„Liebesrezepte“ – 31. Sonntag im Jahreskreis B

Aus dem Evangelium nach Markus, Kapitel 12
In jener Zeit
28 ging ein Schriftgelehrter zu Jesus hin und fragte ihn: Welches Gebot ist das erste von allen?
29 Jesus antwortete: Das erste ist: Höre, Israel, der Herr, unser Gott, ist der einzige Herr.
30 Darum sollst du den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen und ganzer Seele, mit deinem ganzen Denken und mit deiner ganzen Kraft.

31 Als zweites kommt hinzu: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. Kein anderes Gebot ist größer als diese beiden.
32 Da sagte der Schriftgelehrte zu ihm: Sehr gut, Meister! Ganz richtig hast du gesagt: Er allein ist der Herr, und es gibt keinen anderen außer ihm,
33 und ihn mit ganzem Herzen, ganzem Verstand und ganzer Kraft zu lieben und den Nächsten zu lieben wie sich selbst, ist weit mehr als alle Brandopfer und anderen Opfer.
34 Jesus sah, dass er mit Verständnis geantwortet hatte, und sagte zu ihm: Du bist nicht fern vom Reich Gottes. Und keiner wagte mehr, Jesus eine Frage zu stellen.

Autorin:
Karin_2016 (3)Karin Stump, Pastoralreferentin im Katholischen Forum Dortmund

 
Die Predigt:
Einführung
Liebe Mitchristen,
in einem Schaufenster habe ich kürzlich ein Schild gesehen. „Liebesrezept“ stand da als Überschrift. „Liebesrezept: 200g Liebe, 100 ml Zärtlichkeit, 2 Pfd. Romantik, 50 g Geduld, 1 Prise Humor, 6 cl Vertrauen.“
Witzig und interessant. Ob die Proportionen so stimmen?
2 Pfund Romantik und nur 50 g Geduld, nur 6 cl Vertrauen und 1 Prise Humor? Wie dem auch sei, da hat jede und jeder vielleicht eine eigene Mischung.
Um Liebe geht es bei den Christen – sollte man meinen, wenn man Jesus hört. Wie steht es bei uns um die Liebe? Spüren wir Liebe? Spüren andere von uns ausgehend Zärtlichkeit, Geduld, Humor und Vertrauen?

„Liebesrezepte“

Liebe Leserin, lieber Leser,
ein Liebesrezept, ganz anders als das eingangs vorgestellte Backrezept, ein Liebesrezept gibt Jesus im Evangelium, aus seiner jüdischen Tradition heraus.

Es gelingt uns selten eine gute Mischung zwischen Gottes-, Nächsten- und Selbstliebe. Irgendwie hinken wir unseren Ansprüchen immer hinterher. Manchmal ist es so, wie Erich Kästner beschreibt: „Als sie einander 8 Jahre kannten (und man darf sagen: Sie kannten sich gut), kam ihre Liebe plötzlich abhanden, wie anderen Leuten der Stock oder Hut.“

Liebe kann im Alltag in den Hintergrund geraten, verfliegen. Denn Liebe muss eine Menge Spannungen und Auseinandersetzungen durchleben; und denen ist sie nicht immer gewachsen. Das Feuer verglimmt, die Arbeit beginnt. Dann gilt es, sich aus den Anfängen und Quellen zu nähren und die Liebe zu erneuern. Das trifft für eine Liebesbeziehung genauso zu wie für die Beziehung zu Gott und zu sich selbst. Gott selbst hat sich nach den Irrwegen seines Volkes immer neu zu seiner Liebe bekehrt und sie den Menschen gezeigt.

Jesus Christus ist die große Liebeserklärung, der größte Liebesbeweis an uns. Ernesto Cardenal, der nicaraguanische Dichterpriester, schreibt von der „Liebe aller Lieben“: „Gott ist verrückt vor Liebe. Er ist betrunken vor Liebe. Wir wurden geschaffen für die Liebe von einem Gott, der die Liebe ist. Alle könnten ihre fast unbegrenzten Möglichkeiten der Zärtlichkeit und Hingabe voll ausleben, wenn sie sich ihrem eigenen Inneren zuwenden würden, zur Großen, Einzigen Liebe, die in ihnen pulsiert und atmet.“1

Manche mögen fragen: Was ist denn Liebe? Das ist so ein vielschichtiges Wort, das für alles Mögliche und Unmögliche gebraucht wird. Zuweilen füllen Menschen ihre Leere mit anderen Menschen und nennen es Liebe.
Was gehört zur Liebe? Achtsamkeit, Zärtlichkeit, Leidenschaft, Mitleid, Verwundbarkeit, Sorge – Verbunden-Sein, Austausch, Wohlwollen, Phantasie, Wärme und Licht, Respekt, Energie, Lebendigkeit, Einklang, manchmal ein Hochgefühl, ein Über-sich-Hinauswachsen, eine tiefgreifende Umwandlung. Zur Liebe gehört auch: den oder die andere freigeben, etwas hinnehmen, sich wandeln, verzeihen. Liebe vertreibt unsere Angst, Liebe ist einfach da, sieht und handelt. Liebe teilt sich mit. Liebe ist Kommunikation.

Nach dem Rezept Jesu dürfen wir so lieben – Gott, die Mitmenschen und uns selbst.
Ist die Liebe an erster Stelle in meinem, in unserem Leben? Im Leben der Kirche?

Das Liebesrezept Jesu dient keiner Romantik, sondern der Hingabe an das Reich Gottes und an seine Gerechtigkeit. Wer Gott liebt, wird nicht dem Irrtum verfallen, er oder sie sei Herr und Herrin der Welt. Aber wer liebt, wird doch menschliche Verantwortung ernst nehmen.

Die Liebe zuerst, nicht ich zuerst, nicht America first oder irgendeine Gruppe oder Nation zuerst! Nicht die Börsenkurse zuerst, nicht die Arbeit zuerst, nicht das Vergnügen zuerst.

Der heilige Ignatius empfiehlt in seinen „Betrachtungen zur Erlangung der Liebe“, sich durchströmen zu lassen von den Gaben der göttlichen Liebe, von Güte, Freundlichkeit, und Barmherzigkeit. „Sie alle durchwärmen den Menschen wie Strahlen der Sonne und durchströmen ihn wie Quellwasser der Tiefe“.2

Lieben heißt: mich von Gottes Glut, Frische und Klarheit durchdringen lassen, so dass ich anderen von dieser Liebe und Freude Gottes weiterschenken kann.

Ein Wort des Mystikers Meister Eckhart (1260-1328) dazu lautet: „Hast du dich selbst lieb, so hast du alle Menschen lieb wie dich selbst. Solange du einen einzigen Menschen weniger lieb hast als dich selbst, so hast du dich selbst nie wahrhaft lieb gewonnen.“ Es gibt also eine Wechselwirkung und gegenseitige Durchdringung von Gottes-, Selbst- und Nächstenliebe.

Und Liebe ist bedingungslos. Es geht nicht um Pflichterfüllung, um Anpassung aus Angst oder um Leistung. Die Liebe kann fließen, weil wir immer schon Geliebte Gottes sind. Können wir das glauben und zulassen? Oder stellen wir uns selbst und auch Gott immer wieder Bedingungen, wann wir liebens-würdig sind?

Der Ausgangspunkt bei Jesus heißt: Du bist schon geliebt. Und die anderen auch.

Ich kann immer neu zu diesen Anfängen zurückgehen, indem ich Gott suche mit meinem Herzen, nicht nur mit dem Verstand. Ich darf mich von Stille und dem Geheimnis Gottes berühren lassen. Ist es nicht das, was wir in einem Gottesdienst suchen? Die Liebe Gottes, der Mitmenschen und zu uns selbst erfahren zu dürfen und selber mehr und mehr zu Liebenden verwandelt zu werden?

Wenn wir uns selbst lieben, achten wir auf uns selbst, nehmen unsere Bedürfnisse und Grenzen an. Wenn wir unsere Mitmenschen lieben, versuchen wir, alles zu tun, ihnen das Leben schön zu machen. Wenn wir Gott lieben, verbinden wir uns mit dem Urgrund aller Liebe, beantworten wir seine Liebe.

Madeleine Delbrêl, die französische Mystikerin, beschreibt, wie sie Gottes Liebe im Alltag findet, in einem Gebet: „Ich bin sicher, mein Gott, dass du mich liebst und dass es in diesem Leben, das so voll gestopft ist mit allem Möglichen, dennoch eine Wüste gibt, wo man dir begegnet…Welche Freude zu wissen, dass wir unsere Augen zu deinem Angesicht erheben können – ganz allein – während die Suppe langsam aufkocht, während wir am Telefon auf den Anschluss warten, während wir an der Haltestelle nach dem Bus Ausschau halten, während wir eine Treppe hinaufsteigen, während wir im Garten für den Salat ein wenig Petersilie holen.“3

Nach welchem Liebesrezept leben Sie?

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1E. Cardenal, Das Buch von der Liebe, Wuppertal 2004, S. 39ss
2Geistliche Übungen 237
3 aus: Katja Boehme, in Madeleine Delbrêl. Die andere Heilige, Freiburg i. B., 2.Aufl. 2005

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