Die Tüchtigste im ganzen Land – Gedenktag Marta von Betanien und 17. Sonntag im Jahreskreiskreis B

Neue Einheitsübersetzung
Aus dem Evangelium nach Lukas, Kapitel 10
38 Jesus kam in ein Dorf. Eine Frau namens Marta nahm ihn gastlich auf.
39 Sie hatte eine Schwester, die Maria hieß. Maria setzte sich dem Herrn zu Füßen und hörte seinen Worten zu.
40 Marta aber war ganz davon in Anspruch genommen zu dienen. Sie kam zu ihm und sagte: Herr, kümmert es dich nicht, dass meine Schwester die Arbeit mir allein überlässt? Sag ihr doch, sie soll mir helfen!
41 Der Herr antwortete: Marta, Marta, du machst dir viele Sorgen und Mühen.
42 Aber nur eines ist notwendig. Maria hat den guten Teil gewählt, der wird ihr nicht genommen werden.

Aus dem Evangelium nach Johannes, Kapitel 6
In jener Zeit
1 ging Jesus an das andere Ufer des Sees von Galiläa, der auch See von Tiberias heißt.
2 Eine große Menschenmenge folgte ihm, weil sie die Zeichen sahen, die er an den Kranken tat.
3 Jesus stieg auf den Berg und setzte sich dort mit seinen Jüngern – und Jüngerinnen – nieder.
4 Das Pascha, das Fest der Juden, war nahe.
5 Als Jesus aufblickte und sah, dass so viele Menschen zu ihm kamen, fragte er Philippus: Wo sollen wir Brot kaufen, damit diese Leute zu essen haben?
6 Das sagte er aber nur, um ihn auf die Probe zu stellen; denn er selbst wusste, was er tun wollte.
7 Philippus antwortete ihm: Brot für zweihundert Denare reicht nicht aus, wenn jeder von ihnen auch nur ein kleines Stück bekommen soll.
8 Einer seiner Jünger, Andreas, der Bruder des Simon Petrus, sagte zu ihm:
9 Hier ist ein kleiner Junge, der hat fünf Gerstenbrote und zwei Fische; doch was ist das für so viele!
10 Jesus sagte: Lasst die Leute sich setzen! Es gab dort nämlich viel Gras. Da setzten sie sich; es waren etwa fünftausend Männer.
11 Dann nahm Jesus die Brote, sprach das Dankgebet und teilte an die Leute aus, so viel sie wollten; ebenso machte er es mit den Fischen.
12 Als die Menge satt war, sagte er zu seinen Jüngern: Sammelt die übrig gebliebenen Brotstücke, damit nichts verdirbt.
13 Sie sammelten und füllten zwölf Körbe mit den Stücken, die von den fünf Gerstenbroten nach dem Essen übrig waren.
14 Als die Menschen das Zeichen sahen, das er getan hatte, sagten sie: Das ist wirklich der Prophet, der in die Welt kommen soll.
15 Da erkannte Jesus, dass sie kommen würden, um ihn in ihre Gewalt zu bringen und zum König zu machen. Daher zog er sich wieder auf den Berg zurück, er allein.

Autorin:
Elisabeth SchmitterElisabeth Schmitter, Pastoralreferentin im Bischöflichen Ordinariat Rottenburg, Hauptabteilung Pastorale Konzeption

 
Die Predigt:
Die Tüchtigste im ganzen Land

Liebe Brüder und Schwestern,
(in der Anrede halte ich mich gern an die Höflichkeitsregel und beginne mit den ‚Brüdern‘ – in der Hoffnung, dass die es auch so machen)

ums Essen geht es im Evangelientext zum heutigen Sonntag. Die Erzählung von der Brotvermehrung gehört zu den ganz bekannten Geschichten, die von Jesus überliefert sind. Aber heute ist nicht nur Sonntag, sondern auch ein Gedenktag. Gerade heute erinnert sich die Kirche an eine Frau, die auch mit Essen, mit Verpflegung und Bewirtung zu tun hatte: Marta von Betanien. Stellen wir heute diese Frau und ihre Begegnung mit Jesus in den Mittelpunkt der Betrachtung. Wir haben sie eben gehört.

Marta ist eine Jüngerin Jesu und eine geschätzte Gastgeberin. Und offenbar lässt sich auch Jesus gern von ihr bewirten. Aber dann geschieht etwas Unerwartetes und legt sich wie ein Schatten auf diese Begegnung, auch davon erzählt der Evangelist. Keine zehn Zeilen braucht Lukas, um die häusliche Szene zu beschreiben, in der Jesus in eine Familienstreiterei hineingezogen wird. Es gibt Taten und Worte Jesu, an denen viel größere Gewichte hängen. Und doch ist es immer wieder diese alltägliche Begebenheit, die uns packt, herausfordert, zum Widerspruch reizt. Eine Geschichte, die nicht an eine bestimmte Kultur gebunden ist, sondern überall auf der Welt verstanden wird und auch jederzeit so geschehen könnte.

Jesus ist unterwegs und kommt in ein Dorf. Eine Frau, heißt es, nahm ihn gastlich auf. Marta heißt die Frau, das heißt übersetzt: Herrin. Und was ihr Name sagt, das ist sie auch: Sie ist es, die in ihr Haus einlädt, und sie fühlt sich verantwortlich, dass es dem Gast bei ihr richtig gut geht. Sie führt den Haushalt und hat das Sagen. Erst als das klar ist, erfahren wir, dass es da auch noch eine Schwester gibt, die bei ihr wohnt und Maria heißt. Auch Maria freut sich über den Gast im Haus; sie setzt sich zu ihm, spricht mit ihm, hört zu. Marta dagegen, die ‚große Schwester‘, hat alles im Blick. Sie sorgt fürs leibliche Wohl, sie kocht, sie tischt auf, sie bietet Getränke an, stellt Wasser und Tücher bereit zum Händewaschen. Und vielleicht richtet sie dem Gast vorsorglich auch schon ein Bett her zum Übernachten, es könnte ja zu spät werden zum Weitergehen. Marta ist ganz davon in Anspruch genommen zu dienen. Ihre Aufmerksamkeit reicht gerade noch aus, an alles zu denken, was zu tun ist, aber den Gast, um den es doch eigentlich geht, verliert sie dabei aus dem Blick. Ihre ganze Freude über seinen Besuch legt sie in ihre Geschäftigkeit; anders kann sie sie vielleicht gar nicht ausdrücken.

Es dauert nicht lange, da flammt zwischen den Schwestern ein Streit auf. Marta, die Resolute, die Selbstbewusste, sie ergreift die Gelegenheit, die sich so schnell nicht wieder bietet: Jesus ist schließlich der Meister, jetzt soll er mit seiner Autorität die Schwester dazu bringen, sich auch mal nützlich zu machen. Und nebenbei wird dann auch wieder einmal deutlich, was Marta doch so alles leistet, und dass der Haushalt zusammenbrechen würde, wenn sie nicht alles im Griff hätte. So stellt Marta es sich vor – und der Marta in mir sind solche Wünsche auch nicht fremd. Aber sie täuscht sich: Jesus lässt sich nicht zum Schiedsrichter machen, dazu noch in einer Sache, wo sowieso schon klar ist, wer im Recht ist und wer im Unrecht. Und Jesus geht sogar noch weiter. Er scheut sich nicht, die Gastgeberin dadurch zu brüskieren, dass er die Beschuldigte, die Untätige, ins Recht setzt.

Aber, so fragen jetzt alle Hausfrauen und nicht nur sie, steht es Jesus zu, Marta so zurechtzuweisen, schließlich hat er ihr Essen und ihre Gastfreundschaft doch sicher sehr genossen. Hier müssen wir doch nochmals genauer hinschauen, um was es eigentlich geht – und um was es nicht geht. Marta will von höchster Stelle bestätigt bekommen, dass sie die Größte, die Wichtigste, die Fleißigste ist und dass ihr Dienst und ihre Fähigkeiten die einzigen sind, die wirklich zählen. Jesus wertet nicht ab, was Marta leistet, aber er schlägt ihr den Anspruch aus der Hand, den sie aus ihrer Tüchtigkeit ableitet, den Stolz, mit dem sie sich über das erhebt, was ihrem eigenen Wesen fremd ist.

Marta und Maria. Beide müssen sie lernen, dass es vielerlei Fähigkeiten und Dienste gibt, die sich gegenseitig ergänzen. Deshalb werden sie alle gebraucht. Und deshalb sind alle gleich wertvoll. Die Frage heißt dann nicht mehr: Wer von uns ist am wichtigsten oder am tüchtigsten ‚im ganzen Land‘? Sondern: Wie kann ich mit meinen Fähigkeiten anderen nützen – und worin bin ich auf andere angewiesen?

Eines ist notwendig, sagt Jesus zu Marta, als sie sich in Betriebsamkeit verliert und der Schwester die Muße neidet. Eines – nicht vielerlei gleichzeitig. Immer gibt es dieses eine, und jedes Mal kann es etwas anderes sein, was gerade jetzt das Richtige, das Notwendige, das Eine ist. Maria hat den Blick fürs Wesentliche, Martas Stärke liegt in der Kraft zum Handeln.

Bei der Brotvermehrung wurde das wenige Brot unter Vielen geteilt – und hat am Ende für alle gereicht. In der Geschichte von den ungleichen Schwestern Marta und Maria geht es darum, die persönlichen Begabungen und Fähigkeiten in den Dienst der Gemeinschaft zu stellen, sie ebenso zu teilen wie das Brot. Freuen wir uns doch über die Vielfalt der Menschen und ihrer Gaben, in solidarischer Gemeinschaft statt in eifersüchtigem Wettstreit. Und heißen wir die vielen Martas und Marias einfach willkommen, wo immer sie uns begegnen. Im Alltag, im Beruf, in der Familie, in der Gemeinde – und nicht zuletzt: in der eigenen Seele.

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