Erwartungen an den Messias – 3. Adventssonntag A

Einführung zum Matthäusevangelium
Einige zentrale Hervorhebungen von Martina S. Gnadt können uns das Verständnis des Matthäusevangeliums erleichtern:
1. Ich halte das Matthäusevangelium für judenchristlich, d.h. ich rechne damit, dass es in judenchristlichen Gemeinden der jüdischen Diaspora, wahrscheinlich in Syrien, entstanden ist. Die matthäischen Gemeinden, von ihrem Selbstverständnis her an den Messias und Sohn Gottes glaubende Jüdinnen und Juden sind Teil des Judentums, das nach der Zerstörung Jerusalems und des Tempels durch die römische Besatzungsmacht 70 n. Chr. um die Zukunft des jüdischen Glaubens und Lebens ringt.
2. Der Vatername Gottes ist im Matthäusevangelium von herausragender Bedeutung. Die strikte Weisung, keine andere Vaterautorität als die des himmlischen Vaters anzuerkennen, hat patriarchatskritische Funktion. Die Gemeinden haben nur einen Meister und Lehrer, Christus, und nur einen Vater, Gott. Bei Jesus Christus liegt die letzte Autorität und Vollmacht. Wichtigstes Kennzeichen des himmlischen Vaters ist seine verlässliche Fürsorge für alle seine Geschöpfe. Auf dieser Grundlage ruft das Matthäusevangelium zur Sorglosigkeit auf, zum täglich vollzogenen Widerstand gegen die Unterwerfung unter den Mammon, d.h. gegen ein Leben, das vorrangig durch die Sorge um Essen, Trinken und Kleidung bestimmt ist, ein Leben, in dem die real bestehenden Abhängigkeitsverhältnisse das letzte Wort haben und die Abhängigen knechten.
3. Mit Nachdruck verbindet das Matthäusevangelium Gebetsfrömmigkeit und Lebenspraxis. Am Schluss der Bergpredigt fasst das Gleichnis vom klugen Hausbauer zusammen, worauf die gesamte Rede Jesu abzielt: auf das Hören und Tun des Gehörten. Die Anweisungen Jesu haben ihre feste Verankerung in der Tora Israels.
Martina S. Gnadt, Das Evangelium nach Matthäus, in: Kompendium Feministische Bibelauslegung, Gütersloh ³2007

Aus dem Evangelium nach Matthäus, Kapitel 11
2 In jener Zeit hörte Johannes im Gefängnis von den Taten Christi. Da schickte er seine Jünger zu ihm
3 und ließ ihn fragen: Bist du der, der kommen soll, oder müssen wir auf einen andern warten?
4 Jesus antwortete ihnen: Geht und berichtet Johannes, was ihr hört und seht:
5 Blinde sehen wieder und Lahme gehen; Aussätzige werden rein und Taube hören; Tote stehen auf und den Armen wird das Evangelium verkündet.
6 Selig ist, wer an mir keinen Anstoß nimmt.
7 Als sie gegangen waren, begann Jesus zu der Menge über Johannes zu reden; er sagte: Was habt ihr denn sehen wollen, als ihr in die Wüste hinausgegangen seid? Ein Schilfrohr, das im Wind schwankt?
8 Oder was habt ihr sehen wollen, als ihr hinausgegangen seid? Einen Mann in feiner Kleidung? Leute, die fein gekleidet sind, findet man in den Palästen der Könige.
9 Oder wozu seid ihr hinausgegangen? Um einen Propheten zu sehen? Ja, ich sage euch: Ihr habt sogar mehr gesehen als einen Propheten.
10 Er ist der, von dem es in der Schrift heißt: Ich sende meinen Boten vor dir her; /
er soll den Weg für dich bahnen.
11 Amen, das sage ich euch: Unter allen Menschen hat es keinen größeren gegeben als Johannes den Täufer; doch der Kleinste im Himmelreich ist größer als er. 

Autorin:
Susanne-WalterSusanne Walter, Gemeindereferentin in Filderstadt, verheiratet, vier Kinder

 
Die Predigt:
Erwartungen an den Messias

Liebe Leserin, lieber Leser,
„Der, die, das! Wer, wie, was? Wieso, weshalb, warum? Wer nicht fragt bleibt dumm!“ Den Text dieses Liedes kennt vermutlich fast jeder von uns. Es ist die Titelmelodie der Sesamstraße, die vor 40 Jahren ins deutsche Fernsehen kam. Generationen von Kindern sind mit den frechen Figuren der Sesamstraße groß geworden. In den halbstündigen Folgen geht es neben witzigen Dialogen immer auch um Situationen im Kinderalltag und das Warum, oder wie etwas funktioniert, oder hergestellt wird. Gerade die Frage nach dem Warum beschäftigt Kinder bis ins Unendliche. Wer hat nicht schon mal gestöhnt, wenn Kinder immer weiter bohren mit ihrem “ Warum ist das so und so, warum machst du das, warum, warum, warum …?“ Kinder möchten genau wissen, was los ist. Durch ihr Fragen kommen sie weiter und sie lernen die Welt besser zu begreifen. So spielen auch im heutigen Evangelium zwei Fragen eine wichtige Rolle: Die erste Frage richtet sich an Jesus. Die Jünger des Johannes fragen im Auftrag von Johannes: „Bist du der, der kommen soll oder müssen wir auf einen anderen warten?“

Johannes war sich bewusst, dass er die Menschen auf die Ankunft des Messias vorbereiten sollte. Und Johannes hatte wohl auch eine klare Vorstellung davon, was der Messias dann tun würde, nämlich für Gerechtigkeit sorgen. All diejenigen, die nicht auf Gott hören, werden bestraft. So hatte er es den Menschen am Jordan verkündet. Aber es passiert nichts dergleichen. Jesus verhält sich anders. Das bringt Johannes, der für seine Mission, seine Aufgabe und Überzeugung im Gefängnis sitzt, ganz schön durcheinander. Deshalb lässt er Jesus fragen: „Bist du der, der kommen soll?

Und wenn wir ehrlich sind, dann wissen wir, dass es uns manchmal auch so wie Johannes geht. Gott soll sich doch endlich einmischen in die Ungerechtigkeit der Welt. Wenn er der Retter ist, warum gibt es dann immer noch Krieg und Streit, warum werden viele Kinder und Frauen misshandelt, warum müssen so viele Menschen hungern, warum verhindert er nicht, dass unsere Umwelt zerstört wird, und, und, und … Die Antwort Jesu ist ganz anders, als erwartet. Er verweist auf das eigene Sehen und Hören. Es gilt genau hinzusehen, was ist. Wir sollen das, was passiert, nicht durch die Brille der eigenen Vorstellungen wahrnehmen. Wir sollen unvoreingenommen sehen, was Jesus tut: wie er, predigt, Kranke heilt, Arme froh macht, verachteten Menschen seine Freundschaft schenkt oder Sünder nicht straft, sondern durch seine Zuwendung zur Umkehr bewegt. So errichtet Gott sein Friedensreich. Das ist seine Antwort. Es gibt keine einfache Antwort auf die Frage: „Bist du der, der kommen soll, oder müssen wir auf einen anderen warten?“

Diese Frage kann nur jede und jeder selbst für sich beantworten. Damit könnte das Gespräch zu Ende sein. Doch nicht bei Jesus, denn jetzt fragt er die Menschen, die zuhören: „Was habt ihr sehen wollen?“ Nicht immer handeln wir unvoreingenommen. Wie oft ertappen wir uns dabei, dass wir Menschen in eine Schublade stecken, aus der sie nicht mehr herauskommen, oder dass wir unsere Vorstellungen von einer bestimmten Situation haben und gar nicht offen damit umgehen können. Vieles geschieht auch unbewusst. Deshalb ist es wichtig, dass wir uns immer wieder die Frage stellen, was wir tun, was wir erwarten. Solche Fragen bringen uns durcheinander rütteln uns auf aus dem Alltagstrott. Sie helfen uns die Blickrichtung zu korrigieren, unser Sehen und Denken zu überprüfen, sie helfen uns aber auch immer wieder, uns Gedanken zu machen über unseren Glauben. Wem oder was wir ver-trauen, was wir uns zu-trauen.

Dieses Evangelium steht am Anfang des Kirchenjahres, im Advent.
Advent ist die Zeit der Erwartung. Aber wozu auf den warten, der schon gekommen ist? Tun wir im Advent nur so „als ob“? Geht es da nur um ein unaufrichtiges Vormachen, um ein alljährliches Kinderspiel? Gewiss nicht.
Du bist anders, als vor einem Jahr.
Du siehst anders als vor einem Jahr.
Du hörst anders als vor einem Jahr.
Du denkst anders, als vor einem Jahr.
Du bist also neu.
Also kann ich mir jedes Jahr neu die Frage stellen:
Auf wen warte ich?
Was wollen wir sehen, was erwarten wir von Jesus?

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3 Antworten auf Erwartungen an den Messias – 3. Adventssonntag A

  1. Maria sagt:

    Liebe Susanne, danke für die Auslegung. Klar und prägnant. Schärft den Blick, hinter meine eigene Erwartung zu schauen.
    Anders als vor einem Jahr.
    Ansporn, den ich mitnehmen kann. Danke.

  2. Kähny sagt:

    Zweifel…
    die Jonas- und og.Johanneserzählungen gleichen sich: fassungslose Ent-Täuschung.
    Was bleibt sind : Zweifel – und Hoffnung…-bis heute.

    Vielleicht offenbart sich Gott nur dem Frager nach dem „Wieso,Weshalb,Warum ?“
    (s.o. Sesamstrasse…).
    Vielleicht müsste „die Kirche “ nur mehr zuhören als stummen Schafen predigen.

  3. clara sagt:

    Ja, Kähny,
    wir als lebendige Kirche sollten mehr zuhören -hinhören, welche Fragen die Menschen von heute haben. Sie suchen, wie Johannes.
    Eine Schülerin aus einem nicht religiösen Haus gibt im schulinternen Netz „Religion“ als Lieblingsfach an. Sucht sie Halt? Mein Sohn betet im Moment sehr oft den „Sorgenwerferpsalm“ – alle meine Sorgen werfe ich auf Dich, mein Gott – es ist ihm leichter danach, weil er nicht alles alleine schaffen muss.
    Jesus antwortet ja Johannes auch nicht direkt, wer er ist, sondern sagt, was sich bewegen kann, wenn wir Ihm Platz in uns geben, wenn wir Ihn passieren lassen in unserem Leben.
    So ist unser Leben an sich glaubwürdiges Zeugnis – wir haben die Kraft, hinzuhören, was jene, denen Gott noch nicht so bewusst begegnet ist, wie vielleicht uns, suchen. Wir können ihre kritischen Fragen aushalten und sollten sie nicht gleich abkanzeln mit „hoher Theologie“ sondern einfühlsam mitgehen, manchmal auch Zweifel stehen lassen – „der Kleinste im Himmelreich ist größer als er“, diese Demut sollten wir dabei nicht verlieren.

    Anders als vor einem Jahr gehe ich dieses Mal „hoffnungsschwanger“ auf ein neu werden zu, neu geboren werden, ja – gaudete!

    Clara

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