Den richtigen Schwerpunkt setzen – Allerseelen

Zweite Lesung aus dem zweiten Brief des Apostels Paulus an die Gemeinde in Korinth, Kapitel 5
1 Wir wissen: Wenn unser irdisches Zelt abgebrochen wird, dann haben wir eine Wohnung von Gott, ein nicht von Menschenhand errichtetes ewiges Haus im Himmel.
6 Wir sind also immer zuversichtlich, auch wenn wir wissen, dass wir fern vom Herrn in der Fremde leben, solange wir in diesem Leib zu Hause sind;
7 denn als Glaubende gehen wir unseren Weg, nicht als Schauende.
8 Weil wir aber zuversichtlich sind, ziehen wir es vor, aus dem Leib auszuwandern und daheim beim Herrn zu sein.
9 Deswegen suchen wir unsere Ehre darin, ihm zu gefallen, ob wir daheim oder in der Fremde sind.
10 Denn wir alle müssen vor dem Richterstuhl Christi offenbar werden, damit wir unseren Lohn empfangen für das Gute oder Böse, das wir im irdischen Leben getan haben.

Autorin:
_MG_7932-web Birgit DroesserBirgit Droesser, Pastoralreferentin, war tätig in der Gemeindeseelsorge, in der Klinikseelsorge und im Theol. Mentorat Tübingen

 
Die Predigt:
Den richtigen Schwerpunkt setzen

Liebe Leserin, lieber Leser,
in den Debatten um eine Reform der Kirche wird immer wieder davor gewarnt, die Kirchen könnten sich dem sogenannten „Zeitgeist“ anpassen. Ich teile diese Sorge nicht, solange sich Christinnen und Christen um die Kernbotschaft des Glaubens kümmern, die in radikalem Gegensatz zu den „Geistern“ aller Zeiten steht. Ein Beispiel: Der Werbespot einer Versicherung mit dem Slogan „Immer da, immer nah“. Es werden junge und alte Menschen in verschiedenen brenzligen Situationen gezeigt, denen im entscheidenden Moment ein „Schutzengel“ zu Hilfe eilt, der das Auto vor einem Abgrund stoppt, den Ast, gegen den ein Jogger zu rennen droht, zurückhält und so weiter. Der Werbespot erreicht seinen Zweck. Er macht wütend, weil er uns für dumm verkauft, und brennt sich auf diese Weise dem Gedächtnis ein. Eine Versicherung will uns vor den Unwägbarkeiten des Daseins schützen? Will uns einreden, wir hätten unser im Leben im Griff?

Aber vielleicht muss diese Werbung gar nichts einreden, sondern spricht ein weit verbreitetes Lebensgefühl an, als ob es in unserer Macht läge, wie wohlhabend, wie gesund, wie erfolgreich und schön wir sind, wie alt wir werden. Freilich sollen wir als Christinnen und Christen alles tun, um unser Leben für uns und die Familie möglichst gut zu gestalten. Die Heilige Hildegard würde sagen: „Pflege das Leben, wo du es triffst.“ Der Glaube ermutigt uns zum Handeln im Vertrauen auf Gott und den Beistand der Heiligen Geistkraft, aber doch in dem ganz klaren Wissen, wie unwägbar, wie vergänglich und zerbrechlich alles Irdische ist. Groß ist unser Erschrecken, wenn wir von einem plötzlichen, viel zu frühen Tod hören, gar vom Tod eines Kindes. Was anderen Menschen passiert, kann natürlich auch uns selbst geschehen. Von heute auf morgen kann unser Leben ganz anders aussehen und davor schützt uns keine Macht der Welt.

Der Apostel Paulus vergleicht deshalb unser irdisches Leben mit dem Dasein in einem Zelt. Nach der Apostelgeschichte (18,3) verdiente er seinen Lebenunterhalt als Zeltmacher. Er kannte sich also aus und wusste, wie es sich in einem Zelt der einfachen Bauern lebte. Ein Zelt ist relativ schnell auf- und abgebaut. Es schützt nur wenig vor Hitze und Kälte. Es hält kaum einem Sandsturm stand. Und selbst wenn unser Lebenszelt einen stabilen Aufbau hat, wenn es prächtig und reich ausgestaltet ist, wenn es sich darin komfortabel leben lässt, so bleibt es eben doch ein Zelt, das schnell abgebrochen werden kann, wie es am Anfang der Lesung hieß, etwas Flüchtiges und Vergängliches. Schon der Psalmist sagt: Des Menschen Tage sind wie Gras. Er blüht, wie die Blume des Feldes. Fährt der Wind darüber ist sie dahin. Der Ort, wo sie stand, weiß von ihr nichts mehr. (Psalm 103, 15-16) Daran am Allerseelentag erinnert zu werden, entspricht nicht dem Lebensgefühl unserer Zeit. Davon möchte man eigentlich nichts wissen. Das würden wir lieber verdrängen.

Dem luftigen Zelt des Leibes und der menschlichen Wohnung auf Erden stellt Paulus das feste, nicht von Menschenhand, sondern von Gott errichtete ewige Haus im Himmel gegenüber. Dort werden wir wirklich in Sicherheit sein. Dort wird es kein Leid und keine Tränen mehr geben. Dort ist unsere wahre Heimat. Dorthin sind wir in unserem irdischen Leben unterwegs. Dort daheim sein und hier in der Fremde, dieses Herzenswissen sollte uns als Christinnen und Christen auszeichnen und unser Leben prägen. Dann werden wir unseren Schwerpunkt richtig setzen. Dann kann es uns eigentlich nicht mehr darum gehen, Schätze zu sammeln, die von Motten und Rost zerfressen werden können, wie Jesus uns warnte, sondern Gott in und hinter allem zu suchen, ihn und die ganze Schöpfung zu lieben. So werden wir heute auch zum Nachdenken über unsere eigene Lebensweise aufgefordert. Was ist gut so? Was sollte ich ändern? Was kann vor Gottes liebevollen Augen bestehen? Bußfeiern und Beichte vor Allerheiligen haben diese Selbstinventur lange Zeit gefördert und damit das Bewusstsein, einmal vor Gottes Angesicht zu stehen. In unseren Gemeinden wird das so nicht mehr praktiziert und niemand scheint es zu vermissen…

Am Allerseelentag heute denken wir besonders an die Verstorbenen, die uns in das ewige Haus Gottes vorausgegangen sind, und die schon Rechenschaft über ihr Leben ablegen mussten. Vielleicht fragen wir uns, ob sie dort gut angekommen sind. Wie mag es ihnen ergehen? Unsere Gebete begleiten sie und halten die Verbindung zu unseren Verstorbenen aufrecht. Der Schmuck und die Lichter auf den Gräbern sind wie Grüße nach Hause. Wir hoffen, dass unsere Freunde und Verwandten vom Glauben ins Schauen und in die volle Freude gelangt sind und dass Gott ihr Leben in seiner Liebe vollendet hat. Mögen Sie uns ihrerseits von dort aus begleiten und helfen, die richtigen Akzente zu setzen wie es in einem alten Evangelischen Kirchenlied heißt:

Ewigkeit, in die Zeit
leuchte hell hinein,
daß uns werde klein das Kleine
und das Große groß erscheine.
Sel’ge Ewigkeit.

Marie Schmalenbach (1835 – 1924), deutsche Pfarrersehefrau und Schriftstellerin

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