1 Als der Pfingsttag gekommen war, befanden sich alle – die Apostel zusammen mit den Frauen und mit Maria, der Mutter Jesu, und mit seinen Brüdern (1,14) – am gleichen Ort.
2 Da kam plötzlich vom Himmel her ein Brausen, wie wenn ein heftiger Sturm daherfährt, und erfüllte das ganze Haus, in dem sie waren.
3 Und es erschienen ihnen Zungen wie von Feuer, die sich verteilten; auf jede und jeden von ihnen ließ sich eine nieder.
4 Alle wurden mit dem Heiligen Geist erfüllt und begannen, in fremden Sprachen zu reden, wie es der Geist ihnen eingab.
5 In Jerusalem aber wohnten Juden, fromme Frauen und Männer aus allen Völkern unter dem Himmel.
6 Als sich das Getöse erhob, strömte die Menge zusammen und war ganz bestürzt; denn jeder hörte sie in seiner Sprache reden.
7 Sie gerieten außer sich vor Staunen und sagten: Sind das nicht alles Galiläer, die hier reden?
8 Wieso kann sie jeder von uns in seiner Muttersprache hören:
9 Parther, Meder und Elamiter, Bewohner von Mesopotamien, Judäa und Kappadozien, von Pontus und der Provinz Asien,
10 von Phrygien und Pamphylien, von Ägypten und dem Gebiet Libyens nach Zyrene hin, auch die Römer, die sich hier aufhalten,
11 Juden und Proselyten, Kreter und Araber, wir hören sie in unseren Sprachen Gottes große Taten verkünden.
Aus dem Evangelium nach Johannes, Kapitel 20
19 Am Abend dieses ersten Tages der Woche, als die Jüngerinnen und Jünger aus Furcht vor den Juden die Türen verschlossen hatten, kam Jesus, trat in ihre Mitte und sagte zu ihnen: Friede sei mit euch!
20 Nach diesen Worten zeigte er ihnen seine Hände und seine Seite. Da freuten sich die Jüngerinnen und Jünger, dass sie den Herrn sahen.
21 Jesus sagte noch einmal zu ihnen: Friede sei mit euch! Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch.
22 Nachdem er das gesagt hatte, hauchte er sie an und sprach zu ihnen: Empfangt den Heiligen Geist!
23 Wem ihr die Sünden vergebt, dem sind sie vergeben; wem ihr die Vergebung verweigert, dem ist sie verweigert.
Autorin:
Andrea Trautmann, Pastoralreferentin und Bibliodramaleiterin in Stuttgart Freiberg-Rot-Stammheim-Zuffenhausen
Die Predigt:
Ein Hauch von Jesus
Liebe Leserin, lieber Leser,
Ein Hauch von Abenteuer: der Werbeslogan macht neugierig auf eine Automarke.
Ein Hauch von Freiheit: damit wirbt ein Hotel für Pferdefreunde zum Ausreiten auf sanften Hügeln und in ausgedehnten Wäldern.
Ein Hauch von Himmel: in einer Fernsehserie hilft eine Frau anderen Menschen und setzt sich für eine harmonischere Welt ein.
Ein Hauch von Jesus – so könnte man den Slogan für unser heutiges Pfingstfest formulieren.
Ein Hauch von Gott – erinnert an die Schöpfungsgeschichte, als Gott den Menschen seinen Atem einbläst und sie lebendig macht.
Ein Hauch von Jesus, so hören wir im heutigen Evangelium, das uns von den Jüngerinnen und Jüngern am Osterabend berichtet. Jesus war am Kreuz gestorben und die Jünger und Jüngerinnen, ängstlich und verstört, ziehen sich ins Innere zurück. Ein Hauch von Jesus – den spüren sie, als sie Jesus begegnen. Sie erleben, dass er bei ihnen ist, dass sein Friede sich unter ihnen ausbreitet, dass die Freude, mit der er sie angesteckt hat, wiederkehrt. Sie sind überzeugt, dass Jesus von ihnen erwartet, sein Werk weiterzuführen und mit seiner Botschaft zu den Menschen zu gehen. Ein Hauch von Jesus – im wahrsten Sinne des Wortes fühlen sie sich inspiriert, lassen sich neu von ihm begeistern und aus ihrer Verschlossenheit herausholen.
Ein Hauch von Jesus – den spüren auch diejenigen, die mit den Jüngern und Jüngerinnen in Berührung kommen, so wie es uns die Apostelgeschichte berichtet. Die Menschen merken: hier wird unsere Sprache gesprochen; hier geht es um uns und unser Leben, hier hören wir Worte, die uns weiterhelfen und verändern.
Das Neue und Besondere an Pfingsten ist nicht der Heilige Geist. Wo immer Gott in und unter Menschen in dieser Welt Glaube, Hoffnung und Liebe wirkt, da war und ist Gott selbst als Heiliger Geist am Wirken. Das Besondere an Pfingsten ist, dass die in ihrer Furcht eingeschlossenen Jünger und Jüngerinnen nun rausgehen. Fünfzig Tage nach Ostern sind sie vorbereitet und mit dem Geist der Sendung ausgerüstet, raus auf die Straßen Jerusalems zu gehen und das zu verkünden, was sie erfahren und erkannt haben: Jesus Christus, der Gekreuzigte lebt. Gottes Geist selbst wird die Apostel zu den Menschen aller Völker senden. In wenigen Jahren schon werden an vielen Orten christliche Gemeinden sein. Heute feiern wir, dass Gott bei uns ist und wir feiern den Geburtstag der Kirche, einer Gemeinschaft von Glaubenden, die Jesus, dem Christus nachfolgen. Und WIR feiern heute auch den vierten Geburtstag von „Geh und verkünde – katholische Frauenpredigten“ im Internet.
Es gibt einen guten Grund, warum wir noch heute zusammen mit Karfreitag und Ostern auch Pfingsten feiern. Die Feste zeichnen den Weg vor, auf dem bis heute das glaubende Vertrauen in Gott wächst. Es beginnt mit dem Karfreitag. Er gehört in das dunkle Kapitel dessen, was Menschen einander antun, um ihre Macht zu sichern. Dies ist heute so real wie damals. Es scheint, dass wir Gott überall suchen, nur nicht unter denen, die gekreuzigt werden, damals wie heute. Die Jüngerinnen und Jünger hätten niemals verstanden, was die Bedeutung von Ostern ist, wenn sie nicht erlebt hätten, was das Kreuz ist – und wie ihr eigener bisheriger Glaube daran zerbrochen ist. Fünfzig Tage haben sie gebraucht, das zu verstehen und anzunehmen. Der Heilige Geist ergreift die so vorbereiteten Jünger und Jüngerinnen. Er erfüllt sie mit Mut und lässt sie zu den Menschen sprechen.
Ein Hauch von Jesus – so sollte es auch für uns sein, wenn wir beieinander sind. Wenn wir beten, mit und von ihm reden, dann ist sein Geist gegenwärtig. Wir ahnen, dass seine Worte wahr sind: wo zwei oder drei in meinem Namen beisammen sind, da bin ich mitten unter ihnen. Ein Hauch von Jesus – ich wünsche mir, dass ein Funke auf uns überspringt und wir nicht Formeln und Katechismussätzen begegnen, sondern hautnah ihn erleben, packend und lebendig. Und wenn wir vieles nicht verstehen, wenn wir unsicher werden und ins Zweifeln kommen, dann dürfen wir ahnen, dass dies Jesus vielleicht mehr entspricht als vollmundige Worte, die der Wirklichkeit nicht standhalten.
Ein Hauch von Jesus in unserer Lebenspraxis, für die Gestaltung unseres Alltags und unseres Gemeindelebens. Wenn da die Weite Jesu, seine Aufgeschlossenheit, seine Achtung und Offenheit für jeden Menschen erlebbar ist oder das Austragen von Konflikten, das Bemühen um Außenseiter, seine Vergebungsbereitschaft, seine Freiheit von Berührungsängsten, dann ist etwas zu spüren vom Hauch von Jesus.
Ein Hauch von Jesus – so würde ich gerne für unsere Kirche werben. Aber ich weiß natürlich auch: nicht überall, wo Kirche draufsteht, ist auch eine solche mitreißende, packende Kirche drin. Oft sind wir alle noch weit weg von einer pfingstlichen Kirche. Dennoch bleibt dieses Bild vom Anfang der Kirche Maßstab und Ziel.
Je mehr wir uns an diesem Ziel orientieren, desto mehr werden wir diesen Hauch von Jesus spüren. Je mehr wir uns für eine solche Kirche engagieren, desto mehr werden wir auch einen Hauch Himmel erleben, wenn wir das Fleckchen Erde im Sinne Jesu umgestalten. Je mehr wir sein Leben zum Maßstab nehmen, desto mehr werden wir auch einen Hauch von Freiheit empfinden, wenn wir unsere Denkmuster einer heilsamen Prüfung unterziehen müssen. Überraschend, überzeugend, anders – so wünsche ich mir eine von Jesus angehauchte, inspirierte Kirche.
Amen.