Vorbei – aber nicht zu Ende / Christi Himmelfahrt A

Erste Lesung aus der Apostelgeschichte, Kapitel 1
Übersetzung: Bibel in gerechter Sprache, Über die Zeit der Apostelinnen und Apostel
1 Das erste Buch, Theophilus, habe ich über all das verfasst, was Jesus tat und lehrte
2 bis zum Tag, da er hinaufgenommen wurde, als er den Aposteln, die er ausgewählt hatte, durch die heilige Geistkraft Weisung gab.
3 Ihnen stellte er sich durch viele Beweise nach seinem Leiden als lebendig dar, indem er 40 Tage hindurch erschien und vom Reich Gottes sprach.
4 Und während er mit ihnen zusammenkam, wies er sie an, sich nicht von Jerusalem zu entfernen, sondern darauf zu warten, was vom Vater verheißen ist; „darüber habt ihr von mir gehört,
5 dass Johannes mit Wasser taufte, ihr aber mit heiliger Geistkraft getauft werdet nicht lange nach diesen Tagen.“
6 Als sie sich nun versammelt hatten, fragten sie ihn: „Herr, stellst du in dieser Zeit das Reich für Israel wieder her?“
7 Er sagte ihnen: „Nicht euch kommt es zu, Zeiten und Zeitpunkte zu kennen, die der Vater in eigener Souveränität festgesetzt hat.
8 Ihr werdet vielmehr Kraft empfangen, wenn die heilige Geistkraft über euch kommt, und werdet meine Zeugen sein in Jerusalem und in ganz Judäa und Samarien und bis ans Ende der Erde.“
9 Als er das gesagt hatte, wurde er vor ihren Augen emporgehoben, und eine Wolke nahm ihn auf und entzog ihn ihren Augen.
10 Und während sie, als er wegging, zum Himmel blickten, standen da zwei Gestalten in weißen Gewändern bei ihnen;
11 die sagten: „Ihr Männer aus Galiläa, was steht ihr da und blickt zum Himmel? Dieser Jesus ist euch entzogen und zum Himmel hinaufgenommen worden. Wie ihr ihn zum Himmel gehen gesehen habt, so wird er kommen.“

Autorin:
_MG_7932-web Birgit DroesserBirgit Droesser, Pastoralreferentin, war tätig in der Gemeindepastoral, in der Klinikseelsorge und im Theol. Mentorat Tübingen

 
Die Predigt:
Vorbei – aber nicht zu Ende

Liebe Leserin, lieber Leser,
mit der Schriftstellerin Elfriede Jelinek könnten auch wir „Das Vorbei“ (in: Die Winterreise) als Titel über alles irdische Leben schreiben. Immer wieder und andauernd ist alles vorbei: das Gestern, die vergangenen Stunden des Heute, ja der Moment, in dem ich diese Zeilen schreibe. Dieses Wissen und Grundgefühl kann tiefe Verunsicherung mit sich bringen, so als würden wir ständig in eine ungewisse Zukunft katapultiert.

Auch als Gott in dem einzigen Menschen Jesus von Nazareth das Erdenleben geteilt hat, stand es unter dem großen „Vorbei“. Alles begann mit der Verkündigung des Engels Gabriel an die junge Maria. Es folgten die Geburt im Stall von Bethlehem, 30 Jahre eines zurückgezogenen Handwerkerlebens in dem Städtchen Nazareth – die Zeit der Selbstfindung, dann die Berufung bei der Taufe am Jordan. Von da an trat Jesus in der Öffentlichkeit auf, verkündete und lebte das Reich Gottes aus einer einzigartigen Beziehung zum göttlichen Vater heraus. Er rief Menschen in seine Nachfolge und viele Männer und Frauen schlossen sich ihm an. Mit Höhen und Tiefen teilten sie sein konsequentes Leben bis zum Foltertod am Kreuz. Einige der Frauen wurden Zeuginnen seiner Auferweckung. Mit unterschiedlichen Geschichten erzählen die Evangelien davon, dass sich Jesus 40 Tage lang den Aposteln und vielen anderen Menschen zu erkennen gegeben hat, als lebendiger, wie er den Frauen gesagt hatte. Doch dann waren diese wundersamen Erlebnisse mit einem Mal vorbei. Jesus kehrte in die Einheit der göttlichen Dreifaltigkeit zurück. Dies war das Ende seines Erdenlebens und das feiern wir heute.

Ist das denn ein Grund zu feiern? Ja, denn es ist eben nicht aus und vorbei. Vielmehr könnte ohne dieses Vorbei die Sendung Jesu gar nicht weitergehen. Wir kennen das aus eigener Erfahrung, dass wir uns oft erst nach dem Tod eines geliebten Menschen mit seinem Leben und dem, was er verwirklichen wollte, intensiv auseinandersetzen. Eltern und Großeltern leben oft in ihren Sprüchen weiter. Oft geht uns vieles von ihrem Leben erst im Nachhinein auf, was sie uns bedeutet und wie sie uns geprägt haben, positiv und belastend – wie auch immer. Bei Jesus ist es ganz ähnlich und doch auch anders, denn er versprach allen, die zu ihm gehören wollen, seine heilige Geistkraft. Alle sollen mit ihr getauft, d.h. von ihr ganz und gar durchdrungen und erfüllt werden. Und am Ende des heutigen Evangeliums nach Matthäus heißt es: „Und seht: Ich bin alle Tage bei euch, bis Zeit und Welt vollendet sind.“

Auch wenn so vieles in unserem täglichen Erleben dagegen zu sprechen scheint: Jesus Christus wirkt – heute und morgen und alle Tage mit ungleich größerer Macht und Kraft, als er es zu seinen Lebzeiten tun konnte. Er lebt und wirkt in den Menschen, die sich ihm öffnen und an ihn glauben, mit großer Kraft. Er hat es uns versprochen. Nicht immer können wir es spüren, aber wenn es so ist, dann dürfen wir uns darüber sehr freuen.

Zum Schluss möchte ich Sie zur Entspannung und zur Verdeutlichung der Gedanken gerne auf eine kleine Fantasiereise* mitnehmen: – ein warmer Frühsommertag – tiefblauer Himmel, weiße Schäfchenwolken und strahlender Sonnenschein. Wir schauen auf eine ausgedehnte Wiese mit vielen, vielen kleinen Sonnen. Die Wiese ist nicht mehr grün, sie ist gelb von den strahlenden Blüten des Löwenzahns. – Wir gehen auf die Wiese zu und schauen genauer hin: da sehen wir zwischen den vielen Blüten federleichte, weißgraue und durchsichtige Kugeln. – Und wenn wir noch genauer hinschauen, entdecken wir zwischen den Blüten und Samenständen noch eine dritte Form der Pflanze, ziemlich unscheinbar, im Übergang, in der Metamorphose: Der Blütenstand ist geschlossen – bald wird er sich zu einer vollkommenen Kugel öffnen – aus den goldgelben Blütenblättern sind zarte silbrige Schirmchen geworden, an denen die Samen hängen.

Wir pflücken eine goldene Löwenzahnblüte und versenken uns in ihre Schönheit. – Jetzt pflücken wir eine Pflanze mit silberner Samenkugel. Wie schön ist auch sie. – Wir pusten sie an. Einzelne Schirmchen lösen sich. Der Wind trägt sie fort.

Ist das nicht ein treffendes Bild, für das was wir am heutigen Fest feiern? Die Blüte: Das Leben Jesu hat eine Goldspur auf dieser Erde gezogen. Es ist vorbei. Auch das Leiden ist vorbei. – Die Pflanze im Übergang: Dass Menschen den auferweckten und lebendigen Christus erleben durften, dass er sich ihnen gezeigt hat und zu erkennen gab, auch das ist vorüber. – Die Samenkugel: Aber Christus wirkt fort. Er ist nicht mehr an einem festen Ort zu finden, sondern überall, wo Herzen sich ihm öffnen – und zwar eben nicht als Erinnerung, sondern in Kraft und Macht, gegenwärtig gestern, heute und morgen.

Das Leben Jesu ist vorbei, aber noch lange nicht zu Ende – bis zum jüngsten Tag nicht. Amen
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* Die Anregung dazu fand ich bei Luise Schesselmann, Die christlichen Jahresfeste und ihre Bräuche, Hintergründe zum Feiern mit Kindern, Stuttgart 1992

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Eine Antwort auf Vorbei – aber nicht zu Ende / Christi Himmelfahrt A

  1. Walburga sagt:

    Ja, das Bild vom Löwenzahn passt gut. Schade nur, dass wir nie die strahlende Blüte gesehen haben. Bei einer Konvertitin habe ich bei ihrer Taufe das Strahlen erleben dürfen. Noch heute verändert sich strahlend ihr Gesichtsausdruck, wenn sie von ihrem Herrn spricht.

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