Versuche zu vergeben wie auch dir vergeben wird – 24. Sonntag im Jahreskreis A

Aus dem Evangelium nach Matthäus, Kapitel 18
21 Da trat Petrus zu Jesus und fragte: Herr, wie oft muss ich meinem Bruder vergeben, wenn er sich gegen mich versündigt? Siebenmal?
22 Jesus sagte zu ihm: Nicht siebenmal, sondern siebenundsiebzigmal.
23 Mit dem Himmelreich ist es deshalb wie mit einem König, der beschloss, von seinen Dienern Rechenschaft zu verlangen.
24 Als er nun mit der Abrechnung begann, brachte man einen zu ihm, der ihm zehntausend Talente schuldig war.
25 Weil er aber das Geld nicht zurückzahlen konnte, befahl der Herr, ihn mit Frau und Kindern und allem, was er besaß, zu verkaufen und so die Schuld zu begleichen.
26 Da fiel der Diener vor ihm auf die Knie und bat: Hab Geduld mit mir! Ich werde dir alles zurückzahlen.
27 Der Herr hatte Mitleid mit dem Diener, ließ ihn gehen und schenkte ihm die Schuld.
28 Als nun der Diener hinausging, traf er einen anderen Diener seines Herrn, der ihm hundert Denare schuldig war. Er packte ihn, würgte ihn und rief: Bezahl, was du mir schuldig bist!
29 Da fiel der andere vor ihm nieder und flehte: Hab Geduld mit mir! Ich werde es dir zurückzahlen.
30 Er aber wollte nicht, sondern ging weg und ließ ihn ins Gefängnis werfen, bis er die Schuld bezahlt habe.
31 Als die übrigen Diener das sahen, waren sie sehr betrübt; sie gingen zu ihrem Herrn und berichteten ihm alles, was geschehen war.
32 Da ließ ihn sein Herr rufen und sagte zu ihm: Du elender Diener! Deine ganze Schuld habe ich dir erlassen, weil du mich so angefleht hast.
33 Hättest nicht auch du mit jenem, der gemeinsam mit dir in meinem Dienst steht, Erbarmen haben müssen, so wie ich mit dir Erbarmen hatte?
34 Und in seinem Zorn übergab ihn der Herr den Folterknechten, bis er die ganze Schuld bezahlt habe.
35 Ebenso wird mein himmlischer Vater jeden von euch behandeln, der seinem Bruder nicht von ganzem Herzen vergibt.

Autorin:
Gaby Bungartz 001Gaby Bungartz, Pastoralreferentin in einer Seelsorgeeinheit im Allgäu, Sozialpädagogin, Supervisorin (DGSv)

 
Die Predigt:
Versuche zu vergeben, wie auch dir vergeben wird

Liebe Leserin, lieber Leser,
am heutigen 11. September jährt sich der grausame Terroranschlag auf das World Trade Center zum 10.Mal – viele von uns haben die grausamen Bilder der Zerstörung vom 11.9. 2001 noch vor Augen.

Diese Gedanken im Hinterkopf lese ich das heutige Evangelium – und empfinde es noch mehr als Provokation, als ich es ohnehin schon täte.
Petrus will es wieder einmal genau wissen und fragt Jesus, wie oft er denn seinem Bruder vergeben muss. Die Antwort Jesu „nicht siebenmal, sondern siebenundsiebzigmal“ ist im Hebräischen gleichzusetzen mit „unendlich oft“. –

Nicht nur Petrus und die junge christliche Gemeinde fragt: wie oft sollen wir einander vergeben? Gibt es da nicht eine Grenze, ein Maß, ein Limit? Müssen wir wirklich alles durchgehen lassen, verzeihen und vergeben? –Zum besseren Verständnis dessen, was mit „siebenundsiebzigmal“ gemeint ist, folgt ein Gleichnis.
Ein König – wir erahnen, dass es um Gott geht – erlässt einem Diener eine ungeheure, fast irreale Summe an Schulden. Historiker beziffern die 10tausend Talente mit heute über 20 Millionen Euro – eine Summe, die wohl kaum jemand je hätte zurückzahlen können. Wie gering sind dagegen die 100 Denare, die ein anderer Diener wiederum ihm schuldet. Ihm erlässt sie der Diener nicht. Gut nachvollziehbar, dass der König entrüstet und erzürnt reagiert. Wie kann sich jemand nur erdreisten, so egoistisch und kleinlich zu sein, wenn ihm selbst kurz zuvor übermenschliche Großzügigkeit widerfahren ist.
Doch bleiben wir nicht im Finanziellen hängen, denn dieses Bild wird nur der besseren Anschaulichkeit halber verwendet. Eigentlich geht es um den Umgang mit Schuld und das rechte Maß an Vergebung – ein zeitlos aktuelles Thema und für uns Christinnen und Christen eine bleibende Herausforderung!

Dass wir Menschen aneinander schuldig werden, weiß wohl jede und jeder aus der eigenen Lebensgeschichte. Schuld kann viele Gesichter haben, von kleinsten Unterlassungen bis hin zu unvorstellbar grausamen Taten. Schuldig werden wir durch das, was wir einander schuldig bleiben an Aufmerksamkeit und Achtung. Schuldig werden wir durch bewusstes Zerstören menschlicher Lebensgrundlagen, durch Boshaftigkeit, Egoismus und Intrigen, aber auch durch Mord und Totschlag, durch unterlassene Hilfeleistung, gezielte Unwahrheit und vieles andere mehr.

Das Eingestehen von Schuld gehört für viele Menschen mit zum Schwersten, was es im Leben gibt. Medizin und Psychologie haben uns gelehrt, dass unbewältigte Schuld der Auslöser zahlreicher, nicht nur psychosomatischer, Krankheiten sein kann.

Das Eingestehen eigener Schuld ist das eine – Vergebung erfahren – und dieselbe anderen Menschen zuteil werden zu lassen! – das andere. Jesus verkündet uns einen unendlich barmherzigen und vorbehaltlos verzeihenden Gott. Bei Jesus erhält der Mensch eine neue Chance. Eine Chance, die sehr wohl um die Vergangenheit, auch um die Narben von Schuld und Verletzungen weiß, eine Chance, die nicht auf „Vergeben und Vergessen“ aus ist, aber alte Schuld jetzt und heute nicht wieder neu aufrechnet.
An keiner Stelle fragt Jesus nach der schuldigen Vergangenheit eines Menschen und verlangt nie ein Schuldbekenntnis oder eine Wiedergutmachung als erstes. Wohl aber die Bereitschaft, aus der selbst empfangenen Vergebung Gottes einander ebenso zu vergeben – was nicht gleichbedeutend ist mit dem Vergessen dessen, was geschehen ist. Diese Erwartung Jesu formuliert der Evangelist Matthäus in der Vaterunser-Bitte: „Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben haben unsern Schuldigern!“.

Voraussetzung für die Vergebung Gottes ist die Vergebung, die wir einander immer wieder – mit den Worten des Gleichnisses unendlich oft – gewähren sollen.

Wie können wir nun diesem hohen Anspruch in unserem Lebensalltag gerecht werden, mag sich jetzt der eine oder die andere von Ihnen fragen.
Ich meine, indem wir es immer und immer wieder – eben siebenundsiebzigmal oder unendlich oft – versuchen, sei es auch nur bruchstückhaft und unvollkommen und mag es auch immer wieder Fälle geben, in denen es uns nicht gelingt (- denn dann dürfen wir uns SEINER Vergebung gewiss sein!).
Jede und jeder von uns braucht in unendlich vielen Situationen – gerade auch des täglichen Lebens – Vergebung. Und es gibt eine Vielzahl von Situationen grausamster Schuld, in denen es bis zur Vergebung ein schier nicht zu leistender Weg ist, der übermenschliche Kräfte zu benötigen scheint
Und dennoch ist das Evangelium des heutigen Sonntags eine Aufforderung, es trotzdem immer wieder aufs Neue in den kleinen Situationen des Alltags und Zusammenlebens zu versuchen und einzuüben, einander Schuld zu vergeben. Gott schenkt uns SEINE Vergebung unendlich oft dazu. Amen.

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