Das Lamm Gottes – Anfragen an unser Leben / 2. Sonntag im Jahreskreis A

Aus dem Evangelium nach Johannes, Kapitel 1
In jener Zeit
29 sah Johannes Jesus auf sich zukommen und sagte: Seht, das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt hinwegnimmt.
30 Er ist es, von dem ich gesagt habe: Nach mir kommt ein Mann, der mir voraus ist, weil er vor mir war.
31 Auch ich kannte ihn nicht; aber ich bin gekommen und taufe mit Wasser, um Israel mit ihm bekanntzumachen.
32 Und Johannes bezeugte: Ich sah, dass der Geist vom Himmel herabkam wie eine Taube und auf ihm blieb.
33 Auch ich kannte ihn nicht; aber er, der mich gesandt hat, mit Wasser zu taufen, er hat mir gesagt: Auf wen du den Geist herabkommen siehst und auf wem er bleibt, der ist es, der mit dem Heiligen Geist tauft.
34 Das habe ich gesehen und ich bezeuge: Er ist der Sohn Gottes.

Autorin:
Maria Lerke Maria Lerke, Pastoralreferentin in der Seelsorgeeinheit Winnenden – Schwaikheim – Leutenbach

 
Die Predigt:
Das Lamm Gottes – Anfragen an unser Leben

Liebe Leserin, lieber Leser,
als ich vor 8 Jahren zu einer Fortbildung in Israel war, kam von dem begleitenden Pfarrer als erstes die Warnung: Vorsicht! Sie werden mit viel mehr Fragen heimfliegen, als sie hier angekommen sind! Bei der heutigen Stelle aus dem Johannes-Evangelium ist mir dieser Satz wieder eingefallen: Obwohl uns in jeder Eucharistiefeier sogar mehrmals diese Formel vom „Lamm Gottes“ begegnet, werden doch immer wieder aufs neue Fragen aufgeworfen: Gott und Lamm, wie passt das zusammen?

Soll damit an das Paschalamm erinnert werden, das jährlich zur Erinnerung an die Befreiung des Volkes Israel aus Ägypten geschlachtet und verzehrt wird? „Geschlachtet und verzehrt“ – will Johannes damit schon zu Beginn seines Evangeliums auf das Ende Jesu am Kreuz hinweisen, an die große Befreiung nicht nur aus Ägypten sondern aus der Macht des Todes? Verzehren – verzehren lassen – das kann auch ein Hinweis auf das Abendmahl sein, wo Jesus selbst für uns zum Brot des Lebens wird. Wir brauchen kein Lamm mehr zu schlachten – Jesus hat für uns sein Blut vergossen – durch ihn brauchen wir kein Blut zum Schutz an unsere Türen streichen – der Tod hat über uns keine Macht mehr.

Vielleicht soll ja auch an den Gottesknecht aus dem Buch Jesaja erinnert werden? Die Hoffnung auf einen Heilsbringer ist in der Geschichte Israels groß. Ein „Knecht Gottes“ soll die Menschen zum Licht führen. Obwohl schon viele Propheten an dieser Aufgabe gescheitert sind, gibt Gott nicht auf. Selbst wenn der Gottesknecht in den Augen der Menschen scheitert und stellvertretend für viele leiden muss, Gott bleibt ihm treu. Auch in diesem Gedanken finden wir einen Bezug zu Jesus, von dem es ja heißt, dass er sein Leiden und Kreuz stellvertretend „für uns“ getragen hat.

Seht das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt hinweg nimmt – diese Formel erinnert auch an den jüdischen Versöhnungsritus (Buch Leviticus 16,20-22): In einem öffentlichen Sündenbekenntnis wurde ein Bock symbolisch mit den Sünden des Volkes beladen und in die Wüste gejagt. Jesus als „Sündenbock“? Sein Tod am Kreuz – „wegen unserer Sünden“ – „zur Vergebung mit Gott“ – auch diese Formeln sind uns bekannt und stehen für den Versuch, den Sinn des Todes Jesu am Kreuz zu fassen.

Seht das Lamm Gottes! Diese Aussage über Jesus wirft viele Fragen auf! Vielleicht wollte Johannes aber gerade das erreichen? Diese Szene steht ja gleich am Anfang seines Evangeliums. Gleich zu Beginn lüftet der Evangelist sozusagen das Geheimnis um diesen Jesus – aber eben so „rätselhaft“, dass die Menschen wie in einem spannenden Buch unbedingt weiterlesen müssen, um am Ende des Rätsels Lösung zu finden. Auch an anderen Stellen wird immer wieder deutlich, welch großer Dramaturg der Evangelist Johannes war, mit welch ausgesuchten Sätzen und Geschichten er seine Leserinnen und Leser dem Geheimnis Jesu auf die Spur verhelfen will. Doch es geht nicht nur darum festzustellen, wie genial Johannes sein Evangelium „komponiert“ hat! Die Aussage: „Seht das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt hinweg nimmt!“ ist Evangelium, frohe Botschaft auch für uns heute!

In der aramäischen Sprache bedeutet „Lamm“ auch „Knecht“ – wenn Jesus als Lamm bezeichnet wird, dann ist das nicht nur das unschuldige, reine und kuschelige Christkindle in der Krippe, sondern er ist auch derjenige, der als Knecht sein Leben lang die Drecksarbeit anderer Leute gemacht hat. Vielleicht wollten auch deshalb die vornehmen Würdenträger nichts mit ihm zu tun haben. „Die Seinen erkannten ihn nicht!“ so hat es Johannes kurz vorher ausgedrückt. Die Hirten dagegen, selber nicht ganz gesellschaftsfähig, Knechte halt, die glaubten, dass in der Krippe im Stall der lang erwartete Retter lag.

Jesus hatte es auch später eher mit den „Knechten“ zu tun, mit Außenseitern, Ausgestoßenen und Armen. Dafür wurde er sogar von der eigenen Familie für verrückt erklärt. Es waren eher die einfachen Menschen, die spürten, dass Jesus die Liebe Gottes auf einzigartige Weise verkörperte. Und als sie ihn am Kreuz sterben sahen, da spürten sie, wie dreckig es ihm ging, da wurde ihnen klar, dass Gott nicht in goldener Ferne thront, sondern mit ihnen ist, selbst im dunkelsten Abgrund.

Wenn wir im Gottesdienst die Worte hören: Seht das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt hinweg nimmt, dann wird eine zerbrochene Hostie hochgehalten, ein kleines, gebrochenes Stück Brot, in dem Jesus selbst auf uns zukommt. Spätestens da sind auch wir vor die Entscheidung gestellt – brauchen wir das – brauchen wir, dass dieser Jesus unsere Sünden trägt und hinweg nimmt? Spüren wir, dass er das alles auch für uns tut und uns entgegen kommen will?

Die Sache mit den Sünden ist ja heutzutage gar nicht so einfach. Klar gibt es Verkehrssünden oder mal ein Stück Torte, das zur Diätsünde wird, aber sonst? Wir wissen zwar, dass nicht alles so ganz in Ordnung ist, Kränkungen, Verletzungen, Unerledigtes, Ängste und vielleicht der eine oder andere Ausraster. Aber ist das nicht normal? Manches tun wir ganz bewusst, man kann sich ja schließlich nicht alles gefallen lassen; manche Päckchen wurden uns aber auch schon über Generationen hinweg aufgeladen: zu wenig Liebe, zu wenig Wertschätzung, gesellschaftlicher Druck, Zwänge – gerade in der jetzigen Zeit der weltweiten Vernetzung wird immer mehr deutlich, wie sehr wir hinein verstrickt sind in weltweite Machtspiele und Machenschaften des Bösen! Und oft müssen wir zugeben, dass wir uns selber kaum daraus befreien können. Ja – auch wir sind erlösungsbedürftig!

Jesus bietet uns diese Erlösung an aus reiner Liebe – einfach so! Er wird freiwillig unser Sündenbock, der all das weg schafft, was unsere Beziehung zu Gott stört oder sogar zerstört. Er will, dass wir heil werden, um befreit und entlastet wieder auf andere zugehen zu können. Dass er für uns sein Leben hingegeben hat und uns in jedem Gottesdienst neu zur Kraftquelle, zur Nahrung werden will, ist und bleibt ein Geheimnis des Glaubens. Trotzdem lohnt es sich, ein Leben lang dieses Geheimnis zu ergründen.

Jesus selbst hat uns dafür eine heiße Spur gelegt: wenn wir im zerteilten Brot das Lamm Gottes sehen, dann sehen wir auch all die Menschen, die gebrochen und geplagt sind. Seht das Lamm Gottes! – ist auch ein Ruf in die Nachfolge: Hin zu den Schwestern und Brüdern, den Armen, die im Dunkeln sitzen, hin zu den Menschen, die unterdrückt und geknechtet werden. Die Kraft dieses Mahles kann uns helfen, Menschen auch aus den Versklavungen unserer Zeit zu befreien und den „Zu-Kurz-Gekommenen“ einen Weg in das Gelobte Land zu ermöglichen.

Vorsicht! Der eine oder andere wird uns vielleicht für „belämmert“ halten – aber auch darin würden wir niemand anderem als Jesus Christus selbst nachfolgen.

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