Von der göttlichen Lebenskraft – Pfingstmontag

Zweite Lesung aus dem Brief des Apostels Paulus an die Epheser, Kapitel 4
2 Seid demütig, friedfertig und geduldig, ertragt einander in Liebe
3 und bemüht euch, die Einheit des Geistes zu wahren durch den Frieden, der euch zusammenhält.
4 Ein Leib und ein Geist, wie euch durch eure Berufung auch eine gemeinsame Hoffnung gegeben ist;
5 ein Herr, ein Glaube, eine Taufe,
6 ein Gott und Vater aller, der über allem und durch alles und in allem ist.

Autorin:
_MG_7932-web Birgit DroesserBirgit Droesser, Pastoralreferentin, war tätig in der Gemeindepastoral, in der Klinikseelsorge und im Theol. Mentorat Tübingen

 
Von der göttlichen Lebenskraft

Liebe Leserin, lieber Leser,
der Katholikentag in Regensburg bescherte mir zu all den guten Veranstaltungen noch ein besonderes Erlebnis, nämlich zum ersten Mal in meinem Leben zelten auf dem Campingplatz. Da konnte ich, so etwa ab drei Uhr, das Erwachen der Vogelstimmen hören. Ich wüsste gerne, wer da der Reihe nach seine Stimmer erhebt. Gartenrotschwanz, Rotkehlchen und Amsel sollen die Frühaufsteher sein. Es war jedenfalls wunderschön, den ersten Vogelruf zu hören und wie dann kurz darauf eine zweite Stimme antwortet, dann eine dritte einfällt und schließlich ein ganzes Vogelkonzert in der Stille des Morgens erschallt. Ich musste an die heilige Hildegard denken und ihre Rede von der göttlichen Lebenskraft, die die ganze Schöpfung erfüllt und am Leben erhält.

Hildegard von Bingen (1098 – 1179) hat aus ihrer mystischen Schau die Erkenntnis und Gewissheit empfangen, dass der göttliche Geist, die heilige Geistkraft, in allen Kreaturen als ihre ureigene Lebenskraft anwesend ist. Hildegard nennt diese ungeheuere und vielgestaltige Energie Grünkraft, auf lateinisch viriditas. Dieser Begriff durchzieht ihr ganzes Werk. Uns allen ist bekannt, dass Grün als die Farbe der Hoffnung gilt. Und oft sagen wir: „Die Hoffnung stirbt zuletzt.“ Mit Hildegard können wir den Zusammenhang verstehen. Denn das Grün ermöglicht den Pflanzen zu atmen und zu gedeihen und im nächsten Schritt ebenso den Tieren, die sich von den Pflanzen ernähren. Dem Menschen ermöglicht die Grünkraft seine Entwicklung an Körper, Geist und Seele. Die alleredelste Grünheit, wie Hildegrd sagt, ist die Wachstumskraft und Hoffnungkraft überhaupt; sie stammt aus Gott und ist heilig wie er. Alles, was gedeiht, grünt, blüht und Frucht bringt, hat letztlich in der heiligen Geistkraft seine Wurzeln. Das gilt für die Prozesse in der Natur aber auch für das Leben der menschlichen Seele und des Geistes. In einer ihrer Predigten hören wir Hildegard sagen: „Wenn der Mensch sein Herz zu Gott hin öffnet und es dadurch licht macht, wird alles grünen, was dürre ist.“ Erinnern diese Wort nicht an Zeilen aus dem Pfingsthymnus: Ohne dein lebendig Wehn, kann im Menschen nichts bestehn, kann nichts heil sein noch gesund?

Die Lebenskraft alleredelste Grünheit ist nicht die heilige Geistkraft selbst, aber sie ist ihre Fußspur und ihr Fingerabdruck in der ganzen Schöpfung. Aus ihr wurde Christus, der lichte Mensch, wie Hildegard ihn nennt, in Maria zum Leben erweckt. Sie prägt sein ganzes Leben und seine Botschaft. Sie wirkt in seinen Taten und Worten. Sie macht die Menschen durch alle Zeiten hindurch fähig, dass Evangelium zu verstehen und sich in ihrem Denken und Handeln von schädlichen und bösen Einflüssen abzuwenden. Wenn wir uns auf diesen Gedanken einlassen, dann kann so viel Zuversicht daraus erwachsen, gerade wenn wir zur Kenntnis nehmen müssen, dass wir als Christen in unserer Gesellschaft immer mehr zur Minderheit werden und ein ganz anderer Zeitgeist, wie in der Predigt von gestern beschrieben, unser Leben bestimmt. Frieden und Heil, mit denen uns Jesus anstiften will, sind in dieser Welt immer nur bruchstückhaft zu verwirklichen. Das sieht Hildegard ganz realistisch; aber sie können die Wirklichkeit verändern, da wo Menschen nach ihrem Gott suchen und zu ihm zurücklaufen. Am allerwichtigsten ist es für uns, dass wir feinfühlig und offen bleiben für das göttliche Geheimnis. Negativ gewendet sagt Hildegard es so: Wo aber die Frage nach Gott im Menschen nicht ist, da ist auch nicht die Antwort des heiligen Geistes. Bitten wir darum, dass die heilige Geistkraft die Taubheit unseres Herzens immer wieder aufbrechen möge, damit Gott Vater und Mutter aller, über allem, durch alles und in allem sein kann. Das ist das Beste, was uns widerfahren kann. Das hilft unserer Gesundheit an Leib und Seele und heilt unsere Beziehungen zu anderen Menschen.

Liebe Leserin, lieber Leser, zum Schluss möchte ich Ihnen heute ganz besonders danken für Ihr Interesse an den Frauenpredigten. Drei Jahre konnten wir mit Gottes Hilfe zu jedem Sonntag und Feiertag eine Predigt anbieten und ausdrücken, was wir vom Evangelium verstanden haben und uns auf dem Herzen lag. Vor drei Jahren haben wir diese Initiative unserer Kirche zum Geschenk gemacht. Manchmal wüssten wir gerne, wer es annimmt, und wie er oder sie die Predigt aufnimmt. Wenn wir uns zu diesem Geburtstag etwas wünschen dürfen, dann wäre es die eine oder andere Stimme über unseren treuen Kommentarschreiber hinaus. Wir wüssten gerne, was Sie von unseren Predigten halten, wo Sie zustimmen, weiterführende Gedanken haben oder etwas kritisch sehen. Es geht ja auch ohne Nennung des vollen Namens, falls sich jemand bedeckt halten will. Wir würden uns sehr darüber freuen!

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4 Antworten auf Von der göttlichen Lebenskraft – Pfingstmontag

  1. Petra Focke sagt:

    Ich lese mit Freude Ihre Predigten und kann jedes Mal den einen oder anderen Gedanken für mich entdecken! Das ich diese Seite entdeckt habe, ist für mich ein großer Gewinn! Danke an dieser Stelle!!!

  2. Martina sagt:

    In einer Zeit des Wiederannäherns an Kirche und Glaube habe ich diese Seite entdeckt und lese sie fast die ganzen 3 Jahre regelmäßig. Oft finde ich hier die Aspekte der Texte, die mir auch wichtig sind, eine wunderbare Ergänzung zur Predigt im Gottesdienst. Ich freue mich über die Lesungstexte aus der Bibel in gerechter Sprache, allein das gibt ja schon Anlässe, neu und intensiver nachzudenken. Ich bin sehr froh über diese Seite! Herzlichen Dank!

    • Kähny sagt:

      vielleicht schenkt die “ göttliche Lebenskraft “ den Frauenpredigten deshalb ihr Faszinosum und ihre Authenzität, weil zumeist erfahrene Familienmütter predigen…!

  3. clara sagt:

    Ich stimme „Kähny“ gerne zu – wie wohltuend, auch mit „fraulichen Augen“, im Alltag stehend, Bibeltexte fundiert interpretiert zu lesen! Danke für Ihr Engagement!
    Clara

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