In der Mitte der Nacht – In der Heiligen Nacht

Aus dem Evangelium nach Lukas, Kapitel 2
1 Es geschah aber in jenen Tagen, dass Kaiser Augustus den Befehl erließ, den ganzen Erdkreis in Steuerlisten einzutragen.
2 Diese Aufzeichnung war die erste; damals war Quirinius Statthalter von Syrien.
3 Da ging jeder in seine Stadt, um sich eintragen zu lassen.
4 So zog auch Josef von der Stadt Nazaret in Galiläa hinauf nach Judäa in die Stadt Davids, die Betlehem heißt; denn er war aus dem Haus und Geschlecht Davids.
5 Er wollte sich eintragen lassen mit Maria, seiner Verlobten, die ein Kind erwartete.
6 Es geschah, sls sie dort waren, da erfüllten sich die Tage, dass sie gebären sollte,
7 und sie gebar ihren Sohn, den Erstgeborenen. Sie wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe, weil in der Herberge kein Platz für sie war.
8 In dieser Gegend lagerten Hirten auf freiem Feld und hielten Nachtwache bei ihrer Herde.
9 Da trat ein Engel des Herrn zu ihnen und die Herrlichkeit des Herrn umstrahlte sie und sie fürchteten sich sehr.
10 Der Engel sagte zu ihnen: Fürchtet euch nicht, denn siehe, ich verkünde euch eine große Freude, die dem ganzen Volk zuteil werden soll:
11 Heute ist euch in der Stadt Davids der Retter geboren; er ist der Christus, der Herr.
12 Und das soll euch als Zeichen dienen: Ihr werdet ein Kind finden, das, in Windeln gewickelt, in einer Krippe liegt.
13 Und plötzlich war bei dem Engel ein großes himmlisches Heer, das Gott lobte und sprach:
14 Ehre sei Gott in der Höhe / und Friede auf Erden / den Menschen seines Wohlgefallens.

Autorin:
Greiner-Jopp Gabriele 2017Gabriele Greiner-Jopp, Wendlingen, war als Gemeindereferentin, Dekanatsreferentin und Geistliche Begleiterin tätig

 
Die Predigt:
In der Mitte der Nacht

Liebe Geburtstagsgäste,
Sie haben sich aufgemacht, um mitten in der Nacht, oder zumindest am späten Abend, die Geburt eines Kindes zu feiern. Weshalb eigentlich nachts? Morgen feiern wir doch den ganzen Tag über das Geburtsfest Jesu! Im Evangelium, das wir eben gehört haben, steht dazu ein einziger Satz: In dieser Gegend lagerten Hirten auf dem Felde. Sie hielten Nachtwache bei ihrer Herde.

Zufall oder Absicht, dass der Evangelist Lukas die Geburt Jesu nachts stattfinden lässt? Ich weiß nicht, was Sie mit der Nacht verbinden, wir erleben ja kaum noch wirklich dunkle Nächte, sondern machen eher die Nacht zum Tag. Damit hat sie etwas von ihrem Schrecken verloren, aber auch von ihrem Zauber und ihrem Wert als Schutz eingebüßt. Ich meine, es ist sinnvoll, dass Lukas die Geburt Jesu in die tiefe Nacht legt. In der Ruhe der Nacht sind andere Sinne wach als am Tag. Im Schlaf können wir zur Ruhe kommen und geben die Kontrolle ab. Statt den ewigen Gewissheiten und rationalen Argumenten, lauschen wir vielleicht auf die Weisheit unserer Träume und vertrauen darauf, dass wir morgens ausgeruht und „wie neugeboren“ erwachen.

Die Nacht hat, bevor es Nachtsichtgeräte und Lichtverschmutzung gab, Schutz geboten. Flüchtlinge und Verfolgte konnten ausruhen und neue Kraft schöpfen oder in ihrem Schutz entkommen. In der Nacht sind nicht nur Diebe, Einbrecher oder andere Vagabunden unterwegs, sondern auch Menschen, die Nachtwache halten, wie die Hirten: in Kliniken Pflegeheimen und auf Schiffen. Menschen, die dafür sorgen, dass morgens für uns das Leben weitergehen kann: in Großmärkten, auf Straßen und Schienen, an Hochöfen und in E-Werken sorgen sie für uns. Die Nacht bot, zumindest vor 2000 Jahren, Orientierung: Sie ließ etwas ahnen von der Größe des Weltalls und der Kleinheit von uns Menschen. Die Sterne halfen Richtung, Jahreszeiten und besondere Ereignisse zu bestimmen.

Dass Lukas ausgerechnet Hirten erwähnt, ist nicht nur naheliegend, weil es um Bethlehem Weiden gab, sondern hat auch mit dem Wort selbst zu tun. „Hirte“ und „sehen“ spricht man im Hebräischen gleich aus. „ro-e“. Es geht im Schutz der Nacht also um hellsichtige Menschen, die mit ihren inneren Augen mehr sehen oder spüren als andere am helllichten Tag. (Wie zum Beispiel Josef, von dem Matthäus erzählt, dass er seinen Träumen mehr vertraut als dem, was er tagsüber hört und sieht: Meine Verlobte ist schwanger, aber nicht von mir.) Ob die Hirten mitten in der Geschäftigkeit des Tages Engel gehört oder gesehen hätten? Wir wissen es nicht; was wir aber wissen, ist, dass viele Verwandlungen nicht im Licht des Tages geschehen, sondern im Schutz der Nacht bzw. im Dunkel der Erde; man denke nur an keimende Samen.

Das Kind Jesus, dessen Geburt wir jetzt feiern, wird als Erwachsener oft im Schutz der Nacht beten, Ruhe suchen und finden bei Gott. Vor seinem Tod wird er eine schreckliche Nacht durchleben, hellsichtig sieht er kommen, was ihm bevorsteht und flieht dennoch nicht. Dafür verfinstert sich bei seinem Tod die Sonne. Und Finsternis hat eine andere Qualität als Nacht. In der Finsternis gibt es keine Orientierung mehr.

Lukas macht uns über die Hirten, die Nachtwache halten deutlich, dass es beides braucht: Tag und Nacht; Ruhe und Aktivität, Bewusstsein und Unbewusstes. Unser Leben spielt sich in Polaritäten ab. „In der Mitte der Nacht liegt der Anfang eines neuen Tags“ heißt es in einem Lied. Auch dies feiern wir heute Nacht und mit der Geburt des göttlichen Kindes immer wieder neu: Keine Nacht dauert ewig, wir können auf das Licht vertrauen, das kommen wird. Das gilt für die Natur, wie es für das menschliches Leben gilt. In dieser Nacht können wir lernen und darauf vertrauen, dass in jeder und jedem von uns ein göttliches Kind lebt, das zur Welt kommen will. Unsere dunklen Stunden und unsere Nachtseiten können sich dann wandeln zu Fähigkeiten und Kompetenzen, sofern wir auf die Boten Gottes hören und wach sind dafür, so wie die Hirten.

Manchmal frage ich mich, wie die Heil-losigkeit unserer Zeit, die Hektik, der Stress, die Gewalt damit zusammenhängen, dass wir die Nacht zum Tag gemacht haben und Naturgesetze außer Kraft setzen, zumindest nicht mehr respektieren. Die Nacht wieder entdecken als den Ort, an dem wir Gott begegnen, auch das könnte uns die Heilige Nacht lehren. In den Sternen, wie die Weisen, Zeichen für Gottes Größe und Wirken erkennen, anstatt sie mit künstlichem Licht auszublenden.

„..und in ihrer dunklen Erde blüht die Hoffnung“, so geht das Lied In der Mitte der Nacht weiter. Die Samenkörner, die wir im Herbst in die Erde gelegt haben, sind ein Sinnbild für unsere Hoffnung und unser Vertrauen, dass in der Dunkelheit der Nacht etwas wachsen kann. Was legen wir heute Nacht in die Erde, dass es sich wandelt? Was bringen wir dem göttlichen Kind in der Krippe und in uns?

Ich wünsche uns allen von Herzen eine Nacht, die geweiht ist, eine göttliche Nacht.
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Liedtext: Sybille Fritsch, Melodie: Fritz Baltruweit

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