Als Jesus vorüberging – 2. Sonntag im Jahreskreis B

Erste Lesung aus dem 1. Buch Samuel, Kapitel 3
3 Samuel schlief im Tempel des Herrn, wo die Lade Gottes stand.
4 Da rief der Herr den Samuel und Samuel antwortete: Hier bin ich.
5 Dann lief er zu Eli und sagte: Hier bin ich, du hast mich gerufen. Eli erwiderte: Ich habe dich nicht gerufen. Geh wieder schlafen! Da ging er und legte sich wieder schlafen.
6 Der Herr rief noch einmal: Samuel! Samuel stand auf und ging zu Eli und sagte: Hier bin ich, du hast mich gerufen. Eli erwiderte: Ich habe dich nicht gerufen, mein Sohn. Geh wieder schlafen!
7 Samuel kannte den Herrn noch nicht und das Wort des Herrn war ihm noch nicht offenbart worden.
8 Da rief der Herr den Samuel wieder, zum dritten Mal. Er stand auf und ging zu Eli und sagte: Hier bin ich, du hast mich gerufen. Da merkte Eli, dass der Herr den Knaben gerufen hatte.
9 Eli sagte zu Samuel: Geh, leg dich schlafen! Wenn er dich wieder ruft, dann antworte: Rede, Herr; denn dein Diener hört. Samuel ging und legte sich an seinem Platz nieder.
10 Da kam der Herr, trat zu ihm heran und rief wie die vorigen Male: Samuel, Samuel! Und Samuel antwortete: Rede, denn dein Diener hört.
19 Samuel wuchs heran und der Herr war mit ihm und ließ keines von all seinen Worten unerfüllt.

Aus dem Evangelium nach Johannes, Kapitel 1
35 In jener Zeit stand Johannes wieder am Jordan, wo er taufte, und zwei seiner Jünger standen bei ihm.
36 Als Jesus vorüberging, richtete Johannes seinen Blick auf ihn und sagte: Seht, das Lamm Gottes!
37 Die beiden Jünger hörten, was er sagte, und folgten Jesus.
38 Jesus aber wandte sich um, und als er sah, dass sie ihm folgten, fragte er sie: Was wollt ihr? Sie sagten zu ihm: Rabbi – das heißt übersetzt: Meister, wo wohnst du?
39 Er antwortete: Kommt und seht! Da gingen sie mit und sahen, wo er wohnte, und blieben jenen Tag bei ihm; es war um die zehnte Stunde.
40 Andreas, der Bruder des Simon Petrus, war einer der beiden, die das Wort des Johannes gehört hatten und Jesus gefolgt waren.
41 Dieser traf zuerst seinen Bruder Simon und sagte zu ihm: Wir haben den Messias gefunden. Messias heißt übersetzt: der Gesalbte – Christus.
42 Er führte ihn zu Jesus. Jesus blickte ihn an und sagte: Du bist Simon, der Sohn des Johannes, du sollst Kephas heißen. Kephas bedeutet: Fels – Petrus.

Autorin:
Bild_Lerke1Maria Lerke,
Pastoralreferentin,
Seelsorgeeinheit Winnenden – Schwaikheim – Leutenbach

 
Die Predigt:
Als Jesus vorüberging

Liebe Leserin, lieber Leser,
Wohnst du noch, oder lebst du schon? – mit dieser Werbung hat ein großes Möbelhaus letztes Jahr die Kunden auf sich aufmerksam gemacht – eine Frage, die einen schon zum Nachdenken bringen kann. Was hat Wohnen mit Leben zu tun? Eine ganze Menge, wie ich meine. Wo und wie ich wohne, das sagt schon einiges über mich aus – die Art ob oder wie ich dekoriere, was mein Wohnzimmer ausmacht, ob ein Tisch, eine Couch, oder der Fernseher den Mittelpunkt bildet, ob Bücher oder Blumen rumstehen – all das zeigt dem Besucher, was mir wichtig ist.
Darum wird es auch den beiden Johannesjüngern gegangen sein, als sie Jesus fragten: „Wo wohnst Du?“ Sie wollten mehr als nur die Hausnummer erfahren. Genauer übersetzt heißt ihre Frage:
Wo bleibst du? Wo kommst du unter? Sie wollen wissen: Von wo kommst du, was sind deine geistlichen Grundlagen? Ja, wer bist Du eigentlich?
Und Jesus antwortet kurz und knapp: „Kommt und seht!“
Er hält sie nicht hin, er nimmt sich keinen Vorsprung und räumt erst mal alles ordentlich auf! Jetzt wird er gefragt, jetzt ist er bereit – sofort und ohne Umschweife lädt er die beiden zu sich nach Hause ein.

Dabei hört sich das am Anfang des heutigen Textes gar nicht so an, als ob etwas Entscheidendes passieren würde. Der Evangelist Johannes erwähnt wie so nebenbei, dass Jesus vorüberging. Irgendwie klingt das merkwürdig. Jesus, der ja aus der Wüste kommt, trifft auf den Täufer und geht einfach so vorbei?
Der Evangelist will mit dieser Randbemerkung uns darauf aufmerksam machen, wie behutsam Jesus bei seinen Berufungen vorgeht.
Er kommt in Sichtweite, er kommt aber niemandem zu nahe.
Jesus geht es hier nicht um Konkurrenz. Er zeigt Johannes, dass er jetzt da ist, aber er will sich nicht aufdrängen. Er überlässt die Entscheidung ganz dem Täufer und seinen Jüngern.
Johannes unterbricht sofort seine Tätigkeit und richtet seinen Blick auf Jesus. Sofort gehen ihm die Augen auf und er erkennt, dass jetzt der Größere da ist, auf den er hingewiesen hat: In Jesus ist jetzt endlich die Verbindung da, die direkt zu Gott führt.

So bricht er in dieses große Bekenntnis aus und sagt: „Seht das Lamm Gottes“. In dieser Bezeichnung verdichtet sich die uralte Sehnsucht des jüdischen Volkes nach Erlösung. Schon einmal hatten sie erlebt, dass ein Lamm sie gerettet hat. Bei jedem Pessachfest erinnern sie sich, dass sie nur deshalb vom Strafgericht Gottes verschont wurden, weil sie ihre Türen mit dem Blut eines Lammes bestrichen hatten. Später hat dann Jesaja angekündigt, dass ein selber ganz und gar unschuldiges Gottes – Lamm alle Schuld auf sich laden, und dadurch die Welt erlösen wird.
Wenn nun der Täufer Jesus als Lamm Gottes bezeichnet, dann ist jedem gläubigen Juden klar, was das bedeutet: Seit der Zeit des babylonischen Exils hoffen sie darauf, dass mit dem Lamm Gottes einer kommen wird, der endlich die Sünde aus der Welt schafft, einer, der die Menschen wieder mit Gott versöhnt, nicht mit Macht und Gewalt, sondern als Lamm, ganz in Demut und Gehorsam.

Die Jünger lassen sich von dieser Aussage so sehr beeindrucken, dass sie alles stehen und liegen lassen und beachtlich spontan Jesus folgen. Die Bedeutung vom Lamm Gottes muss sie wirklich bis ins Innerste getroffen haben. Diese prophetische Verheißung hat sie aber sicher nur deshalb so in Bewegung bringen können, weil sie auf der Suche nach Erlösung waren, weil ihnen bewusst war, wie sehr sie auf eine Versöhnung mit Gott angewiesen waren. Sie gehörten nicht zu denen, die meinten, alles zu wissen, alles zu können, auch waren sie sich bewusst, dass sie immer wieder Fehler machten, absichtlich oder auch unabsichtlich. Bei Johannes hatten sie gelernt, ihrer Sehnsucht zu trauen, offen zu sein, wachsam zu sein für den entscheidenden Augenblick und der war jetzt gekommen.

Wo wohnst Du? So lautet ihre erste Frage an Jesus. Sie wollen wissen, ob sie wirklich dem „Verheißenen“ begegnen. Jesus antwortet nicht mit Erklärungen oder Belehrungen sondern mit einer sehr persönlichen Einladung. Vorhin ist er nur vorübergegangen – jetzt aber, wo die Jünger sich entschieden haben, da öffnet er weit seine Türen, da lässt er sie ganz nahe an sich herankommen. Er ermöglicht ihnen das Schauen – von Angesicht zu Angesicht. Wir erfahren nicht, wo genau sie hingegangen sind, was sie gesprochen oder getan haben. Das ist nicht wichtig. Das Schauen, dieses „bei Jesus sein“, muss sie aber so tief beeindruckt haben, dass sie Glaubende, dass sie Christusanhänger wurden. Sie waren sogar so sehr überzeugt, dass sie „übersprudelten“ und dem Nächstbesten weitersagen mussten, was sie gefunden hatten. Interessant ist, wer dieser Nächste war: Kephas, Simon Petrus, der Fels auf dem Jesus seine Kirche gegründet hat.

In dieser Berufungsgeschichte hat Johannes die wesentlichen Schritte aufgezeigt, wie Menschen zu überzeugten und übersprudelnden Christen werden können. Ganz am Anfang stehen nicht Lehrsätze und moralische Zeigefinger, sondern die Sehnsucht! Am Anfang steht das Wahrnehmen und Anerkennen, dass mir was fehlt, das Suchen und Offensein für Hilfe. Diese kommt aber nur in den seltenen Fällen spektakulär daher. Jesus geht auch heute „vorüber“ – er drängt sich uns nicht auf! Viele Glaubensgeschichten erzählen davon, dass Gott unerwartet, ja ganz anders ist. Manchmal erwarten wir, dass er wie ein Sturm herabfährt, doch er lässt sich im leichten „Säuseln“ finden. Oft geht es uns auch wie dem Samuel in der ersten Lesung. Dreimal wurde er gerufen – und dann hat er es immer noch nicht geblickt – sogar sein Lehrer, der ja Priester war, hat erst beim dritten Mal gemerkt, was der Ruf bedeutete. Hätten wir auch so viel Geduld? Wem können wir uns mit unseren Fragen anvertrauen? Wer sorgt sich um unser Glaubensleben? Wer hat so viel Ausdauer im Zuhören?

Nach dem Suchen und Offensein kommt das Mitgehen, das Nachgehen. Wenn wir sitzen bleiben und alles beim Alten lassen, dann kommen wir nicht voran, dann bewegt sich nichts.
Der nächste Schritt auf dem Glaubensweg ist dann das Schauen, das Hinschauen. Und dazu brauchen wir Zeit. Die Jünger blieben diesen Tag – der Evangelist Johannes hat sogar die genaue Zeit angegeben – von der 10. Stunde an waren sie bei ihm. Wie lange bleiben wir, wenn wir einmal bei IHM sind, wenn wir ihn schauen im Gebet, in der Meditation, oder im Gottesdienst? Wie lange schauen wir hin, wenn Gott uns in Menschen begegnen will, im Gesicht eines Notleidenden oder in der S-Bahn, vielleicht will er mir ja am Krankenbett eine Botschaft senden?

Gott, von dem wir an Weihnachten gehört haben, dass er das Wort ist – er will mit uns auch im Alltag kommunizieren – merken wir das?
Zur Zeit ist ja viel von „Entschleunigung“ die Rede – ich glaube, dass das heutige Evangelium uns genau dazu Mut machen will. Liefern wir unseren Glauben nicht der Hektik und Oberflächlichkeit unseres Alltags aus. Sonst verlieren wir das Wesentliche aus den Augen; denn Jesus geht auch heute vorüber – darauf hoffe und vertraue ich aus ganzem Herzen.

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2 Antworten auf Als Jesus vorüberging – 2. Sonntag im Jahreskreis B

  1. W. sagt:

    Diese Predigt hat mir gut getan, vor allem die folgende Stelle
    „Er hält sie nicht hin, er nimmt sich keinen Vorsprung und räumt erst mal alles ordentlich auf! Jetzt wird er gefragt, jetzt ist er bereit – sofort und ohne Umschweife lädt er die beiden zu sich nach Hause ein.“
    Das ist genau meine Schwachstelle. Im Augenblick der Anfrage nicht auszuweichen sondern mich „ohne Vorsprung“ dem anderen auszuliefern, auch wenn es in mir und um mich herum viel wegzuräumen gäbe.

  2. Heidi Gruenwedl sagt:

    1.Juni 2017 um 19.22.
    Die Predigt hat mich getröstet.Ich hoffe,dass ich Gott einmal von Angesicht auf Angesicht sehen darf.Aber,obwohl man sich von Gott kein Bild machen darf.Ich möchte ihm im Leben begegnen.Im Wort und in Taten.Das darf man doch glauben,oder?

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