Die Ankündigung … – 2. Adventssonntag A

Erste Lesung aus dem Buch Jesaja,Kapitel 11
1 An jenem Tag wächst aus dem Baumstumpf Isais ein Reis hervor, ein junger Trieb aus seinen Wurzeln bringt Frucht.
2 Der Geist des Herrn lässt sich nieder auf ihm: der Geist der Weisheit und der Einsicht, der Geist des Rates und der Stärke, der Geist der Erkenntnis und der Gottesfurcht.
3 Er richtet nicht nach dem Augenschein, und nicht nur nach dem Hörensagen entscheidet er,
4 sondern er richtet die Hilflosen gerecht und entscheidet für die Armen des Landes, wie es recht ist. Er schlägt die Gewalttätigen mit dem Stock seines Wortes und tötet den Schuldigen mit dem Hauch seines Mundes.
5 Gerechtigkeit ist der Gürtel um seine Hüften, Treue der Gürtel um seinen Leib.
6 Dann wohnt der Wolf beim Lamm, der Panther liegt beim Böcklein.
Kalb und Löwe weiden zusammen, ein kleiner Knabe kann sie hüten.
7 Kuh und Bärin freunden sich an, ihre Jungen liegen beieinander. Der Löwe frisst Stroh wie das Rind.
8 Der Säugling spielt vor dem Schlupfloch der Natter, das Kind streckt seine Hand in die Höhle der Schlange.
9 Man tut nichts Böses mehr und begeht kein Verbrechen auf meinem ganzen heiligen Berg; denn das Land ist erfüllt von der Erkenntnis des Herrn, so wie das Meer mit Wasser gefüllt ist.
10 An jenem Tag wird es der Spross aus der Wurzel Isais sein, der dasteht als Zeichen für die Nationen; die Völker suchen ihn auf; sein Wohnsitz ist prächtig.

Autorin:
scale-210-210-12_25508028_2Maria Sinz, Gemeindereferentin, Aalen, stellvertretende geistliche Leiterin der KAB (Katholische Arbeitnehmerbewegung)

 
Die Predigt:
Die Ankündigung …

Liebe Leserin, lieberLeser,
haben Sie schon die Erfahrung gemacht belächelt zu werden:“Ja, die Christen mit ihren frommen Wünschen. Engagiert aber letztlich weltfremd“. Der Wolf liegt beim Lamm. Ein arg strapaziertes Bild. Ich habe vor allem in Erinnerung, wie es als Beispiel für nicht überbrückbare Interessensgegensätze angeführt wird. Ein Bild für das Unmögliche, das nie eintreten wird, gar nicht eintreten kann. Und wenn der Wolf als Freund getarnt zum Lamm käme? In einer anderen Übersetzung heißt es gar „Dann wird der Wolf beim Lamm als Flüchtling unterkommen…“ Nun, jede kann sich ausmalen wie dies enden wird. Kaum anzunehmen, dass der Wolf aus Dankbarkeit das Lamm verschont, wenn er realisiert, wo er untergekommen ist. Ich habe bei diesem Bibeltext die Kritik im Ohr, dass wir Christen auf solche Weise Gegensätze schön malen, weil wir deren Härte nicht aushielten. Schön malen im Sinne von „eigentlich“ könnte alles doch ganz anders sein.

Die Bildworte des Jesaja. Zur Schönfärberei werden sie nur, wenn wir uns Gegensätzen nicht stellen. Wenn wir das Bild vom Wolf und Lamm benutzten und dabei die Wirklichkeit der Welt ausblendeten oder über sie weggingen. Wenn wir nicht nur Wolf und Lamm, sondern den ganzen Text als Bild betrachten, wird die Utopie habhaft. Gehen wir einige Textzeilen zurück. Da ist vom Geist des Herrn die Rede, der Raum greift in der Welt. Um was zu tun? Für die Armen des Landes entscheiden, heißt es. Dieser Geist gibt keine Almosen, sondern entscheidet wie es recht sei. Weisheit, Einsicht, Rat, Stärke, Erkenntnis und Gottesfurcht sind dabei die Motoren. Welche Situationen fallen Ihnen dabei ein? Erleben Sie Entscheidungen, denen Sie aus vollem Herzen beipflichten können: so ist es recht?

Biblische Texte bleiben, im Hinblick auf den Maßstab oder Dreh- und Angelpunkt bei „Entscheidungen, wie es recht ist“, durchgehend elementar: sie fordern für die Armen des Landes zu entscheiden. Biblische Texte setzen klare Prioritäten. Es geht folglich weniger darum, individuell jederzeit gerecht behandelt zu werden, als vielmehr um soziale Tatsachen. Die Sprache der Bibel trifft aber durchaus ein Gerechtigkeitsempfinden, das, wie wir Christen glauben, jeder Person innewohnt und kultiviert werden muss. An dieses Empfinden ist die Ankündigung des Jesaja adressiert. Wenn sie den Empfänger aufnahmebereit trifft, macht sie eher unruhig, stachelt an, als dass sie schönfärberisch über Gegensätze der realen Welt hinwegpinselt.

Ganz im Gegenteil geht es zur Sache. Gewalttätige werden mit dem Stock des Wortes geschlagen und Schuldige mit einem Hauch getötet. Mag sein, es schnellt ein Bild hoch vom rächenden Gott, der etwa individuelles Versagen bestraft. Das kann in die Mottenkiste. Der Geist Gottes ist beschrieben, der damals und heute Unrecht beim Namen nennt und Einhalt gebietet. Vermutlich fallen Ihnen Beispiele ein, in denen es gelang, durch klare Worte eine verfahrene Situation zu drehen oder Gehässigkeit zu stoppen. Schwieriger wird es, wenn es darum geht den Mechanismen, die Armut verursachen, Einhalt zu gebieten. Für einen wirkungsvollen Hauch braucht es die Stimme vieler, die wie aus einem Mund sprechen. In der KAB verbinden wir zum Beispiel Arbeitnehmer_innen in Treffpunkten, wo sie Gehör finden, gegenseitig Stärkung erfahren und auch mal Zeichen setzen. Hierzu hilft und ermutigt uns Jesaja. Die kraftvollen Worte, die wir im Christentum seit Jahrhunderten tradieren, weisen den Weg in die Zukunft.

Und gerade dann, wenn wir müde werden und einfach nicht mehr weiter können, gönnen sie uns eine Pause. Vielleicht kennen Sie die Sehnsucht nach ausgewogenen Entscheidungen, gerade dort und dann, wo wir sie am meisten vermissen. Die Worte Jesajas berühren uns in unserer Sehnsucht. Sie werden sanft. “Schau her“ scheinen sie zu sagen, „so wird es sein“: wie das Meer mit Wasser gefüllt ist, so wird das Land erfüllt sein mit Erkenntnis des Herrn. Wir können Pause machen und uns an dieser unverbrüchlichen Ankündigung nähren. Wir können uns Zeit lassen. In plastischen Bildern malt Jesaja aus, wie es sein wird. Mit endzeitlichen Bildern werden wir gestärkt für das Heute.

Der Text führt uns noch zu einer weiteren Kraftquelle. Er führt uns in unser Herz zurück. Im Bild vom Kind, das noch nicht die Gegensätze der Welt kritisch durchschaut. Das Bild vom Säugling, der sorglos nahe den Nattern spielt und das Kleinkind, das am Loch der Giftschlange fröhlich rumpatscht. Einerseits lässt es Alarmglocken schrillen. Andererseits führt es eine Wahrheit vor Augen. Leben und Freude greifen Raum mitten in den Gefahren, Ungerechtigkeiten und Gegensätzen der Welt. Die Kunst ist, beides Platz haben zu lassen. Das kritische Durchschauen und das Erleben von Momenten ursprünglicher Einheit.

Auf einen solchen Moment bewegen wir uns im Advent zu. Das sagen uns die Kerzen im Dunkel. Das sagt uns auch der heutige Festtag Maria Erwählung. Schlicht wie an Heiligabend oder feierlich wie an Weihnachten vergegenwärtigen wir uns einen Moment der ursprünglichen Einheit, von der her wir kommen und auf die hin wir leben. Und so dürfen wir uns auch ungeteilt mit ganzem Herzen auf das Kind in der Krippe freuen. Wenn wir treu an seiner Seite bleiben, führt es uns wieder in die Welt. Seine Lebensgeschichte bezeugt die Worte Jesajas. Und wir sind aufgefordert, sie in die Welt der Realitäten zu bringen. Die Welt der Realitäten, die genauso real ist wie unser Herz. „Ite missa est – Geht Ihr seid gesendet“!

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5 Antworten auf Die Ankündigung … – 2. Adventssonntag A

  1. Kähny sagt:

    Frieden -Macht – Gerechtigkeit…

    wir beobachten das Gegenteil: je länger der Frieden umso ärmer die Armen,umso reicher die Reichen, umso gieriger die Gier !

    „Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes…!“
    Die Realität: nach 2000 Jahren Golgotha ist das Reich Gottes der Angst ausgeliefert wie ehedem : allzuoft ist die „geweihte“ Kirche selbst der Wolf im Schafspelz…!

    • Jürgen Faltus sagt:

      Herr Khäny zeigt uns in seinem Kommentar die Darstellung der Welt, wie sie in fast allen Zeitungen zu finden gilt. Er hat noch nicht entdeckt, daß die Kirche zu Veränderungen aufruft, um jedwelche Mißstände zu ändern. Auch ist ihm verborgen geblieben, daß der Text von Jesaja Rückhalt, Kraft, Ruhe und Rückzugsebene geben kann, damit der Kampf gegen Unmenschlichkeit nicht aufhört.
      Außerdem: „Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes“ ist nicht Thema von Jesaja und der Predigt.

      • Kähny sagt:

        Lieber Herr Faltus,
        vielleicht ist „die Kirche“ s e l b s t der Mißstand.
        Warum sonst der „Tsunami“,den der Papst gerade auslöst und so manchen das Fürchten lehrt ?
        „… Gott schlägt die Gewalttätigen und tötet die Schuldigen…!“.(Jes.11)

        • Luzia Gutknecht sagt:

          Lieber „Kähny“,
          mir gefällt an der Predigt, dass sie uns auffordert, an einem Gegenentwurf zur herrschenden Gesellschaft zu arbeiten, wie es schon Jesaja getan hat.
          Diese wunderbaren Friedensbilder vom Lamm und vom Wolf regen meine Phantasie an, wie unsere inneren Wölfe sich mit den Lämmern befreunden könnten. Der Wolf von Gubbio ist da ein schönes Beispiel!
          Für mich ist der Jesaja-Text also eine Ermunterung zum Träumen („I have a dream….!“)
          und diese Träume Wirklichkeit werden zu lassen.
          Besser, als zu lamentieren, wie schlecht Kirche und Welt doch sind, oder?

  2. Theres sagt:

    Vielen Dank für diese Predigt! Besonders gut gefällt mir der Hinweis auf die Kraftquellen, die der Bibeltext enthält. Danke!!

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