Sünderin oder kluge Frau? – 11. Sonntag im Jahreskreis C

Aus dem Evangelium nach Lukas, Kapitel 7
Übersetzung: Fridolin Stier
36 Es bat Jesus aber einer der Pharisäer, mit ihm zu essen. Und so ging er in das Haus des Pharisäers und lagerte sich zu Tisch.
37 Und da! Eine Frau war in der Stadt, eine Sünderin. Als sie erfuhr, er habe sich im Haus des Pharisäers zu Tisch gelegt, brachte sie ein Alabasterfläschchen voll Salböl.
38 Sie trat von hinten an seine Füße heran – weinend – und begann, mit den Tränen seine Füße zu netzen. Sie trocknete sie mit dem Haaren ihres Kopfes und liebkoste seine Füße und salbte sie mit dem Salböl.
39 Als der Pharisäer, der ihn eingeladen hatte, es sah, sprach er bei sich und sagte: Der – wenn er ein Prophet wäre, so müsste er merken, wer und was für eine die Frau ist, die sich an ihm festhält – dass sie eine Sünderin ist.
40 Und Jesus hob an und sprach zu ihm: Simon, ich habe mit dir etwas zu besprechen. Der sagte darauf: Lehrer, sprich!
41 Ein Geldverleiher hatte zwei Schuldner. Der eine schuldete ihm fünfhundert Denare, der andere fünfzig.
42 Da sie nichts hatten um zurückzuzahlen, schenkte er es beiden. Welcher von ihnen wird ihn nun mehr lieben?
43 Hob Simon an und sprach: Ich nehme an, der, dem er mehr geschenkt hat. Er aber sprach zu ihm: Zutreffend hast du gerichtet.
44 Und zur Frau gewandt, sagte er zu Simon: Erblickst du diese Frau? Ich bin in dein Haus gekommen, Wasser auf die Füße hast du mir keins gegeben – die aber hat mit den Tränen meine Füße genetzt und mit ihren Haaren getrocknet.
45 Keinen Kuss hast du mir gegeben – die aber, seit sie hereingekommen ist, ließ nicht ab, meine Füße zu liebkosen.
46 Mit Öl hast du mir den Kopf nicht gesalbt – die aber hat mit Salböl meine Füße gesalbt.
47 Deshalb – ich sage dir. Nachgelassen sind ihre Sünden, die vielen, denn sie hat viel geliebt. Dem wenig nachgelassen ist, der liebt wenig.
48 Zu ihr aber sprach er: nachgelassen sind deine Sünden.
49 Und die Leute, die zu Tisch lagen, fingen an, unter sich zu sagen: Wer ist das, dass er sogar Sünden nachlässt? Er aber sprach zu der Frau: Dein Glaube hat dich gerettet. Geh in Frieden!

Autorin:
VMHEZ64LMaria Sinz, Gemeindereferentin, Aalen

 
Die Predigt:
Sünderin oder kluge Frau?

Liebe Leserin, lieber Leser,
beim Lesen dieses Evagneliums macht sich bei mir ein Unbehagen breit. Im Mittelpunkt der Handlung steht eine Frau. Mich irritiert, wie über sie geredet wird. Jesus und Simon unterhalten sich über ihren Kopf hinweg. Irgendwie befremdlich, auch wenn im Verlauf der Unterredung Simons Haltung in Frage gestellt wird. Jesus führt ihn geschickt zu sich selbst zurück. Einig scheinen sich die beiden zu sein, dass die Frau die „größere“ Sünderin sei.

Simon stört sich daran, wer und was für eine die Frau ist. Vermutlich verdient sich die Frau ihren Lebensunterhalt mit Prostitution*. Erstaunlich, dass nicht die Ausbeutung der Frau zum Gespräch wird. Verwunderlich, dass die Haltung der Freier unthematisiert bleibt. Die Frage nach gesellschaftlichen Bedingungen, die Frauen dazu zwingen,durch Prostitution ihren Lebensunterhalt zu verdienen, wird nicht gestellt. Wäre dies der Fall, so würde die Bewertung von viel und weniger anders ausfallen, es sei denn, wir ignorieren das Involviertsein in strukturelle Sünde. Biblisch gesehen ist von Sünde die Rede bei einem Verhalten, das die Gemeinschaft und das Verhältnis zu Gott nachhaltig stört oder schadigt. Die Frage ist, inwiefern wir erkennen, dass und wie Prostitution menschlicher Gemeinschaft schadet. In Stuttgart hängen neuerdings Plakate mit der Aufschrift „Prostituierte sind Menschen“, eine Aktion, die sich gegen Ausbeutung von Zwangsprostituierten richtet. Gut gemeint, dennoch schauderhaft. Wir sind meilenweit davon entfert, Freier zu ächten, das Kaufen von „sexuellen Dienstleistungen“ als Angriff auf die Freiheit und Würde von Menschen zu ächten.

Dies musste vorneweg zur Art und Weise der Erzählung gesagt sein. Nun werfe ich einen zweiten Blick auf den Text. Jenseits von viel und wenig: Was geschieht? Eine Sünderin hält sich an Jesus fest. Gute Idee einer klugen Frau. Nun sind Sünde und Sünderin sperrige Worte, Bezeichnungen, die wir aus unserem normalen Wortschatz eher verbannen, Beschreibungen, die uns nicht als erstes einfallen, wenn wir unser Selstbild erstellen. Schade eigentlich, denn mit Sünder-Sein ist einfach eine schlichte Realität beschrieben. Ich nenne es – für mich – unzulänglich sein.

Die Frau hat offensichtlich nicht Macht, die Verhältnisse zu ändern. Sicher ist sie ein ungebetener Gast. Keiner hält sie auf. Sie hält sich an Jesus fest, weint, liebkost, salbt. Ich sehe darin einen Ausdruck von „heil sein“. Jesus freut sich über die Wertschätzung. Hier sehe ich eine Qualität von Begegnung. Mitten im Elend, im Verurteiltsein, in hierarchischen Verhältnissen geschieht etwas ganz anderes. Die Frau zeigt, wer und was sie auch ist, jenseits der gesellschaftlichen Ächtung: ein Mensch, den es zu Jesus zieht. Und Jesus nimmt ihre Gesten an.

Mir gefällt diese Idee einer klugen Frau. Wenn ich an meiner Unzulänglichkeit fast verzweifle, wenn ich meine soziale Rolle gerade mal wieder schlecht ertrage oder, in anderer Situation gefährdet bin, meine Selbstüberschätzung an Hybris grenzen zu lassen, mich genau dann mit Jesus zu verbinden. Mich der Wahrheit zu nähern, in meinen ganzen Zusammenhängen, so wie ich bin, geliebt zu sein. Das erdet und befreit.

Manchmal ist es lästig, sich durch einen Erzählrahmen durchzuwühlen, miterzählte Bewertungen an die Seite zu stellen, ewiggleiche Erzählmuster zu durchbrechen. Andererseits fasziniert mich, dass immer die Botschaft hin zu mehr Leben durchscheint. Es ist wie im Alltag. Was mir zum Beispiel schwerfällt ist, mit Eitelkeiten von Vorgesetzten umzugehen. Kennen sie auch welche, denen es immer zuerst um die Pflege der eigenen Position geht vor der je zu bearbeitenden Aufgabe? Oder neulich: ein Mitarbeiter einer benachbarten Abteilung, der – ohne Witz – sich selber als Sonne bezeichnet und alles Geschehen um ihn herum als Planeten. In meiner Alltagsabschussliste gleich darauf kommen Kollegen, die bei jeder sich bietenden Gelegenheit – immer ungefragt – ihre Sicht der Dinge, triefend vor Wertung, darlegen. Ich bin jeweils froh, wenn es gelingt, solche Muster zu durchbrechen odere Orte der Wertschätzung zu suchen, konkret bei anderen Kollegen, oder in der Erinnerung, machmal auch mit einem Stoßgebet. Besser jedenfalls, als sich in Fremdbewertung reinziehen zu lassen.

Ja, das Handeln diser klugen Frau gefällt mir. Ich packe es in meine Erinnerungskiste für den Alltag. Und ich führe es mir vor Augen, wenn ich über die Nachricht nachdenke, dass Ordensfrauen dem Papst abgerungen haben, den Frauendiakonat zu prüfen. Vom Hocker reißt diese Nachricht zunächst niemanden. Logisch weiter gedacht, stellt sich natürlich wieder die Frage nach dem Priesteramt. In diesem Zusammenhang habe das Lehramt der Kirche Zweifel, ob die Kirche ermächtigt sei, Frauen zu weihen. Nun, mir würde gefallen, wenn diese Aussage mal in folgenden Kontext gestellt wird: eine Kirche, die sich ermächtigt sieht, Sünden zu vergeben, wie kann sie Zweifel haben ermächtigt zu sein, Menschen weiblichen Geschlechts zu weihen?

Ich bin optimistisch. Wir nähern uns insgesamt, langsam zwar aber stetig, einem anderen Blickwinkel an: in Richtung jesuanisch. Jesus verweist den nörgelnden Simon auf sich selbst. Wie befreiend, wenn in der Kirche hinsichtlich der Geschlechterfrage begonnen wird, die Haltung der Machtinhaber zu hinterfragen, die Frage nach der Weihe und die Frage nach der Entscheidungsbefugnis zu unterscheiden. Diesen Weg konsequent zu verfolgen, das wünsche ich mir. Das Tempo darf beschleunigt werden. Die Schritte dürfen konkreter sein, etwa zügige Umsetzung von „Gemeindeleitung in Frauenhand“, auch Dekane können Frauen sein, Schuldekaninnen haben wir ja schon. Im Ordinariatsrat mindestens ein Drittel Frauen. „Top down“ läuft das Projekt ja schon in unserer Diözese. Allenthalben wirken sich noch gut gepflegte Männerseilschaften aus. Deren Ende ist absehbar.

Eine junge Kollegin stellte neulich fest, was unser Part, der der vielen Gemeinde- und Pastoralreferentinnen, in dieser Zeit sei. Eine ehrenamtliche Mitarbeiterin, die selbst bald die Geschäftsführung des elterlichen Betriebs übernehmen wird, habe sie gefragt, ob zum Ausbildungsprogramm der Gemeindereferentin auch Schulungen in Führungskomptenez gehören. Da sei ihr aufgefallen, dass diese fehlen. Wir seien in vieler Hinsicht top qualifiziert, aber dieser Bereich bleibe den persönlichen Fähigkeiten überlassen. Ein qualitativ neuer Schritt sei, in den Bereichen, in denen viele Kolleginnen bereits indirekt durch qualifizierte Arbeit leiten, systematisch und offen Leitungskompetenz zu übernehmen. Dafür braucht es einen entsprechenden Rahmen.

Und es bedarf der bewussten Entscheidung jeder Einzelnen. Es liegt an jeder Einzelnen, was im Fokus der Aufmerksamkeit ist: das Handeln der klugen Frau oder die Spekulationen des Simon. Es liegt an mir, wie ich das Evangelium lese, und wie ich das, was ich davon verstehe, in die Gemeinschaft einbringe. Lebendig wird das Evangelium immer in der Wechselwirkung mit dem konkreten Leben. Die Geschichte Gottes mit den Menschen wird weiter geschrieben.
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*vergleiche Luise Schottroff in: Kompendium Feministische Bibelauslegung und die Einleitung „Gottesnamen“ in: Bibel in gerechter Sprache

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3 Antworten auf Sünderin oder kluge Frau? – 11. Sonntag im Jahreskreis C

  1. Ulrich Fiedler sagt:

    „Jesus und Simon unterhalten sich über ihren Kopf hinweg. Irgendwie befremdlich …“
    Die Gedanken der Predigt haben einen eigenartigen Beigeschmack. Nach dem Motto: „Jesus jetzt hast Du Dich aber daneben benommen. So etwas darfst auch Du nicht tun. Damit hast Du Dich von vornherein in’s Abseits begeben und deshalb sind Deine Aussagen für uns nicht mehr relevant.“
    Ich denke, Jesus wollte durchaus auch manchmal mit seinem Verhalten provozieren, auch uns heute.

    • Maria sagt:

      Lieber Herr Fiedler, ja wir wissen dass Jesus provozierte. Gut gelernte Antwort. Geht leider am Inhalt der Predigt vorbei. Zu mühsam?

  2. Walter sagt:

    weit gespannt…
    von der Prostitution , den gut gepflegten Männerseilschaften zum Frauenpriestertum:
    eindringlich -und immer dringlicher stellt sich im 3. Jtsd. die Frage nach der
    “ Berechtigung“ einer Kirche, die immer weniger heilt-/ heilig ist .
    Auch der Konflikt des Christus mit SEINER Kirche dauert fort:
    “ semper reformanda…!!!“.

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