Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben – 5. Sonntag der Osterzeit A

Aus dem Evangelium nach Johannes, Kapitel 14
In jener Zeit sprach Jesus zu seinen Jüngern und Jüngerinnen:
1 Euer Herz lasse sich nicht verwirren. Glaubt an Gott und glaubt an mich!
2 Im Haus meines Vaters gibt es viele Wohnungen. Wenn es nicht so wäre, hätte ich euch dann gesagt: Ich gehe, um einen Platz für euch vorzubereiten?
3 Wenn ich gegangen bin und einen Platz für euch vorbereitet habe, komme ich wieder und werde euch zu mir holen, damit auch ihr dort seid, wo ich bin.
4 Und wohin ich gehe – den Weg dorthin kennt ihr.
5 Thomas sagte zu ihm: Herr, wir wissen nicht, wohin du gehst. Wie können wir dann den Weg kennen?
6 Jesus sagte zu ihm: Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater außer durch mich.
7 Wenn ihr mich erkannt habt, werdet ihr auch meinen Vater erkennen. Schon jetzt kennt ihr ihn und habt ihn gesehen.
8 Philippus sagte zu ihm: Herr, zeig uns den Vater; das genügt uns.
9 Jesus antwortete ihm: Schon so lange bin ich bei euch und du hast mich nicht erkannt, Philippus? Wer mich gesehen hat, hat den Vater gesehen. Wie kannst du sagen: Zeig uns den Vater?
10 Glaubst du nicht, dass ich im Vater bin und dass der Vater in mir ist? Die Worte, die ich zu euch sage, habe ich nicht aus mir selbst. Der Vater, der in mir bleibt, vollbringt seine Werke.
11 Glaubt mir doch, dass ich im Vater bin und dass der Vater in mir ist; wenn nicht, glaubt wenigstens aufgrund eben dieser Werke!
12 Amen, amen, ich sage euch: Wer an mich glaubt, wird die Werke, die ich vollbringe, auch vollbringen und er wird noch größere als diese vollbringen, denn ich gehe zum Vater.

Kompaß
Autorin:
Sigrid Haas, Diplomtheologin in Mannheim

 
Die Predigt
Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben

Liebe Leserin, lieber Leser,

Zusammenbruch und Beginn einer neuen Epoche
Das Evangelium ist Teil der Abschiedsreden. Jesus bereitet seine Jüngerinnen und Jünger auf sein Leiden, seinen Tod und seine Auferstehung, ja, mehr noch, auf eine neue Zeit vor. Sie sind in einer Ausnahmesituation, die sie überfordert. Ihr bisheriges Leben zerbricht. Sie verstehen vieles nicht, wissen nicht, was kommt und was sie glauben sollen. Und vor allem, sie müssen sich klar für Jesus entscheiden. Dass nur der Lieblingsjünger Johannes, Maria von Magdala, seine Mutter und einige anderen Frauen so mutig sind, haben wir kürzlich in den Kar- und Ostertexten gelesen.

Unsere momentanen äußeren Umstände sind zwar ganz anders, doch Angst, Ungewissheit, Ratlosigkeit, Einsamkeit, Abschied von Gewohntem, Verlust von nahe stehenden Menschen, Zweifel und Verzweiflung erleben gerade viele Menschen. Und wir ahnen, dass die alten Systeme zusammenbrechen und eine ganz neue Epoche beginnt.

Deshalb ist es jetzt um so wichtiger, einen zuverlässigen Kompass zu haben, um auf dem schwierigen und gefährlichen Weg nicht in den Abgrund zu stürzen, unterscheiden zu können, was Wahrheit ist, wer zu uns steht, und eine klare Vorstellung zu haben von dem Leben, das wir uns wünschen und den Mut, das zu verwirklichen.

Weg
Jesus hatte eine klare Vision von seinem Leben. Der Kompass auf seinem Weg war die Heilige Geistkraft, durch die er beständig mit Gott Vater-Mutter verbunden war. Er ging seinen Weg, trotz aller Hindernisse, Ängste, Herausforderungen und Zweifel, unbeirrt und konsequent bis zum Ende. Wenn Jesus sagt Ich bin der Weg, zeigt er sich als Vorbild, gerade auch für die schwierigen Zeiten.

Die meisten von uns wünschen sich wohl einen angenehmen Lebensweg, wie eine Wanderung durch ein schönes Tal oder zu einem Berggipfel, mit schönem Wetter und netter Begleitung. Doch für die wenigsten trifft das wohl zu.

Wir erleben manchmal Frühlingstage, wo Hoffnung, Leichtigkeit und neues Leben erwachen, Sommertage, erhellt von Freude, Lebenslust und Gemeinschaft. Aber sehr oft auch Herbstzeiten, geprägt von Melancholie, Abschied, Trauer und Tod und lange Winterzeiten, umhüllt von Kälte, Stille, Einsamkeit, Rückzug, Krankheit und Nacht.

Zuweilen gibt es auch Stillstand. Wir bleiben stecken in Depressionen oder halten krampfhaft am Alten fest, manchmal sogar am Schmerz und Leid, weil es vertraut ist und eine vermeintliche Sicherheit bietet. Häufig bleiben wir auch ratlos an einer Kreuzung stehen und können uns für keinen Weg entscheiden oder gehen einen Schritt vor und zwei zurück.

Manchmal gehen wir sogar einen falschen Weg immer weiter, aus Angst oder weil wir die Augen vor der Wahrheit verschließen, Warnschilder ignorieren, falschen Wegweisern folgen oder mit der Masse mitlaufen. Dann erleben wir Hindernisse, Dunkelheit, Kälte, Hitze, Gewitter, Stürme, Wolkenbrüche, Einsamkeit, Wüsten, Erstarrung, Verzweiflung – Umwege, Irrwege, enden in einer Sackgasse oder
stürzen gar in den Abgrund.

Die (Kirchen-)Geschichte ist voll von schrecklichen Beispielen. Und seit Wochen befinden wir uns in einem absurden Theaterstück, bei dem die Mehrheit noch immer gehorsam mitspielt, obwohl viele Mutige die Irrwege längst entlarvt haben und neue Wege aufzeigen.

Wahrheit
Sowohl das hebräische Wort אֱמֶת (’ämæt) für Wahrheit als auch das griechische αλήθεια (aleteia) umfassen mehr als nur richtig/echt oder falsch. Sie beinhalten auch Zuverlässigkeit, Beständigkeit und Treue. Wenn Jesus sagt Ich bin die Wahrheit, dann bedeutet das also sehr viel mehr als nur Echtheit – was er sagt, hat Bestand, er ist treu und allzeit mit uns verbunden, wir können uns auf ihn verlassen.

Trotz noch nie da gewesenen Informationsmöglichkeiten leben wir zunehmend in einer Welt von Fake-News, Halb- und Scheinwahrheiten. Oft wissen wir nicht mehr, was wir noch glauben können. Gerade in den letzten Wochen wird uns wieder ganz besonders vor Augen geführt, was Wahrheit ist – oder nicht ist. Da werden Statistiken und Berechnungsgrundlagen verändert, Worte falsch übersetzt, Sätze aus dem Zusammenhang gerissen, Aussagen umgedeutet oder widerrufen, Wichtiges weggelassen oder schlichtweg etwas erfunden. Doch kennen wir das bereits aus der Entstehungsgeschichte der Bibel, beispielsweise was die Rolle der Jüngerinnen Jesu betrifft.

Viele Menschen erkennen Gott nicht, obwohl doch alles, was existiert, ein Teil Gottes ist. Weil auch viele nicht einmal sich selbst, ihre Bedürfnisse, ihre Wünsche, ihr Potential kennen, können sie weder in sich selbst noch in anderen Gott erkennen. Denn in jedem Menschen ist Gott, auch in jenen, die Böses tun. Allerdings können sie diese Wahrheit nicht – mehr – erkennen, weil sie sich von Gott, ihren Geschwistern und auch von sich selbst als getrennt erleben. Aus diesem Schmerz heraus begehen manche schreckliche Verbrechen. Ein Pfarrer, der mit afrikanischen Kindersoldaten arbeitete, führte die Jugendlichen innerhalb weniger Wochen zu Gott zurück. Und nachdem sie erkannt hatten, dass Gott sie trotz ihren Todsünden liebte, waren sie fähig, doch noch ein verantwortungsvolles Leben in Liebe mit ihren Familien zu führen. Wenn wir mit der Quelle allen Seins, allen Lebens und der bedingungslosen Liebe verbunden sind, ist alles möglich.

Leben
Wenn Jesus sagt Ich bin das Leben will er uns ermutigen, die tiefere Bedeutung zu erkennen, auch / oder gerade im vermeintlichen Scheitern. Was ist wirklich wichtig? Für manche bedeutet ein gutes Leben materieller Besitz, Karriere und Reisen, für andere sind eher Familie und Beziehungen wichtig. Doch was bleibt, wenn wir plötzlich alles verlieren, ist dann dieses Leben noch lebenswert? Ein Leben kann kurz oder von Leid geprägt und dennoch erfüllt und vielleicht sogar Vorbild für andere sein. Denn Gott manifestiert sich auch in diesem Menschen.

Ein beeindruckendes Beispiel ist etwa Nick Vujičič, der ohne Arme und Beine geboren wurde. Seine Eltern ermöglichten ihm ein normales Leben, so dass er studieren konnte, geheiratet hat, Vater von vier Kindern ist und sogar verschiedene Sportarten ausübt. Er reist als Motivationsredner durch die Welt und verkündet die Liebe Gottes, da er seine körperlichen Besonderheiten als Herausforderung sieht.

Noch größere Taten als Jesus vollbringen
Jedes Gefühl hat eine eigene energetische Frequenz, d.h. haben wir beispielsweise Angst oder sind traurig, gehen wir in Resonanz mit entsprechenden Menschen und Situationen. Strahlen wir dagegen Freude, Vertrauen, Leichtigkeit, Liebe etc. aus, ziehen wir völlig anderes an. Kinder können die verschiedenen Schwingungen viel leichter wahrnehmen, weil sie ihre Gefühle noch wahrnehmen und ausdrücken.

Wenn wir konsequent das leben, was uns Jesus aufgetragen hat – Gottesliebe, Selbstliebe, einander zu vergeben und zu lieben – und wieder wie die Kinder zu werden, ja, dann können wir tatsächlich noch größere Werke als Jesus vollbringen: Wir können den Himmel auf Erden erschaffen – eine Welt, in der Liebe, Gemeinschaft, Vergebung, Frieden, Gerechtigkeit, Freude und Respekt vor der ganzen Schöpfung herrschen und wir mit allen Menschen, allen Geschöpfen und mit Gott verbunden sind.

Die gegenwärtige Krise hat fast auf dem ganzen Globus Erschütterungen ausgelöst und droht, die bekannte Welt zum Einsturz zu bringen. Wie damals nach Jesu Tod eine neue Zeit begann, so haben auch wir nun die einmalige Chance, diesen Zusammenbruch trotz all seiner Tragik zum Guten zu Wenden. Richten wir unseren Blick und unsere Energie auf das Neue, das entstehen will. Denn wir können gewiss sein: Gott Mutter-Vater, Jesus und die Heilige Geistkraft sind in uns und bei uns alle Tage bis zum Ende der Welt.
Amen.

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