Vorstoßen bis zum Brunnenpunkt – 1. Adventssonntag A

Aus dem Evangelium nach Matthäus, Kapitel 24
In jener Zeit sprach Jesus zu seinen Jüngern und Jüngerinnen:
29 Sofort nach den Tagen der großen Not wird sich die Sonne verfinstern und der Mond wird nicht mehr scheinen; die Sterne werden vom Himmel fallen und die Kräfte des Himmels werden erschüttert werden.
30 Danach wird das Zeichen des Menschensohnes am Himmel erscheinen; dann werden alle Völker der Erde jammern und klagen und sie werden den Menschensohn mit großer Macht und Herrlichkeit auf den Wolken des Himmels kommen sehen.
31 Er wird seine Engel unter lautem Posaunenschall aussenden und sie werden die von ihm Auserwählten aus allen vier Windrichtungen zusammenführen, von einem Ende des Himmels bis zum andern.
32 Lernt etwas aus dem Vergleich mit dem Feigenbaum! Sobald seine Zweige saftig werden und Blätter treiben, wisst ihr, dass der Sommer nahe ist.
33 Genauso sollt ihr erkennen, wenn ihr das alles seht, dass das Ende vor der Tür steht.
34 Amen, ich sage euch: Diese Generation wird nicht vergehen, bis das alles eintrifft.
35 Himmel und Erde werden vergehen, aber meine Worte werden nicht vergehen.
36 Doch jenen Tag und jene Stunde kennt niemand, auch nicht die Engel im Himmel, nicht einmal der Sohn, sondern nur der Vater.
37 Wie es in den Tagen des Noach war, so wird es bei der Ankunft des Menschensohnes sein.
38 Wie die Menschen in den Tagen vor der Flut aßen und tranken und heirateten, bis zu dem Tag, an dem Noach in die Arche ging,
39 und nichts ahnten, bis die Flut hereinbrach und alle wegraffte, so wird es auch bei der Ankunft des Menschensohnes sein.
40 Dann wird von zwei Männern, die auf dem Feld arbeiten, einer mitgenommen und einer zurückgelassen.
41 Und von zwei Frauen, die mit derselben Mühle mahlen, wird eine mitgenommen und eine zurückgelassen.
42 Seid also wachsam! Denn ihr wisst nicht, an welchem Tag euer Herr kommt.
43 Bedenkt: Wenn der Herr des Hauses wüsste, zu welcher Stunde in der Nacht der Dieb kommt, würde er wach bleiben und nicht zulassen, dass man in sein Haus einbricht.
44 Darum haltet auch ihr euch bereit! Denn der Menschensohn kommt zu einer Stunde, in der ihr es nicht erwartet.

Autorin:
Beate_3Beate Limberger, Gemeindereferentin, Klinikseelsorgerin im Klinikum Heidenheim

 
Die Predigt:
Vorstoßen bis zum Brunnenpunkt

Liebe Leserin, lieber Leser,
„Wer Gott umarmt, findet in seinen Armen die ganze Welt“ – dieses kurze und prägnante Wort der Alltagsmystikerin des 20. Jahrhunderts Madeleine Delbrêl fällt mir ein, wenn ich das heutige Evangelium auf mich wirken lasse. Drastische Bilder werden in diesem Evangelium gezeichnet, vielfach in Bezug zu den alttestamentlichen Texten, um das Endgericht zu beschreiben, das Matthäus mit der Zerstörung Jerusalems (im Jahr 70 nach Christus) als bereits in Gang gekommen sieht. Die Welt im Großen: herabfallende Sterne, eine verfinsterte Sonne usw., wie auch im Kleinen: die saftigen Zweige des Feigenbaums, finden sich hier wieder. Hinweise auf das Ende, das jedoch unbestimmt bleibt: jenen Tag und jene Stunde kennt niemand…

2000 Jahre später: weltweite politische Unsicherheiten, Kriege, Fluchtbewegungen, Hungersnöte, Klimawandel, Naturkatastrophen, Krankheiten, Nöte, Sorgen… – es scheint sich nichts geändert zu haben. Als Madeleine Delbrêl den obigen Satz verfasst hat, tobte der zweite Weltkrieg. Endzeitstimmung… Doch sie lässt sich nicht durcheinander bringen. Tatkräftig setzt sich Madeleine gemeinsam mit den Kommunisten in Ivry, der Arbeitervorstadt von Paris, ein für die Benachteiligten, Kriegsflüchtlinge, für die sozial Abgeschobenen. Sie engagiert sich auch politisch gegen Fremdenfeindlichkeit, gegen die Todesstrafe in den USA, gegen das rechts ausgerichtete Franco-Regime in Spanien.
Sie nimmt tatsächlich die ganze Welt in ihren Blick oder in ihren Worten: „in den Arm“.
An ihrer Beerdigung sagt der kommunistische Bürgermeister von Ivry: „ich glaube auch heute nicht an Gott, aber wenn es ihn gibt, dann hat er das Antlitz von Madeleine.“

Daraus wird deutlich, was Madeleines Handeln und Wirken bestimmte: ein ungebrochenes Festhalten an Gott, den sie in jeder „kleinen Falte der großen Wirklichkeit“ sieht. Pater Alfred Delp drückt es im Gefängnis kurz vor seiner Hinrichtung folgendermaßen aus: „Die Welt ist Gottes so voll. Aus allen Poren der Dinge quillt er uns gleichsam entgegen, wir aber sind oft blind. Wir bleiben in den schönen und den bösen Stunden hängen und erleben sie nicht durch bis an den Brunnenpunkt, an dem sie aus Gott herausströmen… In allem will Gott Begegnung feiern.“

Das ist wohl gemeint, wenn Jesus im Evangelium sagt: Seid also wachsam! Offensichtlich geht es ihm hier um die innere Einstellung, was an seinen Vergleichen deutlich wird: Zwei Männer arbeiten auf dem Feld, zwei Frauen mahlen mit derselben Mühle. Die Menschen tun also genau das gleiche, aber die innere Haltung ist eine andere. Vielleicht kann man die Einladung zu dieser Haltung mit den Worten Alfred Delps ausdrücken: „In allem will Gott Begegnung feiern.“

Dies in der Realität meines Lebens tatsächlich mit hereinzuholen, ist tägliche Herausforderung. Wie oft ertappe ich mich dabei, an der Oberfläche zu bleiben, eben nicht vorzustoßen bis zu diesem „Brunnenpunkt“. Alfred Delp hat diesen Punkt für sich gefunden, den drohenden Hinrichtungstod vor Augen. Und Madeleine Delbrêl auch, die in tiefgehenden Texten von ihrer intensiven Gottesbeziehung spricht. Mir fallen weitere Menschen ein, die in ihrer oft so schweren Realität an Gott festhalten: ich denke an die Frau, die durch ihre Behinderung an den Rollstuhl gefesselt ist, kürzlich im Krankenhaus ihre Mutter verloren hat, und jetzt eine andere Patientin liebevoll tröstet. Mir kommt der Muslim in den Sinn, dessen drei Brüder in jungen Jahren gestorben sind und dem es jetzt ein Herzensanliegen ist, Menschen in schweren Situationen beizustehen. Oder eine Frau die sagt: „in meiner Krebserkrankung umarmt mich Gott.“ Solche Menschen berühren zutiefst meine Seele, und sie lassen mich darauf hoffen, dass es noch nicht vorbei ist mit dieser Welt und mit diesem Gott… trotz um sich greifender Endzeitstimmung.

Das Ende kommt bestimmt – für jeden Menschen verfinstert sich die Sonne, fallen gleichsam die Sterne vom Himmel mit dem Tod. Ob das nachher ist, oder morgen oder in etlichen Jahren…wachsam zu sein, da zu sein im Hier und Jetzt, in allem Gottesbegegnung feiern… dazu fordert uns Jesus heute heraus. Und das ist Einladung und Herausforderung gleichermaßen.
——————————————————————————————————————————————
Zum Weiterlesen: Annette Schleinzer: Die Liebe ist unsere einzige Aufgabe – Das Lebenszeugnis Madeleine Delbrêls
Delbrêl, Madeleine: Deine Augen in unseren Augen – Die Mystik der Leute von der Straße

Dieser Beitrag wurde unter Predigten veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Eine Antwort auf Vorstoßen bis zum Brunnenpunkt – 1. Adventssonntag A

  1. Hubert Jacobs sagt:

    Es war schon richtig, wenn Madeleine Debrêl die damalige Zeit erkannt hat und die kommunistischen Umtriebe in der Arbeiterschaft durchschaute. Von ihrer Mystik her, konnte sie die Weichen stellen. Ihr Einfluss blieb nicht ohne Wirkung. Gerade heute wird wieder prophetisches Denken und Zeichensetzen erwartet, von dem ja eine Kraft ausgeht, dessen Ursprung Gott selbst ist. Die Zeichen der Zeit sind auch heute erkennbar. Es zeigt sich in der Hilfestellung die es noch gibt. Dies verleiht mir eine Gelegenheit mein eigenes Leben zu überdenken um am Ende nicht zu erschrecken.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

9 + 1 =

Du kannst folgende HTML-Tags benutzen: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>