin in Offenbach, ausgebildete Diakonin in ehrenamtlicher Tätigkeit

 
Die Predigt:
Sichtwechsel

Liebe Leserin, lieber Leser,
Jesus ist mit den Seinen unterwegs nach Jerusalem und nimmt die Gelegenheit wahr, ihnen noch das eine oder andere zu sagen, was ihm am Herzen liegt. Das heutige Evangelium setzt mit der Bitte an den Meister ein: Stärke uns den Glauben! Doch was war der Auslöser für diese Bitte? Unmittelbar davor hat Jesus von seinen Jüngerinnen und Jüngern fast grenzenlose Vergebungsbereitschaft verlangt, wovon sie sich offenbar überfordert fühlten, was auch heute noch gut nachvollziehbar ist. Sie sollten der Schwester oder dem Bruder nach einer Ermahnung alle Verfehlungen vergeben, und zwar dann, wenn diese umkehrbereit waren – sogar siebenmal am Tag, also praktisch immer. Ist das nicht zu viel? Ja, das ist auf jeden Fall zu viel, wenn man Vergebung als messbare Leistung betrachtet. Kein Wunder, dass die Jünger und Jüngerinnen Jesus spontan um Hilfe bitten.

Aus der Perspektive des Gebotes der Thora Liebe deine/n Nächste/n wie dich selbst sieht es allerdings anders aus. Denn wer ist schon ohne Fehler und Sünden, die er/sie sich nicht immer wieder zumindest selbst verzeihen müsste, um im Vertrauen auf die Liebe Gottes und die Nachsicht oder Vergebung von Mitmenschen neu anfangen zu können? Genau dies muss nach dem Liebesgebot auch den anderen zugestanden werden, denn der/die Nächste ist ja wie du selbst. Vielleicht komme ich, kommen sie ja eines Tages aus ihrem Versagen und ihren Verstrickungen heraus. Es kann sich also nicht nur um eine Endlosschleife von Wiederholungen handeln, bei der die Häufigkeit zählt; vielmehr geht es um einen lebenslangen Prozess, der uns und anderen Entwicklung und neue Zukunftsperspektiven ermöglicht. Vergebung gehört zur Nächstenliebe, ohne die Gottesliebe spätestens seit Jesus nicht mehr denkbar ist.

Jesus greift in seiner Antwort auf die Bitte um ein Mehr an Glauben, den Leistungsgedanken auf und erteilt ihm auf fast ironische Weise eine Absage. Ein Glaube, winzig klein wie ein Senfkorn, würde reichen, um Spektakuläres wie die selbsttätige Verpflanzung eines riesigen Maulbeerbaums ins Meer zu bewirken. Doch wem wäre damit gedient? Die Leute würden gewiss staunen, uns sogar bewundern, ein Riesenhype bräche los und könnte uns stolz und eitel machen. Seht her, was ich fertiggebracht habe! Wer hat einen größeren Glauben? Unter den Jüngerinnen und Jüngern gab es zuweilen solche Gespräche, die Zwietracht gesät haben, so dass der Meister sie in die Schranken weisen musste.

Die Gefahr des Konkurrenzdenkens, der Selbstüberschätzung oder gar Selbstüberhebung, letztlich auch der Selbstüberforderung ist groß, damals wie heute. Man lässt sich seinen Einsatz und fromme Leistungen von den weniger Leistungsfähigen oder -bereiten in kleiner Münze zurückzahlen – und diese spüren das. Im Grunde geht es da schon auf mehr oder weniger subtile Weise um geistlichen Missbrauch, für den wir heute sensibler geworden sind.

Paulus drückt die Problematik in seinem Hymnus über die Liebe so aus: … wenn ich alle Glaubenskraft besäße und Berge damit versetzen könnte, hätte aber die Liebe nicht, wäre ich nichts. (1 Kor 13,2b) Das Entscheidende ist also die Liebe, die konkrete, tatkräftige, demütige, uneigennützige, opferbereite Liebe, die den Schmerz, ja sogar den Tod nicht scheut, weil sie das Gute will. Sie ist die Macht, die uns zutiefst mit Gott, den Menschen und der Schöpfung verbindet.

Jesus erzählt dann die Geschichte vom Bauern, der einen Sklaven besitzt und diesem nach schwerer Arbeit auf dem Feld und mit dem Vieh befiehlt, ihm ein Abendessen zu bereiten und ihn zu bedienen. Erst danach darf der Sklave selbst etwas essen. Ein ausbeuterisches Herrschaftsverhältnis wird hier geschildert. Jesus beschreibt es als das Normalste von der Welt, was es in der Antike auch war. Es ist das Übliche, nichts Besonderes, und auch die Zuhörenden üben keinerlei Kritik. Ihr zustimmendes Nicken ist förmlich zu spüren. Und Jesus legt es durchaus darauf an – bis zu dem Moment, als er die Zuhörenden plötzlich auffordert, sich mit dem Sklaven, der auf der untersten Stufe der Gesellschaft steht, zu identifizieren.

Ohne Anspruch auf Dank oder sonst etwas tut der Sklave, was ihm aufgetragen wird, und genau darin soll er ihnen Vorbild sein. Sogar als unnütz sollen sie sich bezeichnen – eine Zumutung. Aber Jesus geht nicht um die Unterwerfung unter ausbeuterische weltliche Herren und das unhinterfragte Akzeptieren von ungerechten Verhältnissen, die er selbst oft genug angeprangert hat. Jetzt geht es für die Menschen in der Nachfolge Jesu um ihre Berufung, am Reich Gottes mitzubauen, um die Kooperation mit Gott zum Wohl der Menschheit und der Schöpfung, die bereits allen Lohn in sich enthält. Natürlich sind Wertschätzung, Dank und Anerkennung menschlich wichtig und wertvoll, aber die dienende Haltung befreit davon, danach zu gieren. Sie schenkt Gelassenheit und lässt uns besser damit zurechtkommen, wenn der Dank einmal ausbleibt.

Indem Jesus zur Identifizierung mit den Versklavten auffordert, leitet er einen radikalen Sichtwechsel ein. Auch er selbst versteht ja seine Mission in diesem Sinn: Der Mensch ist nicht gekommen, um sich bedienen zu lassen, sondern um zu dienen und das eigene Leben als Lösegeld für alle zu geben. (Mk 10,45 s.Bibel in gerechter Sprache) Diese bedingungslose Dienstbereitschaft fordert er auch von den Seinen, allerdings nicht unter versklavendem Zwang, sondern aus freien Stücken – letztendlich aus Liebe zu Gott und den Menschen, einer Liebe, die sich nicht selbst genügt, die schmerzhaft an Grenzen stoßen kann, vor allem an die eigenen, die demütig ist und nicht aufgibt, die über sich hinaus strebt und Ewigkeit will.

Wie hoch auch nur eine einzige Tat der Liebe zu schätzen ist, zeigt ein Gedanke des französischen Philosophen und Mathematikers Blaise Pascal (1623-1662), den ich hier abschließend zitiere: „Der Kosmos mag unendlich viel größer sein als der Mensch, aber ein einziger Akt der Liebe ist mehr wert als die ganze Masse des Universums.“

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