Kraftvolle Sehnsucht – Hochfest Allerheiligen

Aus dem Evangelium nach Matthäus, Kapitel 5
Übersetzung: Züricher Bibel
1 Als Jesus die vielen Menschen sah, stieg er auf den Berg; und als er sich gesetzt hatte, traten seine Jünger – und Jüngerinnen – zu ihm.
2 Und er tat seinen Mund auf und lehrte sie:
3 Selig die Armen im Geiste – ihnen gehört das Himmelreich.
4 Selig die Trauernden – sie werden getröstet werden.
5 Selig die Gewaltlosen – sie werden das Land erben.
6 Selig, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit – sie werden gesättigt werden.
7 Selig die Barmherzigen – sie werden Barmherzigkeit erlangen.
8 Selig, die reinen Herzens sind – sie werden Gott schauen.
9 Selig, die Frieden stiften – sie werden Söhne und Töchter Gottes genannt werden. 10 Selig, die verfolgt sind um der Gerechtigkeit willen – ihnen gehört das Himmelreich.
11 Selig seid ihr, wenn sie euch schmähen und verfolgen und euch das Ärgste nachsagen um meinetwillen und dabei lügen.
12 Freut euch und frohlockt, denn euer Lohn im Himmel ist groß.

Autorin:
Bild_Lerke1Maria Lerke, Pastoralreferentin, Seelsorgeeinheit Winnenden – Schwaikheim – Leutenbach

 
Die Predigt:
Kraftvolle Sehnsucht

Liebe Leserin, lieber Leser,
Als ich kürzlich meine Schüler und Schülerinnen nach der Bedeutung des Festes Allerheiligen fragte, da meinten die einen, dass es irgendwie mit Halloween zusammenhängt, und andere erinnerten sich, dass die Omas da so Grabgestecke kaufen und auf die Gräber im Friedhof bringen.

Schade, dass das Fest Allerheiligen eher mit Gruseligem oder Traurigem in Verbindung gebracht wird, wo es doch eigentlich sehr viel Trost in die grauen und kalten Novembertage bringen kann. Heute stehen nicht die großen Namen im Vordergrund, sondern die vielen, die keiner zählen kann, die kleinen Leute, auf die kaum geachtet wurde. Sie waren nicht weniger von Gottes Liebe erfasst. Sie hatten halt niemanden, der ihre Heiligsprechung voran trieb. Vielleicht gehören zu diesen „kleinen“ Heiligen unsere eigenen verstorbenen Angehörigen, Väter und Mütter, Freunde und Freundinnen.

Das ist die frohe Botschaft dieses Festes: Gott ist leidenschaftlich interessiert am Leben der Menschen, am Gelingen des Lebens für alle. Ein tröstliches Fest mitten hinein in all unsere Ohnmachtserfahrungen, in unsere Enttäuschungen, hinein in unsere Niederlagen und auch hinein in unser Versagen. Die Frohe Botschaft lautet: All unsere Sehnsucht nach Leben und Liebe, nach Frieden und Gerechtigkeit, nach Fülle des Lebens wird gestillt. Inmitten aller Angst, unser Leben zu verpassen, dürfen wir aus dieser Hoffnung leben. Dazu haben wir eben im Evangelium einen Text gehört, der so zwiespältig ist, wie kaum ein anderer: die Seligpreisungen aus dem Matthäusevangelium.

Was bedeutet eigentlich Seligkeit, wann waren sie das letzte Mal so richtig selig? Anerkennung, Erfolg, Glück, Gesundheit, … werden da oft genannt. All diese Dinge sind gut und wir dürfen uns von Herzen freuen, wenn wir damit beschenkt werden. Aber ist das schon Seligkeit? Jesus stellt in seinen Seligpreisungen unsere Wertvorstellungen wieder einmal völlig auf den Kopf! Gottes Sicht ist eine andere! Während wir alles nur zeitlich begrenzt und bruchstückhaft sehen können, sieht Gott die Dinge unter dem Blickwinkel der Ewigkeit und seine Sicht ist allumfassend. Aber dann wird die Frage nach dem, was Jesus mit den Seligpreisungen sagen will, ja noch drängender: Sind das Bedingungen, die wir zu erfüllen haben, sind die Seligpreisungen im Grunde genommen versteckte Gesetze, mit denen Gott Leistungen einfordert?

Immer wieder haben die Mächtigen – auch in unserer Kirche – die Seligpreisungen dazu benutzt, leidenden Menschen als Lohn für ihre Mühen das Himmelreich zu versprechen, um sie ruhig zu stellen und klein zu halten. Auf diesem Hintergrund bekommen die Seligpreisungen einen bitteren Nachgeschmack.

Schauen wir also die frohe Botschaft des heutigen Festtages etwas genauer an. Dieses kraftvolle und aufrüttelnde Gedicht mit dem Refrain: selig, die, setzt Jesus an den Beginn seiner Bergpredigt, seiner großen Verheißung. Hier sagt er: Diese Seligen, die ich hier nenne, diese besonders Gesegneten, das sind die Menschen, die ich beglückwünsche, denn mit ihnen will ich das Reich Gottes bauen.

Selige sind für Jesus die, die arm sind vor Gott, deren Hände und Herzen gerade nicht mit allerlei Nebensächlichkeiten beschäftigt sind, die wissen, dass sie ihr Leben Gott verdanken und deshalb ihm ihre leeren Hände entgegenstrecken.
Selig sind die, die keine Gewalt anwenden, diejenigen, die sich nicht mit Ellbogen durchsetzen, die auf ihre Macht verzichten und sich auch dann noch für friedliche Lösungen einsetzen, wenn die anderen sie Schwächlinge nennen.
Und dann die wohl größte Herausforderung heute, einen Tag vor Allerseelen: Selig die Trauernden.

Bin ich denn automatisch selig, weil ich einen Verlust erfahren habe? Das sagt Jesus nicht, sondern er preist diejenigen selig, die wirklich trauern:
– das sind die Menschen, die das Zerbrechen einer Beziehung oder den Tod eines Menschen nicht einfach auf der Verlustseite abbuchen;
– das sind die Menschen, die nicht möglichst schnell zur Tagesordnung übergehen, um es ihrer Umgebung so leicht wie möglich zu machen;
– das sind diejenigen, die den Schmerz spüren und ihre Trauer leben, auch wenn sie unbequem sind für andere und vielleicht auch für sich selbst;
– das sind diejenigen, die mit den Notleidenden mitleiden, die immer wieder das Unglück der Anderen zu ihrer eigenen Sache machen und nicht aufhören, nach Trost zu suchen;
– Jesus sagt, die sind selig, die das Gefühl der Leere kennen, die nicht verstehen, warum der Tod so ungerecht ist, die Angst haben vor einer ungewissen Zukunft, die wütend sind und die Gott anklagen;
– Selig die Trauernden, denn sie geben sich nicht einfach zufrieden mit dem, was ist. Wer trauert, will mehr. Wer trauert, spürt mit allen Fasern seines Wesens die Sehnsucht nach mehr, die Sehnsucht nach einem gelingenden Leben in Fülle.

Und genau das verbindet die Trauernden mit den Friedensstiftern, mit denjenigen, die hungern und dürsten nach Gerechtigkeit und mit all den anderen Menschen, die Jesus in den Seligpreisungen nennt. Mit den Augen Jesu gelesen stellen die Seligpreisungen keine Liste von besonders Braven dar, die sich auf ein zuckersüßes Himmelreich vertrösten lassen. Jesus versammelt in den Seligpreisungen all diejenigen, die von einer kraftvollen Sehnsucht getragen werden. Genau das sind die Menschen, mit denen er sein Reich bauen will: Die, die sich betreffen lassen, die sich nach Gerechtigkeit und Frieden sehnen, die für ihre Überzeugungen einstehen.

Das Selig betrifft die Menschen nicht erst nach dem Tod, sondern es gilt ihnen jetzt. Jetzt dürfen sie darum wissen, dass ihr Leben von Gott angenommen ist, das gibt ihnen dann Vertrauen und Kraft, gelassen und zugleich voller Engagement, die jetzt möglichen Schritte zu tun. Und all die Menschen, die in ihrem Leben ihrer Sehnsucht Raum gegeben haben, all diese Menschen feiern wir heute an Allerheiligen.

Mutig das rechte Wort zur rechten Zeit sagen, schauen, was jetzt dran ist und danach handeln – Heilige haben es gewagt, sich dem Anspruch der Gegenwart zu stellen; gerade deshalb waren sie ansprechbar und offen für Gott. Vielleicht liegt gerade darin unser „Unheil“, dass wir oft nicht „ganz da“ sind, sondern meist angefüllt mit Dingen, die noch nicht oder nicht mehr sind. Oft planen wir so sehr, dass das, was jetzt aktuell dran wäre, in unseren Plänen keinen Platz mehr hat. Eigentlich verpassen wir so unsere eigene Einzigartigkeit, zu der wir von Gott berufen sind. Wir verpassen dadurch auch das Geschenk tiefster Lebendigkeit.

Ganz sein, heil sein, bedeutet eben nicht, auf alles Lebenswerte zu verzichten, oder Leiden und Tod zu suchen. Ganz sein meint vielmehr, das Leben in aller Dichte und Fülle jetzt zu wagen. Dazu gehört Freude, Leidenschaft und Hingabe genauso wie Angst, Schmerz und Abschied. So feiern wir Allerheiligen als das Fest, an dem wir auf diejenigen schauen, die sich schon vor uns auf ein Leben mit und von Gott eingelassen haben. An Allerheiligen feiern wir aber auch uns selbst und unsere eigene Sehnsucht.

Als wir während unserer Ausbildung einmal Exerzitien gemacht haben, mussten wir uns einen ganzen Tag lang mit dem folgenden Satz auseinandersetzen: „Du musst nicht der Heilige Franz von Assisi sein“ – Für mich war dieser Satz damals sehr befreiend und ist es bis heute geblieben. Allerheiligen will uns Mut machen, so wie wir nun mal sind, ganz und echt da zu sein – so hat uns Gott geschaffen, gewollt und in der Taufe „geheiligt“ – das heißt, wir haben schon einen gewaltigen Vorschuss an „Heil“ geschenkt bekommen.

Allerheiligen zeigt, dass Gottes Plan mit den Menschen nicht vergebens ist, denn die Sehnsucht der Menschen hat sich ja schon unendlich oft erfüllt. Heute feiern wir das Osterfest nicht nur für Jesus, sondern für alle Menschen, denen er den Zugang zum Vater neu geöffnet hat. Amen.

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Eine Antwort auf Kraftvolle Sehnsucht – Hochfest Allerheiligen

  1. Walter sagt:

    Bergpredigt als Bremse…

    vielleicht haben Kinder doch ein feineres Gespür für das Leid.
    Und vielleicht will die Leistungs-und Spassgesellschaft gerade diese Kraft mit dem Anti-Allerheiligen – „Halloween“ – ausbremsen…

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