Schwestern und Brüder Jesu? – 10. Sonntag im Jahreskreis B

Aus dem Evangelium nach Markus, Kapitel 3
In jener Zeit
20 ging Jesus in ein Haus und wieder kamen so viele Menschen zusammen, dass er und die Jünger nicht einmal mehr essen konnten.
21 Als seine Angehörigen davon hörten, machten sie sich auf den Weg, um ihn mit Gewalt zurückzuholen; denn sie sagten: Er ist von Sinnen.
22 Die Schriftgelehrten, die von Jerusalem herabgekommen waren, sagten: Er ist von Beelzebul besessen; mit Hilfe des Anführers der Dämonen treibt er die Dämonen aus.
23 Da rief er sie zu sich und belehrte sie in Form von Gleichnissen: Wie kann der Satan den Satan austreiben?
24 Wenn ein Reich in sich gespalten ist, kann es keinen Bestand haben.
25 Wenn eine Familie in sich gespalten ist, kann sie keinen Bestand haben.
26 Und wenn sich der Satan gegen sich selbst erhebt und mit sich selbst im Streit liegt, kann er keinen Bestand haben, sondern es ist um ihn geschehen.
27 Es kann aber auch keiner in das Haus eines starken Mannes einbrechen und ihm den Hausrat rauben, wenn er den Mann nicht vorher fesselt; erst dann kann er sein Haus plündern.
28 Amen, das sage ich euch: Alle Vergehen und Lästerungen werden den Menschen vergeben werden, so viel sie auch lästern mögen;
29 wer aber den Heiligen Geist lästert, der findet in Ewigkeit keine Vergebung, sondern seine Sünde wird ewig an ihm haften.
30 Sie hatten nämlich gesagt: Er ist von einem unreinen Geist besessen.
31 Da kamen seine Mutter und seine Brüder; sie blieben vor dem Haus stehen und ließen ihn herausrufen.
32 Es saßen viele Leute um ihn herum und man sagte zu ihm: Deine Mutter und deine Brüder stehen draußen und fragen nach dir.
33 Er erwiderte: Wer ist meine Mutter und wer sind meine Brüder?
34 Und er blickte auf die Menschen, die im Kreis um ihn herumsaßen, und sagte: Das hier sind meine Mutter und meine Brüder.
35 Wer den Willen Gottes erfüllt, der ist für mich Bruder und Schwester und Mutter.

Autorin:
_MG_7932-web Birgit DroesserBirgit Droesser, Pastoralreferentin, war tätig in der Gemeindeseelsorge, in der Klinikseelsorge und im Theol. Mentorat Tübingen

 
Die Predigt:
Schwestern und Brüder Jesu?

Liebe Leserin, lieber Leser,
darf ich Jesus Christus meinen Bruder nennen, so wie es in vielen Gebeten im Gottesdienst geschieht? Darf ich das wirklich? Akzeptiert er mich denn als seine Schwester? Nachdem ich das heutige Evangelium längere Zeit umkreist habe, stellt sich mir diese Frage und ich möchte sie auch Ihnen stellen.

Wer den Willen Gottes erfüllt, der ist für mich Bruder und Schwester und Mutter. Was soll das? So werden manche einwenden: als Getaufte sind wir doch in die Gotteskindschaft hineingestellt und versuchen sie immer mehr in unserem Leben zu vollziehen. Wir feiern die Gottesdienste mit; wir engagieren uns in der Kirchengemeinde; wir sind Menschen mit einem sozialen Gewissen, das uns immer wieder zum Engagement antreibt; wir halten die Treue in unseren Beziehungen hoch und sind für die Kinder und Enkel da… Ja, gut so, möchte ich antworten, sehr gut sogar, aber fragen wir bei all dem noch nach dem Willen Gottes.

Was aber ist der Wille Gottes für mich, für mein Leben? Schauen wir zuerst auf Jesus. Er hat Gottes Willen als eine Herausforderung erfahren und verstanden, die bis in die Wurzeln seines Seins gedrungen ist. Seinen Auftrag hat er so verstanden: Verkünde mein Reich; das Reich der Gerechtigkeit und der Liebe bricht an. Heile, rette, befreie aus allen Abhängigkeiten. Und Jesus heilt. Von überall her strömen die Kranken zu ihm. Er tut es nicht allein. Er ruft Menschen, Fischer am See Genesareth, einen Zöllner an seinem Zollstand, eine Frau, die er von sieben Dämonen befreit; sie lassen alles stehen und liegen, lassen ihr bisheriges Leben und die Menschen, für die sie verantwortlich waren, zurück und folgen Jesus. Er interpretiert den Willen Gottes für sie mit den Worten ganz in der Linie seines eigenen Handelns: Heilt Kranke, weckt Tote auf, macht Aussätzige rein, treibt Dämonen aus! Umsonst habt ihr empfangen, umsonst sollt ihr geben. ( Matthäusevangelium, 10,8) D.h. die Jüngerinnen und Jünger Jesu sollen von den Kranken kein Geld nehmen, wie es die anderen Gesundbeter und Heiler seiner Zeit getan haben. Sie handeln, ausgestattet mit der heiligen Geistkraft Gottes; sie sollen dienen und sich nicht bereichern.

Das heutige Evangelium zeigt uns, wie radikal Jesus den Willen Gottes für sich verstanden hat. Die Schriftgelehrten werden in Jerusalem aufgeschreckt und machen sich auf den Weg nach Galiläa. Dort werfen sie Jesus vor, mit dem größten der Dämonen im Bunde zu sein: Beelzebul. Was bringt sie gegen Jesus auf? Sie selber studieren die heiligen Schriften, verwalten ihre Rituale und wachen über die Gesetze. Aber hier wirkt einer mit einer für sie unerklärlichen Macht. – Aus Nazareth machen sich seine Angehörigen nach Kafarnaum auf: sie wollen Jesus, wenn nötig mit Gewalt, zurückholen. Sie meinen, er sei verrückt geworden und haben – zu Recht – Angst um sein Leben. Aber sie können nichts machen.

Und wir? Auch heute noch erfahren Menschen den Willen Gottes so, dass er sie herausruft aus der bisherigen Lebensbahn, wie es bei Jesus war. So erzählte eine Ordensfrau, dass sie ihre Berufung ins Kloster wie einen Sog erlebt habe, ich sage es jetzt mit meinen Worten, gegen den alle Verstandesargumente nichts ausrichten konnten. Sie musste, von allem, was ihr liebgeworden war, Abschied nehmen, um der inneren Stimme zu folgen und sich selbst nicht zu verlieren. Denn Gottes Wille geht nicht über unsere Persönlichkeit hinweg, sondern will ja heilen, befreien, will nicht nur die anderen, sondern auch uns zu uns selber befreien. Das kann im System unseres Lebenslaufes geschehen, so wie alles sich angebahnt hat und geworden ist, Ausbildung, Beruf, allein leben, Familie… Es kann aber auch dieses System sprengen. Auf jeden Fall werden wir immer wieder herausgerufen aus Gewohnheiten, auch aus guten Gewohnheiten, aus einer Lebensführung, wie wir sie für richtig halten mit der Frage: wirkst du auch heilend, wirkst du befreiend auf andere und auf dich selbst. Oder hast du dich in neue Abhängigkeiten begeben, von Menschen, von Drogen, von einer Leidenschaft, vom Leistungsdruck, von ausbeuterischen Strukturen im Beruf? Zeigst du den anderen durch deine Persönlichkeit Gottes wahres Gesicht? Zeigst du den anderen Gott, wie er das Leben will, Gerechtigkeit und Glück für alle?

Die Frage nach dem Willen Gottes stellt unser Leben immer wieder auf den Prüfstand. Und wenn wir uns dem verweigern, wird es gefährlich. Ich denke da besonders auch an unsere Kirche, wo wir froh sind, wenn alles in geordneten Bahnen verläuft, wenn die Liturgie gefeiert werden kann. Wir sind Gefangene unserer Strukturen, sprich Pastoralpläne, geworden und haben uns weit vom Auftrag Jesu entfernt zu retten, zu heilen, aufzuerwecken. Sonst wären unsere Gemeinden lebendiger, selbstkritischer, offener für Neues. Sonst würden wir uns viel mehr umeinander kümmern. Aber nein, alles muss bleiben, wie es immer war. Immer noch diskriminiert unsere Kirche die Frauen, erkennt ihre Berufungen zu verkünden, die Gemeinde zu leiten, diakonisch zu wirken, nicht an. Immer noch wird die Berufung verheirateter Priester nicht ernst genommen.

Gewiss, Kirche sind alle getauften Herausgerufenen; Kirche bin auch ich. Und so schließe ich diese Gedanken mit der Rückkehr zu meiner Frage: Darf ich mich Jesu Schwester nennen? Meine Antwort: Ja, wenn ich heute und morgen ernsthaft nach Gottes Willen für mein Leben frage. Amen
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P.S. In eigener Sache: Leider ist die Kommentarfunktion seit Wochen gestört. Wir versuchen das Problem baldmöglichst zu beheben. B.D.

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