Glückselig und heilig – Hochfest Allerheiligen

Aus dem Evangelium nach Matthäus, Kapitel 5
In jener Zeit,
1 als Jesus die vielen Menschen sah, stieg er auf einen Berg. Er setzte sich, und seine Jünger – und Jüngerinnen – traten zu ihm.
2 Dann begann er zu reden und lehrte sie.
3 Er sagte: Selig, die arm sind vor Gott; /
denn ihnen gehört das Himmelreich.
4 Selig die Trauernden; /
denn sie werden getröstet werden.
5 Selig, die keine Gewalt anwenden; /
denn sie werden das Land erben.
6 Selig, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit; /
denn sie werden satt werden.
7 Selig die Barmherzigen; /
denn sie werden Erbarmen finden.
8 Selig, die ein reines Herz haben; /
denn sie werden Gott schauen.
9 Selig, die Frieden stiften; /
denn sie werden Söhne – und Töchter – Gottes genannt werden.
10 Selig, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden; /
denn ihnen gehört das Himmelreich.
11 Selig seid ihr, wenn ihr um meinetwillen beschimpft und verfolgt und auf alle mögliche Weise verleumdet werdet.
12 Freut euch und jubelt: Euer Lohn im Himmel wird groß sein.

Wolken
Autorin:
Sigrid Haas, Diplomtheologin, Mannheim

 
Die Predigt:
Glückselig und heilig

Liebe Leserin, lieber Leser,
waren Sie schon einmal im Zustand der Glückseligkeit? Wie haben Sie sich da gefühlt? Jesus scheint eine sehr eigenwillige Vorstellung von Glückseligkeit zu haben. Denn er preist jene selig – oder glücklich, wie manche übersetzen, – die leiden und alles entbehren müssen, gar verfolgt werden. Diese Seligpreisungen werden, jedenfalls im ersten Moment, bei den wenigsten Menschen Gefühle von Glück und Seligkeit wecken – höchstens bei den Heiligen, die wir heute auch feiern. Wie kann das also zusammenpassen?

Was ist Glückseligkeit?

Wahrscheinlich kommen Sie sich wie im Himmel vor, wenn Sie sich geliebt, geborgen und sicher fühlen, etwas Großes vollbracht oder etwas Schwieriges überwunden haben, wenn Sie im Bewusstsein einer tiefen Einheit sind. Das Baby, welches geborgen in den Armen der Mutter an ihrer Brust saugt und danach, gesättigt von der mütterlichen Liebe, selig in seinem Bettchen liegt. Die Liebenden, die durch zärtliche Berührungen und leidenschaftliche Umarmungen auf allen Ebenen eins werden. Die Musikfans, die zu Tausenden gemeinsam beim Konzert eintauchen in die Klänge der Musik. Die Wandernden, die den Berggipfel erreicht haben und ergriffen sind von der Schönheit der Natur. Der/die Todkranke, der/die auf wundersame Weise geheilt wurde. Solche Erlebnisse geben uns eine Ahnung von der himmlischen Glückseligkeit und dem vollkommenen Einssein.

Wenn wir verliebt sind, dann interessieren wir uns für das, was die geliebte Person mag, wir leiden und freuen uns mit und wollen einander nahe sein. Wenn die Liebe tief ist, sind wir sogar bereit, Opfer zu bringen, Verletzungen zu verzeihen und Leid zu ertragen. Diese Art des Leidens kann uns also in einer gewissen Weise glücklich machen, weil sie Nähe schafft, denn das Leiden an sich wäre sinnlos.

Lieben wir Jesus und machen ähnliche Erfahrungen von Leid wie er, dann fühlen wir uns ihm nahe. Denn es gibt dem Leid durch diese Verbundenheit eine andere Dimension. Allerdings sollten wir uns nicht, wie einige Heilige, in eine Leidensmystik hineinsteigern und uns absichtlich quälen, um Jesus nahe zu sein.

Die Seligpreisungen

In der Lukas-Version (Lk 6,20-23) gibt es vier Seligpreisungen. Matthäus hat weitere hinzugefügt, um die spirituelle Dimension ergänzt und die Bedrängnisse der Gläubigen zur Verfolgung verstärkt.

Die erste Seligpreisung (V3) ist quasi wie eine Überschrift für die nachfolgenden. Sie kann, ausgehend vom griechischen Urtext, eher als „die Armen, welche um den Geist bitten“ verstanden werden, als Hinweis unserer Verbindung zur heiligen Geistkraft. Wenn wir uns ihr öffnen, befähigt sie uns, das Himmelreich, welches schon mitten unter uns ist (Lk 17,21), jetzt hier Realität werden zu lassen.

Leben wir in diesem Geist, können wir nicht nur Leid und Schmerz besser ertragen, sondern werden auch als Werkzeug Gottes einander trösten und füreinander da sein, so dass Gottes Liebe durch uns erstrahlt. Wenn jemand unsere Hand hält, uns umarmt, unsere Tränen trocknet, dann kommt der Himmel auf die Erde. Trauer ausdrücken, Schwäche zeigen, um Hilfe bitten – all das ist zutiefst menschlich. Auch Jesus hat das getan. Denn es ist authentisch und schafft Nähe. Wenn wir keine Masken tragen, sondern uns auch in unserer Verletzlichkeit zeigen, dann sind wir wahrhaftig und ganz Mensch.

Hunger und Durst zu haben, hält uns wach und aktiv, macht oft auch kreativ und ruft jene, die genug haben, zum Teilen auf. Erfüllen wir uns nicht unsere eigenen körperlichen, geistigen und seelischen Bedürfnisse, bleiben wir unbefriedigt und können leicht auf einen zerstörerischen Weg geraten. Gerade von armen Menschen können wir lernen, wieder mehr zu teilen, uns zusammenzuschließen, um gemeinsam Probleme zu lösen und miteinander das Leben trotz allen Leids zu feiern.

Gehen wir liebevoll mit uns selbst um, fällt es uns leichter, zu anderen barmherzig zu sein und jenen zu verzeihen, die uns Böses tun und in ihnen auch Gott zu erkennen. Denn nur wenn unsere Gedanken, Gefühle, Worte und Taten vollkommen eins sind, können wir inneren Frieden finden und erst dann auch zu einer friedlichen, gerechten Welt beitragen.

Gott wohnt in unserem Herzen. Wenn wir reinen Herzens sind, dann verstecken wir nichts, bauen keine Mauern um unser Herz, sondern hören, was es uns sagt, und richten unsere Aufmerksamkeit auf das Gute und Schöne in uns selbst, den Menschen und der ganzen Schöpfung. Zugleich sind wir durch das Energiefeld unseres Herzens mit allen und allem verbunden. Hören wir auf unsere Gefühle, dann wissen wir, was sowohl wir selbst als auch unsere Mitmenschen brauchen. Doch ist es wichtig, zuerst uns selbst zu stärken, sonst können wir anderen nicht das geben, was sie brauchen, ohne uns selbst zu schaden. Im Bewusstsein einer gesunden Selbstliebe und unserer von Gott gegebenen Einzigartigkeit sind wir fähig, andere Menschen nicht als Konkurrenz zu sehen, sondern als unser Geschwister. Sie haben Gottes Liebe und ein Leben in Fülle genauso verdient wie wir.

Das Leben kann einerseits natürlich viel schwerer werden, wenn wir gegen den Strom schwimmen. Wir ecken an, es wird möglicherweise schlecht über uns geredet, wir können hohe Ämter oder nahe stehende Menschen verlieren. Der Preis kann hoch sein. Doch wenn wir eins sind mit Gott, uns selbst und unseren Geschwistern, werden die Trennungen auf einer höheren Ebene geheilt. Und das Geheilte ist auch das Heilige.

Allerheiligen – Heilige: vor allem Märtyrer/innen und ehelose Kleriker?

Heilige sollen uns ein Vorbild sein durch ihre tiefe Verbindung mit Gott, ihren starken Glauben und die gelebte Liebe. Doch hängt es von der Spiritualität der Zeit und der gesellschaftlichen Bedeutung der Kirche ab, wer als heilig gilt. Die ersten Heiligen waren Märtyrer/innen, Einsiedler, asketisch lebende Mönche und Nonnen. Später waren es v.a. Bischöfe, Könige und Adelige, da ging es mehr um Machtthemen. Im 20. Jahrhundert traten durch Diktaturen wieder die Märtyrer/innen in den Vordergrund.

Die Lebensgeschichte vieler Heiliger ist häufig geprägt von Leiden, einerseits durch die Verfolgungen bis in die Gegenwart, v.a. aber auch wegen selbst auferlegter Qualen durch strenge Askese, Aufopferung und manchmal sogar Selbstverletzung. Außerdem fällt auf, dass die Mehrheit der über 6000 Heiligen männlich ist und fast alle, einschließlich der Frauen, ehelos. Verheiratete Heilige sind indessen sehr selten. Immerhin sind unter den sechs Schutz-Heiligen Europas inzwischen drei Frauen: die Kirchenlehrerin Katharina von Siena, die Märtyrerin Edith Stein und die Ordensgründerin und Mystikerin Birgitta von Schweden, die erst als Witwe ehelos lebte.

Warum bevorzugt die Kirche Menschen aus den Reihen des Klerus‘ und der Orden? Sind nicht wir alle zur Heiligkeit und zum Vorbild für andere berufen? Wären heilige Ehefrauen und -männer, Mütter und Väter nicht ein wichtiges Vorbild für die übergroße Mehrheit der nicht ehelosen, nicht geweihten Gläubigen? Denn würden alle den ehelosen Vorbildern nacheifern, wäre die Kirche längst ausgestorben…

Viele Menschen können heute wenig bis gar nichts mehr anfangen mit Ehelosigkeit, extremer Askese oder gar Geiselungen mancher Heiliger, auch wenn heute nichtreligiöse Askese durchaus zu finden ist, etwa als Ernährungsform. Gefragt sind andere Vorbilder. Menschen, die verankert in der Liebe zu Gott, eine gesunde Balance zwischen Selbstliebe und Nächstenliebe haben, einfach und im Einklang mit der Natur leben, sich authentisch und verletzbar zeigen, im innerem Frieden sind, sich ihrer Einzigartigkeit und ihrer göttlichen Schöpfungskraft bewusst sind und aus diesem Bewusstsein heraus in Liebe, Respekt und Kooperation mit den Menschen und der ganzen Schöpfung handeln.
Amen.

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