Lass dich provozieren! – 25. Sonntag im Jahreskreis B

Aus dem Evangelium nach Markus, Kapitel 9
30 In jenen Tagen zog Jesus mit seinen Jüngern und – Jüngerinnen durch Galiläa. Er wollte aber nicht, dass jemand davon erfuhr;
31 denn er wollte seine Jünger – und Jüngerinnen – über etwas belehren. Er sagte zu ihnen: Der Menschensohn wird den Menschen ausgeliefert und sie werden ihn töten; doch drei Tage nach seinem Tod wird er auferstehen.
32 Aber sie verstanden den Sinn seiner Worte nicht, scheuten sich jedoch, ihn zu fragen.
33 Sie kamen nach Kafarnaum. Als er dann im Haus war, fragte er sie: Worüber habt ihr unterwegs gesprochen?
34 Sie schwiegen, denn sie hatten unterwegs miteinander darüber gesprochen, wer von ihnen der Größte sei.
35 Da setzte er sich, rief die Zwölf und sagte zu ihnen: Wer der Erste sein will, soll der Letzte von allen und der Diener aller sein.
36 Und er stellte ein Kind in ihre Mitte, nahm es in seine Arme und sagte zu ihnen:
37 Wer ein solches Kind um meinetwillen aufnimmt, der nimmt mich auf; wer aber mich aufnimmt, der nimmt nicht nur mich auf, sondern den, der mich gesandt hat.

Autorin:
Frauenpredigt BildBettina Prenzel, Pastoralreferentin in der Seelsorgeeinheit Kirchheim unter Teck, Maria Königin

 
Die Predigt:
Lass dich provozieren!

Liebe Leserin, lieber Leser,
Vor einiger Zeit traf ich Bekannte aus meiner Schulzeit. Wir hatten uns fast 20 Jahre nicht mehr gesehen und natürlich war jeder neugierig, wo der oder die Einzelne gelandet war. Mitten im Zuhören fiel mir auf, dass wir einander nur erzählten, wie weit wir es gebracht hatten. Ja, ich ertappte mich sogar dabei, wie ich mich einen Augenblick lang mit den anderen verglich und mich einzuordnen versuchte auf der Karriereleiter. Es scheint sich also nichts seit der Zeit Jesu geändert zu haben: das Streben danach, der oder die Beste, Fleißigste, Klügste oder Reichste zu sein, steckt irgendwie tief in uns Menschen.

Um so provozierender dagegen das Verhalten Jesu: Ausgerechnet ein Kind stellt er in ihre Mitte. Ein Kind, das damals ganz unten auf der Werteskala stand und nichts vorweisen konnte, was in den Augen der Jünger erstrebenswert schien. Das haben die Jünger sicher nicht so leicht geschluckt. Vielleicht ist ihnen Jesus damit auch ein Stück fremd geworden, da seine Sichtweise so ganz anders war.
Für mich ist diese Stelle so aktuell wie nie zuvor – und damit meine ich nicht nur die im Moment herrschende politische oder finanzielle Krisensituation. Nein, Jesu Handeln ist für mich auch im Blick auf die Situation unserer Kirche eine große Herausforderung:

Zunächst denke ich da an den Mut Jesu, sich gegen die damals herrschenden Wertevorstellungen zu stellen.
Auf heute übertragen bedeutet es für mich, dass nicht das Streben nach Einfluss oder das ängstliche Klammern an Privilegien oder Strukturen in der Kirche unser Leben prägen, sondern die Zuwendung zum Kleinen, zum Letzten im Vordergrund stehen sollte.
Das heißt zum einen Einsatz für diejenigen, die keine Stimme haben, denen wir aber eine Stimme verleihen sollen – egal, ob wir als Kirche damit in der öffentlichen Meinung Punkte sammeln oder nicht. Dabei bin ich froh, dass auf Weltebene z.B. bei den Vereinten Nationen alle Armen dieser Welt eine Stimme durch Ordensleute haben, die auch redeberechtigt sind und mutig ihre Sicht der Dinge, oft aus eigenem Erleben, einbringen. Doch nicht nur auf Weltebene gibt es solche Zeichen. Auch vor Ort gibt es viele Aktionen und Gruppen, die sich mutig für die „Letzten“ unserer Gesellschaft einsetzen. Dabei könnten wir Christen noch mutiger werden und gegen tagtägliche Ungerechtigkeiten eintreten, z.B. wenn Massenentlassungen aus Profitgier die Würde der Arbeitnehmer mit den Füßen treten, oder wenn Gesundheit demnächst nur noch mit Geld zu haben ist. Die Tatsache, dass die Schere zwischen Armen und Reichen in Deutschland immer größer wird, sollte uns Christen aufrütteln, ja sogar zu einem „Wutbürger“ werden lassen, der nicht alle Entwicklungen in der Politik und der Gesellschaft mitmachen möchte.

Der Mut Jesu, sich gegen gängige Vorstellungen zu wenden, heißt für mich aber auch, dass wir auch mutig alte Strukturen in der Kirche hinterfragen und neue, ungewöhnliche Wege suchen, wie Gemeinde heute in Zeiten des Priestermangels aussehen könnte – ohne immer auf Kirchenrecht oder Traditionen zu schauen oder bereits fertig ausgearbeitete Pläne zu erwarten.

Eine zweite Herausforderung ist sicher unsere schnelllebige Zeit, in der alles im Umbruch ist. In der plötzlich nichts mehr sicher ist, wo es manchmal kein eindeutiges Richtig oder Falsch mehr gibt, wo nur noch Unsicherheit zu herrschen scheint.
Genau diese Unsicherheit führt dazu, dass eine engere Auslegung der Bibel und des Kirchenrechts als auch eine strengere Hierarchie und „Zucht“ für manche attraktiv wird, in dem Glauben, damit der Kirche und den Menschen unserer Zeit helfen zu können.

Jesus zeigt uns einen anderen Weg: nicht durch strengeres Einhalten der Gesetze, also Leistung, findet der Mensch zur Freiheit, zu sich selbst, zu Gott, sondern indem er seinen Blick wendet. Nicht das Mehr, sondern das Wie rückt dabei in den Mittelpunkt. Und damit wären wir wieder beim Kind, das Jesus den Jüngern vorführt.
Jesus zeigt den Jüngern durch das Kind, dass es im Leben nicht auf das Mehr, also das Bessersein, Größersein, Mehr-Einfluß-Haben ankommt, sondern auf das Wie, also die Intensität, mit der ich etwas tue. Kinder sind da ein gutes Vorbild. Sie können sich ganz im Augenblick verlieren. Eine Eigenschaft, die viele Erwachsene verlernt haben und dadurch keinen Zugang mehr zu ihrem Inneren finden. Wer aber nicht bei sich sein kann, nicht in sich ruhen kann, der muss zum Anderen schielen und sich durch ein Besser-Sein beweisen, egal, in welcher Kategorie.

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