Gott rechnet anders – 25. Sonntag im Jahreskreis A

Aus dem Evangelium nach Matthäus, Kapitel 20
In jener Zeit erzählte Jesus seinen Jüngern und Jüngerinnen das folgende Gleichnis:
1 Mit dem Himmelreich ist es wie mit einem Gutsbesitzer, der früh am Morgen sein Haus verließ, um Arbeiter für seinen Weinberg anzuwerben.
2 Er einigte sich mit den Arbeitern auf einen Denar für den Tag und schickte sie in seinen Weinberg.
3 Um die dritte Stunde ging er wieder auf den Markt und sah andere dastehen, die keine Arbeit hatten.
4 Er sagte zu ihnen: Geht auch ihr in meinen Weinberg! Ich werde euch geben, was recht ist.
5 Und sie gingen. Um die sechste und um die neunte Stunde ging der Gutsherr wieder auf den Markt und machte es ebenso.
6 Als er um die elfte Stunde noch einmal hinging, traf er wieder einige, die dort herumstanden. Er sagte zu ihnen: Was steht ihr hier den ganzen Tag untätig herum?
7 Sie antworteten: Niemand hat uns angeworben. Da sagte er zu ihnen: Geht auch ihr in meinen Weinberg!
8 Als es nun Abend geworden war, sagte der Besitzer des Weinbergs zu seinem Verwalter: Ruf die Arbeiter, und zahl ihnen den Lohn aus, angefangen bei den letzten, bis hin zu den ersten.
9 Da kamen die Männer, die er um die elfte Stunde angeworben hatte, und jeder erhielt einen Denar.
10 Als dann die ersten an der Reihe waren, glaubten sie, mehr zu bekommen. Aber auch sie erhielten nur einen Denar.
11 Da begannen sie, über den Gutsherrn zu murren,
12 und sagten: Diese letzten haben nur eine Stunde gearbeitet, und du hast sie uns gleichgestellt; wir aber haben den ganzen Tag über die Last der Arbeit und die Hitze ertragen.
13 Da erwiderte er einem von ihnen: Mein Freund, dir geschieht kein Unrecht. Hast du nicht einen Denar mit mir vereinbart?
14 Nimm dein Geld und geh! Ich will dem letzten ebenso viel geben wie dir.
15 Darf ich mit dem, was mir gehört, nicht tun, was ich will? Oder bist du neidisch, weil ich (zu anderen) gütig bin?
16 So werden die Letzten die Ersten sein und die Ersten die Letzten.

Autorin:
Bild_Lerke1Maria Lerke,
Pastoralreferentin,
Seelsorgeeinheit Winnenden – Schwaikheim – Leutenbach

 
Die Predigt:
Gott rechnet anders

Liebe Leserin, lieber Leser,
„Abitur 2030“ – so lautete der Aufdruck auf einem klitzekleinen Babyhemdchen. Dieses stach uns sofort ins Auge, als wir nach einem Geschenk für ein neugeborenes Kind aus der Verwandtschaft suchten. Natürlich fingen meine Kinder sofort an zu rechnen und stellten fest, dass wir das auf keinen Fall schenken könnten. Denn die Hersteller hatten vergessen, dass es inzwischen den „G 8 Zug“ verbindlich für alle gibt. Wenn das Kind also mit sechs Jahren eingeschult wird und nach zwölf Schuljahren das Abitur macht, dann wird es im Jahre 2029 seinen Abschluss in der Tasche haben. Und sogleich entwickelte sich eine heiße Diskussion mit den Umstehenden über den Leistungsdruck, der inzwischen schon die ganz Kleinen belastet. Und tatsächlich hörte ich vergangene Woche im Radio einen Politiker fordern, dass man sich möglichst schnell sogar um die Förderung der gerade mal Einjährigen kümmern solle, da Deutschland im Bildungsvergleich der Länder inzwischen ganz schlecht dastehe.

„Leistung soll sich wieder lohnen“ Mit diesem Slogan wird nicht nur in der Politik geworben, auch in den Schulen und Vereinen gilt dieses Prinzip, schließlich gibt es ohne Fleiß keinen Preis!
Wettbewerbe sind in unserer Gesellschaft nicht mehr wegzudenken, ob nun Deutschland den Superstar oder das Supermodell sucht, ob ich unter hundert Bewerbern auf eine Stelle oder auf ein Studentenzimmer anstehe, immer wieder werde ich gemessen, „gecastet“, oder einfach wieder mal übersehen.
Der Blick auf diejenigen, die es geschafft haben, kann dann schon bewirken, dass ich mich besinne und versuche, mich auf das nächste Mal besser vorzubereiten, wenn es aber trotz Anstrengung wieder nicht klappt, wenn ich wieder und wieder ausgesondert werde, dann tut das weh, es frustriert, dieser Leistungsdruck kann sogar krank machen.
In einer ähnlichen Situation befanden sich wohl auch die Arbeiter, von denen wir eben im Gleichnis gehört haben. Sicher können wir uns bildhaft vorstellen, wie der Gutsbesitzer am Morgen auf den Marktplatz kommt, um sich nach Arbeitskräften umzusehen. Natürlich wird er morgens um sechs Uhr noch die ganze Auswahl haben, er sucht sich die Starken, die Ausgeschlafenen aus und vereinbart mit ihnen den üblichen Tageslohn. Als er merkt, dass er zu wenig Arbeiter für die viele Arbeit hat, geht er um Neun nochmals hin und sucht sich weitere Leute aus. Immer mehr Arbeiter muss er anwerben und so geht er um 12.00 Uhr, um 15.00 Uhr, ja sogar noch um 17.00 Uhr hin, um den dort Wartenden auch noch Arbeit zu geben. Die Freude unter ihnen war sicherlich groß, denn sie, die den ganzen Tag niemand haben wollte, bekamen so kurz vor Schluss doch noch eine Chance! Und als sie dafür sogar den Lohn eines ganzen Tages bekamen, da waren sie gerettet – denn ein Denar war in der damaligen Zeit so viel Wert, dass sie ihre Familie einen Tag lang ernähren konnten.
Da können auch wir uns sicherlich vorstellen, wie diejenigen, die schon von früh morgens an gearbeitet hatten, zu murren anfingen. Es ist ja auch von unseren Maßstäben her gesehen ungerecht, wenn die Vollzeit Beschäftigten den gleichen Lohn bekommen, wie diejenigen, die gerade mal eine Stunde geschafft haben.
Stellen Sie sich das mal vor, wenn ein Arbeitgeber in unserer modernen, globalisierten Welt auch so handeln würde, wenn alle den gleichen Lohn erhalten würden, wer würde sich dann noch anstrengen, wer würde dann noch pünktlich erscheinen? Würde diese Firma nicht innerhalb kürzester Zeit Pleite gehen? Wäre das gerecht – wäre das verantwortungsvoll?
Dieses Evangelium habe ich einmal einer neunten Klasse vorgelesen und die Kommentare über den „Arbeitgeber“ waren überwiegend vernichtend. Nur zwei Schüler konnten sich vorstellen, in so einem Betrieb zu arbeiten. Würden Sie so ein Arbeitsverhältnis eingehen wollen?

Fällt ihnen etwas auf? – Automatisch zählen wir uns zu denen, die seit morgens dabei sind, die geschuftet haben und die sich nun ungerecht behandelt fühlen. Wie wirkt das Gleichnis aber auf die Menschen, die arbeitslos sind, weil ihre Firma dorthin verlegt wurde, wo es billigere Arbeitskräfte gibt? Wie wirkt es auf die vielen Arbeitslosen, die wegen ihres Alters keine Chance mehr haben auf unserem Arbeitsmarkt?
Sie sehen also, das heutige Evangelium kann uns ganz unterschiedlich ansprechen, je nachdem, in welcher Lage wir uns gerade befinden. Doch in diesem Evangelium gibt es noch mehr Bedenkenswertes.
Eigentlich stoßen in diesem Gleichnis zwei Welten aufeinander. Ganz nüchtern und sehr echt wird eine Gesellschaft beschrieben, in der vor allem die Leistung zählt. Die Grundsätze der Leistungsgesellschaft galten auch schon zur Zeit Jesu. Auch da begegnen uns Neid, Konkurrenz und Machtkampf. Und in diese Welt des Leistungsdenkens und der Rivalität bricht nun die neue Welt Gottes ein, die Jesus den Menschen in seinen Gleichnissen verkünden will.

Er erzählt, dass es im Reich Gottes ganz anders ausgeht. Da werden die Letzten nicht nur ein paar Cent bekommen; sie bekommen genauso viel wie die anderen. Das ist schon ein starkes Stück! Wie müssen die Zuhörer von Jesus damals überrascht gewesen sein über diese unerwartete Wende in diesem Gleichnis. Im Reich Gottes gelten eben andere Gesetze.
Da wird zwar auch gearbeitet. Damals wusste auch jeder, um welche Arbeit es sich in Gottes eigenem Weinberg handelte. Dafür ausgewählt zu werden, das war für die Menschen ein Privileg. Dafür angeworben zu werden, das bedeutete eine große Auszeichnung.
Dafür brauchen wir keine Vorleistungen zu bringen. Die Initiative geht allein vom Weinbergbesitzer aus. Übertragen bedeutet das, dass Gott durch Jesus Menschen in seinen Weinberg ruft, er beruft auch uns heute zur Mitarbeit in seinem Reich, zur Mitarbeit an einer Welt, in der es gerechter, friedlicher und liebevoller zugeht.
Und dafür werden alle gleich belohnt. Das soll jetzt aber keine Aufforderung dafür sein, sich um die Sache mit der Religion und dem Glauben erst am Ende des Lebens zu kümmern, unter dem Motto, dass es da schon noch für ein Plätzle im Himmel reichen wird, das wäre allzu menschlich gerechnet!

Fragen wir doch andersrum: Ist es denn unser Verdienst, dass wir in eine christlich geprägte Familie hineingeboren, und dadurch schon früh von Gott „geworben“ wurden? Können wir verstehen, warum manche Menschen erst spät, oder erst durch Schicksalsschläge beginnen, nach Gott zu fragen? Können wir je eine Antwort darauf finden, warum Gott Menschen anwirbt, obwohl oder gerade weil sie unter einer schweren Krankheit leiden?
Gott – sei – Dank ist Gott kein kleinlicher Buchhalter! Er prüft nicht nach, was wir alles geleistet haben. Alle erhalten als Lohn das, was sie zum Überleben brauchen. Allen wird die Teilnahme am himmlischen Hochzeitsmahl geschenkt. Alle dürfen sich zum Lohn umfangen wissen von einer nie enden wollenden liebenden Gemeinschaft mit Gott.
Gott – sei – Dank misst Gott nicht mit unseren Maßstäben. Er verschenkt lieber als dass er rechnet, und das kommt schließlich uns allen zugute!
Gottes Gerechtigkeit hat eine andere Grundlage als die irdische. Bei ihm steht vor der Gerechtigkeit die göttliche Barmherzigkeit und die Überfülle seiner Liebe. Sein Blick ist voller Güte und Sorge und er gibt jeder und jedem das, was sie, was er braucht, den einen Denar des Lebens, den Denar des ewigen Lebens.

Jesus umwirbt mit diesem Gleichnis uns alle. Er will uns Mut machen, dass wir im Weingarten, im Reich Gottes mitarbeiten, auch wenn es dort viel zu tun gibt, auch wenn es große Durststrecken zu überstehen gilt. Als Belohnung erhalten wir alle die Erfüllung durch ihn, auch wenn wir noch so wenig erreicht haben.
Aber dann kommt die Frage, die uns ganz schön ins Schwitzen bringen kann. Nicht nur die Zuhörer damals werden gefragt – auch wir fühlen uns irgendwie ertappt durch seine Frage: „Oder bist du neidisch, weil ich gütig bin?“ Will Gott uns damit provozieren? Will er, dass wir uns rechtfertigen? Sind wir wirklich vom Neid bestimmt? Ist unser Blick wirklich böse, so wie die wörtliche Übersetzung lautet? Fordern wir Gerechtigkeit wirklich nur deshalb, weil wir noch mehr haben wollen?
Ziel des Gleichnisses ist schon auch, dass wir uns diesen Fragen stellen und unsere Wertvorstellungen im Sinne Jesu neu überdenken. Gerade heute, wo in vielen Gemeinden der Caritas-Sonntag gefeiert wird, gilt unsere Sorge den Menschen, die niemand überhaupt, oder niemand mehr zur Arbeit anwirbt. Not sehen und handeln, das ist der Auftrag, den nicht nur die Caritas sich zu Herzen nimmt. Auch wir alle sind eingeladen, in mehr Menschlichkeit zu investieren.
Gott gibt uns dazu die Anleitung. Er hebt die unheilvolle Trennung zwischen Gewinnern und Verlierern auf, indem er die Letzten und die Ersten gleich belohnt. Seine liebevolle Sorge für alle Menschen ist der Maßstab für sein Handeln. Wir alle profitieren ja schließlich von Gottes großer Barmherzigkeit, so dass auch wir großzügig und gönnerhaft zu anderen sein können.

Wir haben übrigens das Babyhemdchen mit dem Aufdruck „Abitur 2030“ nicht gekauft. Dafür fanden wir einen schönen Mond, der die Melodie „Guten Abend, gut Nacht“ spielt, wenn man an der Schnur zieht; in der Hoffnung, dass auch weiterhin der Herr es den Seinen im Schlafe gibt!

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Eine Antwort auf Gott rechnet anders – 25. Sonntag im Jahreskreis A

  1. Ulrike Ruppert sagt:

    Eine tröstliche Predigt. Ich werde versuchen mit meiner Mutter darüber zu sprechen, die in hohem Alter nun körperlich und geistig beeinträchtigt ist und sehr darunter leidet nicht mehr “ leistungsfähig“ zu sein. Danke und alles Gute!

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