An Gottes Wende-Macht glauben – 4. Sonntag im Jahreskreis C

Zweite Lesung aus dem ersten Brief des Apostels Paulus an die Gemeinde in Korinth, Kapitel 12 und 13
Schwestern und Brüder!
12,31 Strebt nach den höheren Gnadengaben! Ich zeige euch einen überragenden Weg:
13,1 Wenn ich in den Sprachen der Menschen und Engel redete, hätte aber die Liebe nicht, wäre ich dröhnendes Erz oder eine lärmende Pauke.
2 Und wenn ich prophetisch reden könnte und alle Geheimnisse wüsste und alle Erkenntnis hätte; wenn ich alle Glaubenskraft besäße und Berge damit versetzen könnte, hätte aber die Liebe nicht, wäre ich nichts.
3 Und wenn ich meine ganze Habe verschenkte, und wenn ich meinen Leib opferte, um mich zu rühmen, hätte aber die Liebe nicht, nützte es mir nichts.
4 Die Liebe ist langmütig, die Liebe ist gütig. Sie ereifert sich nicht, sie prahlt nicht, sie bläht sich nicht auf.
5 Sie handelt nicht ungehörig, sucht nicht ihren Vorteil, lässt sich nicht zum Zorn reizen, trägt das Böse nicht nach.
6 Sie freut sich nicht über das Unrecht, sondern freut sich an der Wahrheit.
7 Sie erträgt alles, glaubt alles, hofft alles, hält allem stand.
8 Die Liebe hört niemals auf. Prophetisches Reden hat ein Ende, Zungenrede verstummt, Erkenntnis vergeht.
9 Denn Stückwerk ist unser Erkennen, Stückwerk unser prophetisches Reden;
10 wenn aber das Vollendete kommt, vergeht alles Stückwerk.
11 Als ich ein Kind war, redete ich wie ein Kind, dachte wie ein Kind und urteilte wie ein Kind. Als ich ein Mann wurde, legte ich ab, was Kind an mir war.
12 Jetzt schauen wir in einen Spiegel und sehen nur rätselhafte Umrisse, dann aber schauen wir von Angesicht zu Angesicht. Jetzt ist mein Erkennen Stückwerk, dann aber werde ich durch und durch erkennen, so wie ich auch durch und durch erkannt worden bin.
13 Für jetzt bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; doch am größten unter ihnen ist die Liebe.

Aus dem Evangelium nach Lukas, Kapitel 4
In jener Zeit
21 begann Jesus in der Synagoge in Nazaret darzulegen: Heute hat sich das Schriftwort, das ihr eben gehört habt, erfüllt.
22 Alle stimmten ihm zu; sie staunten über die Worte der Gnade, die aus seinem Mund hervorgingen, und sagten: Ist das nicht Josefs Sohn?
23 Da entgegnete er ihnen: Sicher werdet ihr mir das Sprichwort vorhalten: Arzt, heile dich selbst! Wenn du in Kafarnaum so große Dinge getan hast, wie wir gehört haben, dann tu sie auch hier in deiner Heimat!
24 Und er setzte hinzu: Amen, ich sage euch: Kein Prophet wird in seiner Heimat anerkannt.
25 Wahrhaftig, das sage ich euch: In Israel gab es viele Witwen in den Tagen des Elija, als der Himmel für drei Jahre und sechs Monate verschlossen war und eine große Hungersnot über das ganze Land kam.
26 Aber zu keiner von ihnen wurde Elija gesandt, nur zu einer Witwe in Sarepta bei Sidon.
27 Und viele Aussätzige gab es in Israel zur Zeit des Propheten Elischa. Aber keiner von ihnen wurde geheilt, nur der Syrer Naaman.
28 Als die Leute in der Synagoge das hörten, gerieten sie alle in Wut.
29 Sie sprangen auf und trieben Jesus zur Stadt hinaus; sie brachten ihn an den Abhang des Berges, auf dem ihre Stadt erbaut war, und wollten ihn hinabstürzen.
30 Er aber schritt mitten durch sie hindurch und ging weg.

Autorin:
Utta-Hahn-2-150x150Utta Hahn, Gemeindereferentin, Dekanatsreferentin in Schwäbisch-Hall

 
Die Predigt:
An Gottes Wende-Macht glauben

Liebe Leserin, lieber Leser,
dieses Evangelium hat eine verstörende Seite. Es passt ganz gut in die Gemengelage unserer Tage. Lukas hat es ganz an den Anfang des öffentlichen Wirkens Jesu gesetzt und schon immer frage ich mich, warum erzählt er das am Anfang? Und was bewegt die Leute, dann doch innezuhalten, wo sie doch schon draußen vor der Stadt am Abgrund stehen und Jesus bis dahin vor sich hergeschoben und –gezerrt haben?

Kaum vorstellbar, dass Jesus plötzlich, wie ein Superheld, stark und strahlend, unnahbar wird und dann durch die Menge davongehen konnte. Doch Lukas erzählt genau dieses Detail nicht und es ist für mich eine Frage, die ausgehalten werden muss.

Das Verstörende aushalten.

Es gibt kaum eine bessere Brücke zu all dem, was in Kirche und Gesellschaft in diesen Tagen in der Öffentlichkeit zur Sprache kommt.

Dazu gehören die Inhalte des Gutachtens in der Diözese München-Freising, dazu gehören die vielen verschiedenen Reaktionen von Bischöfen, Priestern und von Nicht-Klerikern innerhalb und außerhalb der Kirche,
dazu gehören auch die sehr persönlichen Zeugnisse von Menschen, die aufgrund ihrer Lebensweise und ihres Menschseins von der Kirche diskriminiert werden, und die das auch öffentlich gemacht haben.

Zugehörigkeit und Ausgrenzung könnten das Thema sein, andere würden vielleicht sagen, es ginge um Wahrheit und Irrtum, oder um Ordnung und Chaos.

Es ist nicht eindeutig und es gibt wahrscheinlich wie in den allermeisten wirklich wichtigen Fragen eine Mischung aus Fakten, Gefühlen und Haltungen. Und genau darum möchte ich dem nachspüren.

Wer sind wohl die, die Jesus in der Synagoge zugehört haben?
Ich vermute – Männer.
Ich vermute – die wichtigen Männer der Gemeinde, der religiösen und der politischen Gemeinde.
Ich vermute – jene, die verantwortlich waren, dass die Ordnung funktioniert, dass Traditionen weitergegeben werden und dass es mit der Obrigkeit, der römischen Besatzung keine Probleme gibt.
Ich vermute – die Ältesten, die alle kannten, die sich verdient gemacht hatten und die hohes Ansehen genossen.
Ich vermute – wenige Frauen und wenn, dann nur versteckt im Hintergrund, denn Frauen zählten nicht zur Gültigkeit eines Gottesdienstes.
Alle anderen zählten gar nicht.

Und was passiert dort in der Synagoge?

    Lukas schreibt dazu im vorangehenden Abschnitt:
    14Jesus kehrte, erfüllt von der Kraft des Geistes, nach Galiläa zurück. Und die Kunde von ihm verbreitete sich in der ganzen Gegend.
    15 Er lehrte in den Synagogen und wurde von allen gepriesen.
    16 So kam er auch nach Nazaret, wo er aufgewachsen war, und ging, wie gewohnt, am Sabbat in die Synagoge. Als er aufstand, um vorzulesen,
    17 reichte man ihm die Buchrolle des Propheten Jesaja.
    20 Dann schloss er die Buchrolle, gab sie dem Synagogendiener und setzte sich. Die Augen aller in der Synagoge waren auf ihn gerichtet.
    21 Da begann er, ihnen darzulegen: Heute hat sich das Schriftwort, das ihr eben gehört habt, erfüllt.

Jesus kam aus der Wüste, er kam aus der intensiven Gottesbegegnung. Ein Ruf eilte ihm voraus. Die Leute waren ergriffen und begeistert und die, die ihm hier in Nazaret zuhörten, waren voller Erwartung.

Sie staunen über seine Worte und stellen die Tatsache daneben: ist das nicht der Sohn Josefs?– und als Jesus das aufgreift und darlegt, dass ihre Erwartungen nichts mit Offenheit für Neues, mit Vertrauen in die unbegreifbaren Wege Gottes und mit echtem Glauben zu tun haben – Zack – macht sich Abneigung und Hass breit und mobilisiert die Anwesenden so sehr, dass sie tatgreiflich werden und Jesus zur Stadt hinaustreiben, um ihn den Abhang hinunterzustürzen.

Ihre Erwartungen wurden offensichtlich nicht erfüllt. Sie wollten das nicht hören, was Jesus sagte… Seine Botschaft, sein Auftreten und sein Tun passte nicht zum Bild, das sie sich schon gemacht hatten, was für sie in den Rahmen und die Ordnung passte.

Um die Ordnung zu wahren, glaubten sie, dass sie Jesus ausgrenzen mussten.

Vielleicht waren sie auch persönlich verletzt oder fühlten sich und die heilige Ordnung angegriffen, so dass sie das Gefühl hatte, alles tun zu müssen, um das wieder „gut zu machen“, um die Ordnung zu erhalten oder wiederherzustellen, egal zu welchem Preis.

Vielleicht konnten sie sich wirklich nicht vorstellen, dass Gott modern ist, im Sinne von „Wege geht, die es bisher nicht gab“, das eine Botschaft, die auf Veränderung hinarbeitet, richtig sein kann, dass es eine andere als die bekannte Deutungsmöglichkeit der alten Schriften gibt.

    Jesus las ja eine Stelle aus dem Propheten Jesaja vor:
    18 Der Geist des Herrn ruht auf mir; / denn er hat mich gesalbt.
    Er hat mich gesandt, / damit ich den Armen eine frohe Botschaft bringe;
    damit ich den Gefangenen die Entlassung verkünde / und den Blinden das Augenlicht;
    damit ich die Zerschlagenen in Freiheit setze
    19 und ein Gnadenjahr des Herrn ausrufe.

Das ist die Tradition, auf die sich Jesus beruft. Auf die schon immer geltende Zuwendung Gottes zu allen Menschen und besonders zu jenen, die in der gängigen Ordnung benachteiligt werden. Gott gibt keine Ruhe, bis dass nicht all dies Wirklichkeit wird, dass Gleichheit und Würde, dass Gerechtigkeit und Heil für alle Menschen erlebbar und anerkannt und lebbar wird.

Die Ältesten zur Zeit Jesu hatten die Heiligen Schriften und ihre theologische und religiöse Tradition – sie hatten vergessen, woran Jesus sie hier erinnert.

Geht es den Ältesten und den Mächtigen in unserer Kirche heute nicht genauso? Sie haben vergessen und eine Tradition aufgebaut, die diese Botschaft vergessen hat. Es geht nicht um die Tradition, es geht um Gleichheit und Würde, um Gerechtigkeit und Heil für alle Menschen – um Befreiung – es geht nicht um innen und außen, um Ordnung oder Chaos.

Jesus zeigt mir heute, dass es um jeden einzelnen Menschen geht. Es geht um mich, um meine Haltung, um meine Offenheit, um meine Kraft und das Vertrauen in den Heiligen Geist.

Eigentlich ist es nicht so wichtig genau zu definieren, warum die Menge, warum die Männer damals Jesus nicht den Hang hinunterstürzten. Sie taten es nicht und Jesus konnte weggehen und sein Wirken fortsetzen, seine Botschaft der Befreiung, der Liebe Gottes weiterverkünden und jedem einzelnen Menschen die große uneingeschränkte Bejahung Gottes zusagen.

Ich bin Lukas sehr dankbar, dass die Geschichte, die wir heute im Evangelium lesen, sich am Ende gedreht hat und Jesus weggehen konnte. Es wird für mich eine Hoffnungsgeschichte, dass es sich immer und auch heute lohnt, wie Jesus und mit ihm zusammen die Frohe Botschaft zu verkünden und an Gottes Wende-Macht, Geisteskraft und Liebe zu glauben.

Ich wünsche mir, dass dies der Eckstein für die Kirche sei. Dass alles was an Regelwerk, an Ordnung und an Recht die Kirche zusammenhält sich an dieser Botschaft messen lässt. Dann wäre Jesus wirklich unsere Kernbotschaft – dann wären wir doch nahe bei Paulus, der in der Lesung auf Glaube, Liebe Hoffnung verweist.

Und jene, die Verantwortung haben, Fehler gemacht haben, Angst in sich spüren – sie sind ebenso zu diesem Glauben eingeladen, sich befreien zu lassen zur Liebe, sich verletztbar zu machen, mutig neue Schritte zu wagen, Althergebrachtes neu zu prüfen, Entscheidungen neu zu treffen, Verantwortung zu übernehmen.

Und jene, die unter der Tradition, der Steifheit, dem Machtmissbrauch leiden – ihnen gilt die Botschaft, dass Gott die Zerschlagenen in Freiheit setzen will, dass Jesus angetreten ist, um die sogenannte Ordnung auf den Kopf zu stellen und „in Gnadenjahr des Herrn auszurufen.

Bleiben wir kraftvoll und laut. Amen.

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