Auserwählt? – Pfingstmontag B

Zweite Lesung aus dem Brief an die Gemeinde in Ephesus, Kapitel 1
3a Gepriesen sei Gott, der Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus: /
4 In ihm hat er uns erwählt vor der Grundlegung der Welt. /
13 In ihm habt auch ihr das Wort der Wahrheit gehört, das Evangelium von eurer Rettung; in ihm habt ihr das Siegel des verheißenen Heiligen Geistes empfangen, als ihr zum Glauben kamt.
14 Der Geist ist der erste Anteil des Erbes, / hin zur Erlösung, / durch die ihr Gottes Eigentum werdet, / zum Lob seiner Herrlichkeit.
15 Darum höre ich nicht auf, für euch zu danken, wenn ich in meinen Gebeten an euch denke;
16 denn ich habe von eurem Glauben an Jesus, den Herrn, und von eurer Liebe zu allen Heiligen gehört.
17 Der Gott Jesu Christi, unseres Herrn, der Vater der Herrlichkeit, gebe euch den Geist der Weisheit und Offenbarung, damit ihr ihn erkennt.
18 Er erleuchte die Augen eures Herzens, damit ihr versteht, zu welcher Hoffnung ihr durch ihn berufen seid, welchen Reichtum die Herrlichkeit seines Erbes den Heiligen schenkt
19a und wie überragend groß seine Macht sich an uns, den Gläubigen, erweist.

Autorin:
csm_Gabriele_Kraatz_2015-05-13_EBO-MA_137n_fb567737d8 Gabriele Kraatz, Dekanatsreferentin in Heidenheim und Geistliche Begleiterin

 
Die Predigt:
Auserwählt?

Liebe Leserin, lieber Leser,
am Tag, als ich mir die Lesungstexte vornehme, aktualisiere ich unsere Homepage mit dem Satz, dass sich das Dekanat Heidenheim gegen jede Form von Antisemitismus wendet. Ich gehe schwer mit den Unruhen im Nahen Osten, die Demonstrationen in Deutschland belasten mich, auch wenn es – entgegen der Stimmung – nur wenige Demonstranten sind.

Und dann lese ich im Epheserbrief etwas von der „vorzeitigen Erwählung“ der Heiligen vor der Schöpfung durch den den Gott Jesu Christi. „Auserwählung“ … ist das nicht der Ursprung aller Konflikte? „Ich bin etwas Besonderes durch Gottes Erwählung vor aller Zeit“ – mehr geht nicht. Steckt darin nicht der Keim falsch verstandener Hierarchie und Macht? Ein gefährliches Wort. Steckt das nicht auch im Gedanken der Priesterweihe des Mannes, die ihn zum „ontologisch Anderen“ macht, u.a. gegenüber „der Frau“? Da bin ich empfindlich.

Natürlich erweitern wir gern den Begriff auf uns alle – alle Menschen sind auserwählt, sind sozusagen auf Gott ausgerichtet „von Natur aus“. Und dennoch sehe ich den Begriff mit großem Unbehagen. In ihm steckt doch die große Versuchung des Egos für sich qua Rasse oder Geschlecht Ämter und Macht zu reservieren. Das Besondere – das Abgesonderte und Auserwählte wird zur Falle, das Einfallstor für Hochmut und Gewalt und Ausgrenzung. Und mein Gedanke wandert wieder zum Nahen Osten.

Doch wer will schon Durchschnitt und ein „Niemand“ unter vielen sein? Wir alle wollen angesehen werden, eingezeichnet mit unserem Namen auch in Gottes Hand, jeder und jede Einzelne. Ein kleiner Exkurs: Der kleine Junge Flash aus dem Superhelden-Film „Die Unglaublichen“ kontert den Satz seiner Mutter „Jeder ist etwas Besonderes“ mit dem Worten „also Niemand“.

Der Brief an die Gemeinde von Ephesus nimmt mit den Segnungen des Geistes diesen Gedanken für mich auf: Dass Gott gebe (…) den Geist der Weisheit und Offenbarung (Enthüllung), damit wir erkennen, wie Gott ist. Gott soll unsere Augen des Herzens erleuchten, damit wir verstehen, zu welcher Hoffnung (…) er uns ruft und welchen Reichtum er uns schenkt … und wie überragend groß sich seine Macht an uns erweist.

Wenn das tatsächlich geschieht, heilen wir. Das ist wirklich eine große Hoffnung für mich wie für uns als Menschheit. Ich denke hier an die Triebfeder des Weitermachens und immer wieder Aufstehens für das, wofür Jesus Christus steht: Frieden, Zusammenhalt, Freiheit und Gerechtigkeit.

Es braucht tatsächlich die „sehenden Augen des Herzens“, um in jedem Einzelnen – unabhängig von Rasse und Geschlecht – etwas Besonderes zu sehen – und an ihm oder ihr deshalb wirklich interessiert zu sein und gerecht zu werden. Es braucht die heilige Geistkraft der Erkenntnis, um praktisch „mit Gottes Augen“ dem Anderen zu begegnen. Ich denke hier an den ersten Blick in die Augen meines neugeborenen Kindes. Es braucht den Geist der Hoffnung, um immer wieder neu zu beginnen und auf die Macht der Geistkraft zu bauen.

Im Buch „Cassandra“ von Christa Wolf geht Cassandra einmal langsam zwischen den feindlichen Linien der gefangenen Griechen und der sich rächen wollenden Trojaner durch, schweigend und aufrecht. Ich muss sagen, dass mir das gefällt (da sind wir wieder bei den „Superhelden“ 😉) Natürlich würde sie heute im nahen Osten einfach erschossen werden. Aber Weisheit, Erkenntnis, Hoffnung … und Mut sind Gaben des Geistes Jesu, die unsere Welt jeden Tag neu braucht – ganz offenbar.

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