Offen sein für das Neue, warten, suchen anfangen – 2. Adventssonntag A

Erste Lesung aus dem Buch Jesaja, Kapitel 11
1 An jenem Tag wächst aus dem Baumstumpf Isais ein Reis hervor, /
ein junger Trieb aus seinen Wurzeln bringt Frucht.
2 Der Geist des Herrn lässt sich nieder auf ihm: /
der Geist der Weisheit und der Einsicht, der Geist des Rates und der Stärke, /
der Geist der Erkenntnis und der Gottesfurcht.
3 Er erfüllt ihn mit dem Geist der Gottesfurcht. /
Er richtet nicht nach dem Augenschein /
und nicht nur nach dem Hörensagen entscheidet er,
4 sondern er richtet die Hilflosen gerecht /
und entscheidet für die Armen des Landes, wie es recht ist. Er schlägt den Gewalttätigen /
mit dem Stock seines Wortes und tötet den Schuldigen /
mit dem Hauch seines Mundes.
5 Gerechtigkeit ist der Gürtel um seine Hüften, /
Treue der Gürtel um seinen Leib.
6 Dann wohnt der Wolf beim Lamm, /
der Panther liegt beim Böcklein. Kalb und Löwe weiden zusammen, /
ein kleiner Knabe kann sie hüten.
7 Kuh und Bärin freunden sich an, /
ihre Jungen liegen beieinander. /
Der Löwe frisst Stroh wie das Rind.
8 Der Säugling spielt vor dem Schlupfloch der Natter, /
das Kind streckt seine Hand in die Höhle der Schlange.
9 Man tut nichts Böses mehr /
und begeht kein Verbrechen /
auf meinem ganzen heiligen Berg; denn das Land ist erfüllt von der Erkenntnis des Herrn, /
so wie das Meer mit Wasser gefüllt ist.
10 An jenem Tag wird es der Spross aus der Wurzel Isais sein, /
der dasteht als Zeichen für die Nationen; die Völker suchen ihn auf; /
sein Wohnsitz ist prächtig.

Autorin:
Utta Hahn (2)Utta Hahn, Gemeindereferentin, Landpastoral Schönenberg in Ellwangen

 
Die Predigt:
Offen sein für das Neue, warten, suchen, anfangen

Liebe Leserin, lieber Leser,
Advent heißt Ankunft
– eine Zeit, in der wir auf die Ankunft von etwas oder von jemandem warten und den Blick auf die Zukunft richten;
– eine Zeit, in der wir ankommen möchten, bei unseren Hoffnungen und Träumen.

Daher lesen wir in der Adventszeit genau die Texte der Bibel, die sich mit der Zukunft auseinandersetzen. Heute hören wir den Propheten Jesaja. Er will dem Volk Israel im achten Jahrhundert vor Christus eine Perspektive geben. In einer Situation der Bedrohung von außen – der kleine Staat wird vom mächtigen Reich Assur bedroht – und von innen – die geistigen und gesellschaftlichen Führungsschichten handeln verantwortungslos und gottvergessen, so dass viel Unrecht, Ausbeutung und Missbrauch von Macht geschieht.

Ein Prophet verkündet, was er sieht. Er sieht es im Alltag und sieht es in Visionen, in denen Gott ihm das Sehen schenkt. Er sieht die Wahrheit – das macht ihn oder sie zum Propheten oder zur Prophetin Gottes. Oft ist die verkündete Wahrheit für die Reichen und Mächtigen nicht angenehm, weil ihnen gesagt wird, was sie im Herzen wissen und ahnen, dass sie verantwortlich sind, für viel Unrecht, das geschieht.

Propheten sehen auch, was kommen kann. Sie sehen die düsteren Folgen, aber fast alle haben sie auch Visionen, wie die Welt sich zum Guten wandeln kann. Sie erinnern an die Geschichte Gottes mit dem Volk und zeigen, wie die Welt sein wird, wenn Gott wieder „in ihrer Mitte wohnt“.

So ist auch die Vision des Jesaja, die wir heute hören, eine Verheißung – ein Hoffnungsbild für alle, die ein Hoffnungsbild brauchen, weil ihr Leben jetzt so hoffnungslos scheint. Es sind Bilder, so kraftvoll und tief, dass sie Sehnsüchte und Wünsche in unsrer Seele anrühren und zum Schwingen bringen können.

Das erste Bild: aus dem Baumstumpf wächst ein Reis hervor
Ein Baumstumpf bleibt übrig, wenn ein Baum gefällt wird und sieht meist sehr trostlos und hoffnungslos aus, ja und es ist kaum vorstellbar, dass aus diesem verstümmelten Rest eines vielleicht zuvor großen und mächtigen Baumes noch jemals was werden kann.
Der Baumstumpf zeigt die Spuren der Gewalt, die passiert ist und das Ausgeliefertsein.
Doch es passiert das Unerwartete. Die Wurzel enthält so viel Lebenskraft, dass sich neue Triebe bilden, ein neuer Spross entsteht. Mit aller Macht drängt das Leben nach vorne, drängt weiter. – Ein Hoffnungsbild für unser Leben. Nicht ein gleichgültiges – die Zeit läuft halt weiter und das Leben eben auch… sondern die Zusage und Verheißung, dass selbst scheinbar aussichtslose Situationen sich zu einer verheißungsvollen Zukunft wandeln können. Da ist nichts mehr wie vorher, aber es ist Leben.

Und der Geist Gottes lässt sich auf ihm nieder – das Neue, Hoffnungsvolle ist mit Gottes Geist gesegnet – Für Israel war das eine Heilsgestalt, die wie ein perfekter und begnadeter König, wie ein geistiger Führer für alle das Beste will und das Wohl jedes Einzelnen wie auch der Gemeinschaft im Blick hat. – Das Neue muss nicht mehr unter den alten Bedingungen agieren. Es hat die Chance, gleich auf das Gute zu setzen. Unter dem Geist Gottes leben, heißt diesem Geist Raum zu geben – also der Weisheit, der Einsicht, dem Rat und der Stärke, der Erkenntnis und der Gottesfurcht – das ist doch ein starkes Programm.

Das zweite Bild: Dann wohnt der Wolf beim Lamm…
In der Schöpfung gibt es Momente des Friedens und des Vertrauens. Wolf und Lamm stehen für absolute Unvereinbarkeit. Ein Wolf der Hunger hat, wird immer im Lamm eine leichte Beute sehen, die ihm und der Meute nicht viel Energie und Anstrengung kostet und ein Lamm steht für die Unschuld und Arglosigkeit per se. Dass die beiden miteinander wohnen, kann nach aller menschlichen Erfahrung nicht gut gehen. – Und in diesem Bild steckt die Hoffnung und die Verheißung, dass wir alle, selbst Wolf und Lamm über unsere Gegebenheiten hinauswachsen können und in jedem und jeder von uns Möglichkeiten stecken, die uns zu Frieden und Gemeinschaft führen können. Gottes Geist macht dies möglich. Im Leben des Einzelnen, aber auch im Zusammenleben ganzer Gesellschaften.
Wenn wir Gottes Geist zulassen, und gar mit ihm rechnen, dann müssen wir nicht in Angst und Gewalt stecken bleiben, dann können wir miteinander leben. Das ist die Verheißung des Jesaja.

Noch ein Bild: Ein kleines Kind hütet Kalb und Löwe
Da, wo der Geist Gottes unser Tun leitet, da kann es vorkommen, dass ein Löwe Gras frisst und zusammen mit unbändigen und freiheitsliebenden Kälbern von einem Kind gehütet werden kann. – Kinder sind diejenigen, die keine Stärken und keine Lebenserfahrung vorweisen können. Das neue Miteinander funktioniert, weil es nicht auf der Macht des Stärkeren beruht, sondern auf gutem Hinhören und Rücksichtnahme. Es herrscht die Einsicht und das Vertrauen, dass keiner zu kurz kommt und genug für alle da ist.

Ein schöner Traum?
Ja, ein schöner Traum – aber nicht utopisch im Sinne von unerreichbar.

Jesaja möchte seine Mitmenschen auffordern selbst Hand anzulegen, damit eine neue geisterfüllte Welt entstehen kann. Gott hat Großes mit uns vor und es gibt Niemanden und keinen Ort, der nicht wert wäre, dass dort Neues zum Vorschein kommt.

Advent heißt Ankunft.
Wollen wir selbst ankommen? Unsere Träume Wirklichkeit werden lassen?
Ankommen bei uns selbst und bei unseren Mitmenschen?
Ankommen bei Gott, der auf uns wartet?

Und / Oder wollen wir warten?
Offen sein, für das Neue, es suchen, wo es nicht zu erwarten ist?
Es finden, wo keine Hoffnung war?
Wollen wir aktiv warten und suchen, wer und was kommt?

Advent heißt Ankunft.
Uns ist der Geist Gottes verheißen und das Paradies.
Uns ist das Ende von Angst und Gewalt verheißen.
Wollen wir anfangen?

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