Unsere Welt wird nicht im Chaos versinken – 2. Sonntag im Jahreskreis A

Aus dem Evangelium nach Johannes, Kapitel 1
In jener Zeit
29 sah Johannes Jesus auf sich zukommen und sagte: Seht, das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt hinwegnimmt!
30 Er ist es, von dem ich gesagt habe: Nach mir kommt ein Mann, der mir voraus ist, weil er vor mir war.
31 Auch ich kannte ihn nicht; aber ich bin gekommen und taufe mit Wasser, damit er Israel offenbart wird.
32 Und Johannes bezeugte: Ich sah, dass der Geist vom Himmel herabkam wie eine Taube und auf ihm blieb. 
33 Auch ich kannte ihn nicht; aber er, der mich gesandt hat, mit Wasser zu taufen, er hat mir gesagt: Auf wen du den Geist herabkommen und auf ihm bleiben siehst, der ist es, der mit dem Heiligen Geist tauft.
34 Und ich habe es gesehen und bezeugt: Dieser ist der Sohn Gottes.

Autorin:
Maria Lerke Maria Lerke, Pastoralreferentin in der Seelsorgeeinheit Winnenden-Schwaikheim-Leutenbach

 
Die Predigt:
Unsere Welt wird nicht im Chaos versinken

Liebe Leserin, lieber Leser,
wenn wir uns vorstellen müssen, dann sagen wir ja üblicherweise unseren Namen, unseren Beruf, vielleicht noch unser Alter oder den Familienstand, je nachdem, in welcher Runde wir sind. Vor 15 Jahren war ich mit einer Studiengruppe in Israel. Da war ich sehr erstaunt, dass bei den verschiedenen Vorstellungsrunden, gleich nach dem Namen, immer als erstes die Religionszugehörigkeit genannt wurde.

Um eine Art Vorstellung ging es auch heute im ersten Kapitel des Johannesevangeliums; der Evangelist will uns sagen, wer dieser Jesus ist. An Weihnachten hörten wir, dass Jesus das fleischgewordene Wort Gottes, dass er Licht und Leben ist. Und heute hören wir in der Fortsetzung, dass Jesus das Lamm Gottes ist und dass er die Sünden der Welt hinwegnimmt. Wir alle kennen diese Bezeichnung, weil wir sie jedes Mal vor dem Kommunionempfang im „Agnus Dei“ hören und nachsprechen.

Interessant ist, dass nur der Evangelist Johannes Jesus als Lamm bezeichnet, und das nur zweimal – jetzt am Beginn seines Evangeliums und dann später, im Zusammenhang mit der Kreuzigung.
Was will Johannes uns damit sagen?

Die Zuhörer damals wurden sicher sofort an die „Opferlämmer“ erinnert. Schon in vorbiblischer Zeit wurden neugeborene Tiere als besondere Geschenke der Götter angesehen. Zum Dank und um die Gottheit weiterhin gnädig zu stimmen, wurde dann eines der kleinen Wunder ausgewählt und den Göttern „geopfert“.

Auch die Erinnerung an das Pascha-Lamm war den Zuhörern des Evangelisten sicher wohl bekannt. Als Israel aus Ägypten auszog, sollte jede Familie – auf Gottes Befehl hin – ein Lamm schlachten und die Türpfosten mit dem Blut bestreichen. Dann wurden sie vor der Strafe vom vorübergehenden Engel des Herrn bewahrt. (Exodus 12) So wurde das Lamm zum Symbol der großen Befreiungstat des Gottes Israels.
Bestimmt haben die Zuhörer des Johannesevangeliums auch das Lied vom Gottesknecht gekannt (Jesaja 43,7) wo vorausgesagt wird, dass einer kommen wird, der alle Sünde auf sich nimmt, der wie ein Lamm zu seinem Schlachter geführt wird, der sich opfert, damit andere gerettet werden.

Wenn nun Jesus sowohl mit dem Pascha-Lamm, als auch mit dem Sühneopfer des Gottesknechtes in Zusammenhang gebracht wird, dann will Johannes damit sagen: Jetzt ist die von Gott geschenkte Befreiungstat vollkommen. Jesus ist der verheißene Gottesknecht, der durch seinen Tod Sühne für die Sünde der Welt bewirkt hat. Es braucht keine weiteren Opfer mehr, weil durch Jesu Tod, durch seine Hingabe am Kreuz von nun an alles weggenommen ist, was den Menschen von Gott trennt.

Und schon sind wir an einem Punkt angelangt, womit auch ich meine Schwierigkeiten habe. Wie soll das mit dem „Sühneopfer“ gehen – ist doch irgendwie peinlich – ein anderer soll für mich den Kopf hinhalten? Ein schwieriger Gedanke für unser heutiges Menschenbild, wo wir doch selbstverantwortlich leben wollen und auch sollen! Außerdem passt das überhaupt nicht in das Bild von einem liebenden Gott! Wie kann der so ein Opfer von seinem einzigen Sohn verlangen?

Vielleicht liegt das auch an unserem Verständnis von Sünde, die wir doch eher als eine private Angelegenheit ansehen. In Biblischer Zeit hatte Sünde aber eine viel tiefere Bedeutung: Wer sündigt zerstört immer auch die Schöpfungsordnung. Sünde schafft eine Wirklichkeit, die unserem Lebensraum Schaden zufügt. Eine Sünde vergiftet unser Zusammenleben und das macht was mit uns selbst – das Wissen, dass ich etwas Falsches verursacht habe, schlägt mir nicht nur auf den Magen – die Sünde zerstört nicht nur meine Beziehung zu meinen Mitmenschen und zu Gott, sie schlägt auch auf mich selbst zurück.

Auch die „Sühnevorstellung“ war zu biblischen Zeiten anders als heute: Sühne hatte nichts mit einem rächenden Gott zu tun – im Gegenteil: Sühne ist eine von Gott geschenkte Gabe. Auch wenn ich mich durch eine Sünde von Gott, von meinen Mitmenschen getrennt und meine Lebenswirklichkeit vergiftet habe, bekomme ich eine neue Chance. Gott eröffnet mir eine neue Lebensmöglichkeit.

Wenn der „Gottesknecht“ stellvertretend für uns die Sünden der Vielen auf sich nimmt (Jesaja 53,4-6.10-12), dann werden sie nicht einfach annulliert, sie schlagen auf den zurück, der sie für uns auf sich genommen hat. Jesus nimmt die Verachtung der Menschen und die daraus erwachsene Gottesferne auf sich. Er weiß, wie weh das tut und er weiß auch, wie schwach wir Menschen sind. Er vertraut, dass seine Liebe stark genug ist, um das alles für uns auf sich nehmen zu können.

Hinter diesem „Sühne-Gedanken“, der uns so fremd erscheint, steckt ein ungeheures Ernstnehmen unserer Sünden. Mit diesen Gedanken versuchten die ersten Christen den Tod Jesu und seine Bedeutung für sie selbst auf die Spur zu kommen. Jesus hatte stellvertretend die Sünde der Welt auf sich genommen und damit eine neue Wirklichkeit in der Beziehung zu Gott ermöglicht. Wer sich zu Jesus bekannte, konnte den zerstörerischen Auswirkungen der Sünden und der todbringenden Gottesferne entkommen. Kann dieses Verständnis von Jesus als Gotteslamm auch für hier und jetzt eine heilsame und frohe Botschaft sein?

Durch die Krisen unserer Zeit sehen wir ja immer deutlicher, dass unsere „Sünden“ nicht folgenlos bleiben. Auch durch unser sündhaftes Tun und Lassen ist eine Wirklichkeit entstanden, die auf uns mit voller Wucht zurückschlägt. Wir brauchen uns nur die Folgen des Klimawandels und die Folgen der ungerechten Verteilung der Güter auf unserer Welt anschauen: Viele bezweifeln, ob wir überhaupt noch etwas retten können. Viele meinen, die Wirklichkeit sei schon so sehr vergiftet, dass es kein Entrinnen mehr gibt: Unsere „Umwelt“-Sünden schlagen gnadenlos auf uns zurück; das Leben auf Kosten der Anderen hat weltweit bereits so viele Schäden angerichtet, dass Menschen aus ihrer Heimat fliehen müssen, weil es für sie ums nackte Überleben geht.

„Seht das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt hinwegnimmt!“ Ich glaube, dass uns dieses Bekenntnis besonders heute helfen kann, nicht zu verzweifeln. Jesus Christus ist auch für uns das Hoffnungszeichen, das uns von Gott geschenkt wurde: Trotz der zerstörerischen Wirkung unserer Fehler und Sünden wird unsere Welt nicht im Chaos versinken. Jesus Christus hat diesen schicksalhaften Kreislauf durch seinen Tod durchbrochen. Und alle, die sich zu ihm bekennen, können mithelfen, diesem todbringenden Kreislauf auch heute zu entrinnen.

Ich will jetzt aber nicht sagen, dass wir unsere Hände beruhigt in den Schoß legen können unter dem Motto: Der Papa wird`s schon richten! Der Glaube allein kann unsere Probleme nicht lösen; aber mit unserem Glauben an Jesus Christus verlieren wir die Angst vor der Zukunft, verlieren wir die Lähmung vor der schieren Aussichtslosigkeit unserer Lage. Selbst in den existenzbedrohlichen Auswirkungen unserer Fehlentscheidungen, selbst in den Rückschlägen, die ja Folgen unserer egoistischen und „sündhaften“ Vergehen sind, dürfen wir die Hoffnung bewahren. Und die Hoffnung, dass Gottes Liebe größer ist, als unsere Verkettungen in unheilvolle Zusammenhänge, diese Hoffnung ermöglicht es uns, „anders“ und neu zu leben.

Leben in Fülle erreichen wir nicht durch immer mehr Wohlstand auf Kosten der anderen! Wir müssen nicht immer das letzte Wort haben oder unsere Überlegenheit mit Gewalt demonstrieren, davon hat uns Jesus Christus befreit. Lassen wir uns von seiner Liebe durchdringen, nehmen wir das hilfs- und schutzbedürftige Lamm Gottes in unsere Arme und ins Herz auf. Durchdrungen von seiner Liebe können wir mithelfen, mutig und heilsam all denen zu begegnen, die so sehr in diesen unheilvollen Strukturen unserer Welt verstrickt sind. Beten wir darum, dass wir wie Johannes erkennen können, wo und wann uns Jesus, das Lamm Gottes, begegnet.

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