„Alle – rheiligen“ – Hochfest 1. November 2012

Zweite Lesung aus dem Ersten Johannesbrief, Kapitel 3
1 Seht, wie groß die Liebe ist, die der Vater uns geschenkt hat: Wir heißen Kinder Gottes und wir sind es. Die Welt erkennt uns nicht, weil sie ihn nicht erkannt hat.
2 Liebe Brüder – und liebe Schwestern – , jetzt sind wir Kinder Gottes. Aber was wir sein werden, ist noch nicht offenbar geworden. Wir wissen, dass wir ihm ähnlich sein werden, wenn er offenbar wird; denn wir werden ihn sehen, wie er ist.
3 Jeder, der dies von ihm erhofft, heiligt sich, so wie Er heilig ist.

Autorin:
C-Bettin-komprimiert-200x300Christina Bettin, Gemeindereferentin in der Gemeinschaft der Gemeinden Mönchengladbach-Süd im Bistum Aachen

 
Die Predigt:
Allerheiligen“

Liebe Leserin, lieber Leser,
gerne möchte ich Sie einladen, direkt zu Beginn im Lesen einmal innezuhalten und nachzudenken über die Frage, ob Sie eine „Lieblingsheilige“ oder einen „Lieblingsheiligen“ haben? … Und wie Sie zu ihm oder ihr gekommen sind?…

Haben sie einen solchen Liebling? Nein? Ja?

Also mein „Lieblingsheiliger“ ist Franz von Assisi. Mein Religionslehrer in der 8./9. Klasse hat ihn mir nahe gebracht. Faszinierend an ihm fand ich seine Lebenswende vom reichen, verschwenderischen Kaufmannssohn zu einem armlebenden Aussteiger. Außerdem hat mich als Jugendliche ungemein angesprochen, wie er auch vor Autoritäten nicht zurückgeschreckt ist, sondern sich auseinander gesetzt hat, den Spiegel vorgehalten hat, angefangen vom eigenen Vater bis hin zum Kirchenoberhaupt, dem Papst. Auch seine Verbundenheit zur Natur und allen Geschöpfen kam bei mir gut an. Als wir dann auch noch mit der Jugendgruppe eine Fahrt nach Assisi machten und in der Landschaft auf den Spuren des Heiligen wandeln konnten, da war es um mich geschehen! Franziskus ist bis heute mein Lieblingsheiliger geblieben und das sicherlich auch, weil er mir in einer persönlich entscheidenden Suchphase meines Lebens begegnet ist.

Ich kann dem extrem viel abgewinnen, einen Lieblingsheiligen oder eine Lieblingsheilige zu haben, mit der oder dem man sympathisiert, sich auf einer Wellenlänge fühlt. Wellenlänge, auch wenn ich persönlich keine solch einschneidende Lebenswende hinter mir habe, nicht in absoluter Armut und Verzicht lebe und es auch mit meiner Konsequenz nicht immer so weit her ist. Der Heilige Franziskus bleibt doch mein Vorbild, dessen Lebenseinstellung ich nacheifere und nicht aus dem Blick verlieren will.

So oder ähnlich mag es Ihnen vielleicht mit einer anderen Gestalt aus der reichen Auswahl der Heiligen gehen. Für jede und jeden von denen gibt es einen Namens- oder Gedenktag im Jahr, so dass wir an sie erinnert werden.

Doch wozu dann noch das Fest „Allerheiligen“? Jede und jeder mag ja, wie gesagt, ganz persönlich einen haben, aber mal ganz ehrlich, in dieser sogenannten Heiligen Agenda, gibt es doch nun wirklich so und so viele, die partout nicht als Vorbild durchgehen und denen man auch nicht nacheifern kann. So manch einer ist allerhöchstens aus seiner Zeit heraus zu verstehen, viele waren machtbesessen und gingen für ihre Zwecke sogar über Leichen. „Allerheiligen“ – soll man diese etwa alle mitverehren? Ich sehe das Fest in diesem Punkt wirklich sehr kritisch. –

Eine ganz andere Komponente dieses Festes kommt dadurch für mich herein, dass es den Brauch gibt, am Allerheiligen Tag auf die Friedhöfe zu gehen und die Gräber zu segnen. Bei uns, in Mönchengladbach, ist das jedenfalls noch üblich und zu meiner Pfarrei gehört sogar ein katholischer Friedhof. Da ich als Gemeindereferentin selbst regelmäßig den Begräbnisdienst versehe, sind mir viele Verstorbene bzw. deren Angehörige vertraut: Dort hinten links im Urnenreihengrab letzte Woche Frau X, sie wurde 93 Jahre alt; hier vorne in der Nähe des Baumes in der Familiengrabstätte Frau Y, es war eine große Beerdigung mit vielen Angehörigen; gleich etwas weiter rechts Herr Z, dessen Enkelin so bitterlich geweint hat… Mit meinen Dienstjahren hier werden es immer mehr vertraute Orte; und eben mehr noch vertraute Personen! Personen, mit denen ich kleine Geschichten und Episoden verbinde. Wenn ich bei der Gräbersegnung manche Hinterbliebenen wiedersehe und erkenne, geht mir mehr und mehr auf: „Die Verstorbenen sollen nicht vergessen sein.“ Sie haben mit uns gelebt und stehen auch weiterhin in lebendiger Verbindung. Auch unter ihnen gab es nicht nur vorbildliche, untadelige Lebensgeschichten und doch steht der Brauch der Gräbersegnung für den Wunsch und das Bedürfnis, unsere Toten mögen eben nicht vergessen sein. Vielleicht gibt es unter diesen Verstorbenen auch „Lieblinge“, ganz individuell und persönlich – am „Alle– rheiligen Tag“ feiern wir, dass in Gottes Augen keiner vergessen ist! Jeder und jede ist mit seinem persönlichen, unverwechselbaren Lebenswandel einmalig. In Gottes erbarmendem, liebevollem Blick, der unseren eingeschränkten, kleinkarierten Maßstab von „Heilig“ weit übersteigt, sind alle Gottes Lieblinge! – Und das nicht erst als Verstorbene, sondern schon zu Lebzeiten! –

Mir gefällt der Gedanke, die Bezeichnung „Heilige“ passend zur heutigen Lesung aus dem ersten Johannesbrief mit „Kinder Gottes“ zu übersetzen. Dann nämlich schwingt bei mir nicht diese missverständliche Heiligen Agenda, mit dem traditionellen, katholischen Heiligsprechungsverfahren und einer exklusiven Auswahl von Personen mit, sondern es ist ein Würdename, den alle Menschen mit Stolz tragen dürfen: Du bist ein Kind Gottes! Noch dazu ein Name, der einer Person nicht von Seiten der Amtskirche zugesprochen wird, sondern einer, der eine neue Sichtweise in erster Linie aus der Liebe Gottes heraus entstehen lässt. Aus dieser Zusage und Haltung heraus möchte ich leben. Das macht mein Leben beschwingter, verleiht mir eine Leichtigkeit. Es lässt mich Vorbehalte gegenüber anderen überdenken und rückt uns alle als Menschheitsfamilie näher zusammen.

Kinder Gottes – Heilige – sind viel näher als wir meinen, sie sind nicht fern und auf einem Sockel, sondern sie sind direkt in meiner Nachbarschaft – und in Ihrer!

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