Ein Leib – ein Geist – ein Gott aller / Pfingstmontag A

Zweite Lesung aus dem Brief des Apostels Paulus an die Gemeinde in Ephesus, Kapitel 4
Schwestern und Brüder!
1 Führt ein Leben, das des Rufes würdig ist, der an euch erging.
2 Seid demütig, friedfertig und geduldig, ertragt einander in Liebe,
3 und bemüht euch, die Einheit des Geistes zu wahren durch den Frieden, der euch zusammenhält.
4 Ein Leib und ein Geist, wie euch durch eure Berufung auch eine gemeinsame Hoffnung gegeben ist;
5 ein Herr, ein Glaube, eine Taufe,
6 ein Gott und Vater aller, der über allem und durch alles und in allem ist.

Sonnenblume klein
Autorin:
Sigrid Haas, Diplom-Theologin, Mannheim

 
Die Predigt:
Ein Leib – ein Geist – ein Gott aller

Liebe Leserin, lieber Leser,
beim Betrachten des Textes hat mich sofort das Bild des Leibes angesprochen.

Unser Leib – Tempel der Heiligen Geistkraft

Leib – dieses Wort klingt altmodisch, erinnert an Leibesübungen. Im ersten Brief an die Gemeinde in Korinth (1 Kor 6,19) wird der Leib als Tempel der Heiligen Geistkraft bezeichnet. Wir werden aufgerufen, Gott auch durch unseren Körper zu verherrlichen. Indem wir ihn als heilig betrachten und ihm alles geben, was er braucht, bereiten wir einen würdigen Tempel, in dem die Heilige Geistkraft gerne lebt. Wenn wir uns durch unseren Leib ausdrücken, ehren und loben wir so Gott.

Bibelstellen wie Psalm 150, Vers 4, Lobt Gott mit Pauken und Tanz, lobt ihn mit Flöten und Saitenspiel, belegen, dass Tanz eine Form des Gotteslobes war. Hierbei ist ein harmonisches Zusammenspiel grundlegend, beim Reigentanz, wenn alle Tanzenden im Rhythmus der Musik eins sind, genauso wie beim Paartanz von Mann und Frau. Hätte der freudige Körperausdruck auch seinen festen liturgischen Platz, würde dies unsere Gottesdienste bereichern.

Unser Leib – Wunderwerk Gottes

Die meisten Menschen wissen kaum, wie ihr Körper funktioniert. Auch der Wissenschaft ist vieles noch rätselhaft. Wir können unseren biologischen Körper nur staunend als Wunderwerk Gottes betrachten. Im perfekten Zusammenspiel koordiniert er jede Sekunde Abertausende Vorgänge: Zellerneuerung, Immunabwehr, Atmung, Herzschlag, Blutfluss, Hormonausschüttung, Muskelbewegung, Entgiftung und vieles mehr. Alle Zellen und Systeme kommunizieren ständig miteinander, um das Gleichgewicht zu halten.

Auch der Leib Christi ist ein komplexes Gebilde mit verschiedenen Konfessionen, Kulturen, Dienstämtern, Charismen und Bedürfnissen jedes Mitgliedes. Diese Verschiedenheit hält die Kirche lebendig, fordert jedoch auch heraus, immer wieder in die Harmonie zu finden. Aber jeder Mensch ist einzigartig, deshalb braucht es keine Konkurrenz. Damit die Heilige Geistkraft ungehindert wirken, die Einheit bewahrt und die Liebe Gottes sichtbar werden kann, bedarf es der Interaktion und des steten Austausches.

Unser Leib – oft nur noch Sklave

Viele sind sich ihres Körper nicht mehr bewusst, erwarten einfach, dass er täglich funktioniert und alles Schädliche verzeiht. Sie überhören oder unterdrücken wiederholte Alarmzeichen. Manche sehen ihn gar als Sklaven oder Feind, misshandeln ihn durch Dauerstress, Schlaf- und Bewegungsmangel, Fehlernährung, Gifte, Beschimpfungen etc. Irgendwann wehrt er sich mit Krankheit. Besonders älteren Menschen wurden noch eingetrichtert, es sei eine Sünde, seinen Körper zu lieben. Ein Mensch, der sich selbst so misshandelt und betrachtet, wird auch anderen mit Härte begegnen.

Jesus hat uns das Bewusstsein für die Bedürfnisse der Menschen vorgelebt. Die Kirche ist seinem Beispiel oft nicht gefolgt, reagiert bis heute kaum auf Warnzeichen und Appelle, sondern hält fest an angstmachenden Lehren, unbarmherzigen Gesetzen und Hierarchien, die Abwertung, Ausgrenzung, Konkurrenzkampf und Trennung erschaffen. Dadurch sind tiefe Spaltungen entstanden zwischen den Menschen und auch in ihnen selbst. So wurde der Leib Christi massiv ausgehöhlt, wie etwa der dramatische Schwund bei Mitgliedern, Priestern und Ordensleuten zeigt.

Unser Leib – im ständigen Erneuerungsprozess

Sind Harmonie und Gleichgewicht in unserem Körper gestört, reagiert er sofort mit seinem genialen Selbstheilungssystem, denn davon hängt unser Überleben ab. Dazu gehören auch die unablässig stattfindenden Reinigungs-, Entgiftungs- und Erneuerungsprozesse. Alle sieben Jahre haben wir so einen komplett neuen Körper, da alle Zellen ausgetauscht wurden. Geben wir uns dem steten Wechselspiel von Leben und Tod in all seinen Dimensionen hin, werden uns diese Erneuerungs- und Reifungsprozesse in die Einheit mit allen und allem führen.

Wenn die Kirche diese lebensnotwendigen Prozesse zulässt, Einsicht zeigt und Bereitschaft, Neues zu wagen, kann sie die Einheit wahren, ansonsten nährt sie die Trennung. Deshalb müssen Symptome wahrgenommen, Fehlentwicklungen gestoppt, Probleme erkannt und gelöst werden.

Leben im Einheitsbewusstsein

In unserem biologischen Körper ist alles mit allem bis ins Allerkleinste verbunden. Jede Zelle ist auf ihre Art wichtig für die harmonische Funktion und die Lebenserhaltung. Es gibt weder Trennung noch Konkurrenzkampf, sondern ein Zusammenwirken aller für das gemeinsame Ziel, beginnend bei der Zeugung. Die Samenzellen kooperieren, damit sich eine von ihnen mit der Eizelle vereinigt und neues Leben wachsen kann.

Da Körper, Geist und Seele untrennbar verbunden sind, können wir nur in Harmonie mit uns selbst sein, wenn Fühlen, Denken, Reden und Handeln eins sind. Dann strahlen wir die Liebe und den Frieden aus, durch die Gott uns nährt, und können Ferment der Einheit sein.

Die ganze Schöpfung strebt nach Zusammenarbeit und Harmonie, von den unendlichen Galaxien des Weltalls bis in die kleinste Körperzelle. Alle Menschen wiederum sind über das elektromagnetische Herzenergiefeld miteinander verbunden, so dass alle unsere Gedanken, Gefühle, Worte und Taten immer auch Auswirkungen auf andere haben. Selbst Tiere und Pflanzen kommunizieren mit uns. Der heilige Franziskus hat in seinem „Sonnengesang“ diese kosmische Einheit wunderbar ausgedrückt.

Im 20. Jahrhundert begannen mutige Menschen, die Einheit der Kirche auf ganz neue Weise zu leben. 1926 wagte Maria von Campello eine ökumenische Schwesterngemeinschaft, 1940 der weltbekannte Frère Roger ein „Gleichnis der Gemeinschaft“. Schon bald führte die heilige Geistkraft junge Leute aus aller Welt nach Taizé, heute strömen jährlich Zehntausende zu der internationalen Gemeinschaft. Gemeinsam beten sie dreimal täglich, lesen die Bibel, essen, reden, lachen, singen, tanzen, umarmen sich – trotz verschiedener Kulturen, Sprachen und Glaubenseinstellungen – ein Leib, ein Geist, ein Gott aller.
Amen.

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