Du hast eine Zukunft – 10. Sonntag im Jahreskreis C

Aus dem Evangelium nach Lukas, Kapitel 7
Übersetzung: Bibel in gerechter Sprache
11 Bald darauf gelangte Jesus in eine Stadt namens Naïn, mit ihm gingen seine Jüngerinnen und Jünger und eine große Volksmenge.
12 Als sie sich dem Stadttor näherten, seht, da kam gerade ein Trauerzug heraus. Der Tote war der einzige Sohn seiner Mutter gewesen, und diese war bereits Witwe. Eine große Menge aus der Stadt begleitete die Frau.
13 Jesus sah sie, hatte Mitleid mit ihr und sagte zu ihr: »So weine doch nicht!«
14 Er trat an die Bahre heran und berührte sie, da blieben die, die sie trugen, stehen. Er sprach: »Junger Mann, ich sage dir, steh auf!«
15 Da setzte sich der Tote auf und begann zu reden, und er gab ihn seiner Mutter.
16 Da wurden alle von Ehrfurcht ergriffen und lobten Gott und sagten: »Ein großer Prophet ist unter uns aufgestanden.« Und: »Gott hat sich unserem Volk rettend zugewandt.«
17 Und dieses Wort verbreitete sich in ganz Judäa, sowie im benachbarten Land.

Autorin:
def9d78cf6Gabriele Greiner-Jopp, verheiratet, lebt in Wendlingen, z.Zt. als Dekanatsreferentin, Gemeindereferentin und Beraterin tätig

 
Die Predigt:
Du hast eine Zukunft

Liebe Leserin, lieber Leser,
man könnte neidisch werden, bei dieser Geschichte: Hätte man doch zu Lebzeiten Jesu gelebt, so wäre es vielleicht möglich gewesen, selber zu erfahren, dass ein geliebter Mensch wieder zum Leben erweckt wird. Oder man könnte ärgerlich werden: Wenn es solche Wunder nur zur Zeit Jesu gab, was haben wir heute davon? Weshalb sollen wir sie uns anhören, wenn sie uns eh nicht betreffen?

Die Totenerweckung des Jünglings von Nain hat Lukas als einziger Evangelist in seinem Programm. Und er berichtet sie in der Tradition der griechischen Erweckungsgeschichten: Der Wundertäter begegnet dem Leid, das durch den Tod eines nahen Angehörigen entstanden ist. Er bleibt stehen und spricht zum Toten. Dieser redet und kehrt in den Kreis der Familie zurück. So weit so gut. Jesus wird also von Lukas in den Kreis der großen Wunderheiler eingereiht. Seinen LeserInnen war klar: Jesus kann mithalten, er gehört zu den Großen unter den Wundertätern. Interessant – aber was habe ich heute davon?

Wir können die Geschichte auch lesen und verstehen auf einer seelischen Ebene und da gilt sie für alle Zeit und für jeden Menschen, der dieser Geschichte glaubt. Auf der Ebene unserer Seele sprechen die Bilder ihre eigene, unvergängliche Sprache. Der Tote wird aus einer Stadt hinausgetragen. Die Stadt ist das Symbol für die göttliche Ordnung. Sie beschützt und birgt ihre Bewohner wie eine Mutter ihre Kinder. Der Name der Stadt „Nain“ bedeutet übersetzt „lieblich“. Aus diesem sichern, lieblichen göttlichen Ort wird der Sohn tot hinausgetragen. Ein Sohn ist gestorben. In der Sprache unserer Seele sind Söhne die neuen, kräftigen Lebensimpulse in uns Menschen. Sie stehen für Kraft, Durchsetzungsvermögen, Unternehmungslust. Und Zukunft. Innere wie äußere Kinder sind unsere einzige Zukunft – bis heute. Das aber ist in der Frau gestorben. Zudem ist sie Witwe. Alles was die männliche Seite verkörpert: Zeugungskraft, Erkenntnis, Aktivität, Entschlusskraft, Verbundenheit mit der äußeren Welt und dem Himmel, all das fehlt. Die eine Hälfte des Menschseins ist tot, die Zukunft ist gestorben – zurück bleibt allein die weibliche Seite: Empfängnisbereitschaft, Hingabe, Passivität, verbunden sein mit der inneren Welt und der Erde.

Ein halbes Leben ohne Zukunft ist kein wirkliches Leben, zumindest keines, das gottgewollt ist. Auf dieses halbierte, schutzlose Dasein trifft Jesus. Sein Name bedeutet: Gott rettet. Die Begegnung findet am Tor statt. Das Tor ist der Übergang von einem Bereich des Lebens in einen anderen. Tore nehmen auf, geben frei, sichern, liefern aus. An der Schwelle entscheidet sich was geschieht. Jesus sieht den Verlust, die Trauer und „es ward ihm weh ums Herz“(so übersetzt Fridolin Stier). Er bringt den Trauerzug zum Stehen. Wo wir Gott begegnen, wo Gott unserem Schmerz begegnet gibt es kein „weiter so“. Es gibt das Mitleiden und Mitfühlen und ein „Halt“. Jesus geht auf die Witwe zu, ohne zu fragen was sie will, er rettet dieses halbe Leben, das duldet keinen Aufschub.

Wenn wir zulassen, dass Gott unserem Verlust, unserer „Halblebigkeit“ begegnet, dann kommt die Zusage: Du hast eine Zukunft, Du sollst lebendig sein. Nichts anderes bedeutet es ja, dass der tote Sohn hört: „Wach auf“(Fridolin Stier übersetzt das so). Mit dem Wachwerden allein ist es nicht getan. Die abgestorbene Seite in uns muss lebendig werden, der Sprache mächtig. Sie muss eine Stimme bekommen und sich zu Wort melden können. Erst so kann der „Sohn“ der mütterlichen/weiblichen Seite in uns helfen, kann das Leben wieder ganz werden, können alle Seiten ver-söhnt werden. Jesus, Gottes Sohn, der retten will, handelt voller Macht.

Wo Menschen das erleben, können sie gar nicht anders als ergriffen sein, staunen und bezeugen: „Gott hat sich seines Volkes angenommen.“ Es bleibt die Frage: Was ist das größere Wunder, das durch Jesus geschieht: Einen Toten zum Leben zu erwecken oder all die Menschen, die keine Zukunft mehr haben, die nur noch „halblebig“ sind und ihm begegnen, aufzuwecken? Ihnen das Vertrauen zu geben, dass Gott sie mit ihrem Leben ver-söhnen will, ihnen ihre Sprache wieder zu geben und so aus zwei halben, wieder einen ganzen Menschen zu machen?

Überall wo wir ähnliches miterleben, in unserer Gesellschaft, unserer Kirche, Familie oder gar an uns selber, staunen wir da nicht auch und freuen uns? Vielleicht erzählen wir sogar davon.

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Eine Antwort auf Du hast eine Zukunft – 10. Sonntag im Jahreskreis C

  1. Walter sagt:

    Gottesferne…
    sind wir nicht – wie vor 2000 Jahren – Zeugen einer unglaublichen Demütigung,Ausbeutung,Zerstörungswut,verursacht durch unsere Unmäßigkeit ?

    Der Evangelist – zeigt er nicht wie die Hoffnung (in Naim ) stirbt ,dann auch im Christus zu Tode gemartert wird ?
    “ Gott hat sich SEINES Volkes angenommen “ ???
    – mit welcher Sehnsucht kommen die Geschlagenen bei uns an ?

    Aber was soll sich schon ändern, wenn der Finanzminister und SEINE Kirche auf dem gleichen Melkschemel sitzen…?

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