Man fühlt die Absicht – 4. Adventssonntag A

Aus dem Evangelium nach Matthäus, Kapitel 1
18 Mit der Geburt Jesu Christi war es so: Maria, seine Mutter, war mit Josef verlobt; noch bevor sie zusammengekommen waren, zeigte sich, dass sie ein Kind erwartete – durch das Wirken des Heiligen Geistes.
19 Josef, ihr Mann, der gerecht war und sie nicht bloßstellen wollte, beschloss, sich in aller Stille von ihr zu trennen.
20 Während er noch darüber nachdachte, erschien ihm ein Engel des Herrn im Traum und sagte: Josef, Sohn Davids, fürchte dich nicht, Maria als deine Frau zu dir zu nehmen; denn das Kind, das sie erwartet, ist vom Heiligen Geist.
21 Sie wird einen Sohn gebären; ihm sollst du den Namen Jesus geben; denn er wird sein Volk von seinen Sünden erlösen.
22 Dies alles ist geschehen, damit sich erfüllte, was der Herr durch den Propheten gesagt hat:
23 Siehe: die Jungfrau empfangen / und einen Sohn gebären, / und sie werden ihm den Namen Immanuel geben, / das heißt übersetzt: Gott mit uns.
24 Als Josef erwachte, tat er, was der Engel des Herrn ihm befohlen hatte, und nahm seine Frau zu sich.
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25 Er erkannte sie aber nicht, bis sie ihren Sohn gebar. Und er gab ihm den Namen Jesus.

Autorin:
Birgit 2022 001 (4)Birgit Droesser, Pastoralreferentin a.D. der Diözese Rottenburg-Stuttgart, jetzt ehrenamtlich in St. Bruno, Würzburg

 
Die Predigt:
Man fühlt die Absicht

Liebe Leserin, lieber Leser,
ein wunderbarer Text und zugleich ein schwieriges Thema. Schwierig, weil emotional sehr aufgeladen, dogmatisch festgelegt und seit dem 4. Jahrhundert heiß diskutiert. Wird es mir gelingen etwas Verständliches und Glaubhaftes dazu zu sagen? Ich will es versuchen. Es geht mir um eine klare Sprache für uns Heutige. Und da passt die Rede von der unversehrten Jungfräulichkeit Mariens und dem Dauerbräutigam Josef, wie wir es in der Weihnachtsliturgie wieder oft hören werden, so gar nicht dazu.

Aber zuerst ist da Josef, ein Gerechter.
Papst Benedikt schildert ihn in seinem Buch „Jesus von Nazareth, der Prolog“ (S. 48 ff) sehr berührend und ausführlich: Josef, ein Mensch mit „Freude an der Weisung des Herrn“, einer der das Gesetz als Gotteswort verinnerlicht hat und „es von innen her zu verstehen und zu leben lernt.“ Josef, eigentlich ein Mann voller Vertrauen in Gott. Jetzt ringt er darum, wie er mit seiner tiefen Enttäuschung umgehen und wie es mit Maria weitergehen soll.

Diese kurze Charakteristik führt zu seinen Träumen, in denen er sich darüber klar wird, was Gott von ihm will. Die Psychoanalyse sagt uns, dass wir selber es sind, die träumen, und deshalb auch selber unsere Träume deuten müssen. Wir können uns den Ausnahmezustand vorstellen, in den Josef durch die Schwangerschaft seiner Frau Maria geraten war. Wie es ihn aufgewühlt und ins Mark getroffen haben muss, wie er sich an die Verse der Psalmen vielleicht auch an die alte Verheißung des Propheten Jesaja erinnert hat: Siehe, die junge Frau wird empfangen und einen Sohn gebären. All das dringt aus dem Unterbewusstsein in seine Träume. Vielleicht kennen sie auch Träume, die einen glücklich aufwachen lassen! In einem solchen Traum begegnet Josef dem Engel und der führt ihn zur inneren Aussöhnung mit Maria.

Der weggelassene Vers
Dass Maria Jesus auf übernatürliche Weise durch das Wirken der Geistkraft Gottes empfangen hat, dieses Bild, sichert den Glaubenssatz: Dieses Kind ist „Gott nach Sein und Wesen“ (R. Guardini). Doch jetzt kommt es: Wenn man das heutige Evangelium in der Bibel nachliest, dann fehlt in unserem Sonntagslektionar ein Satz. Wie bitte? Er (Josef) erkannte sie aber nicht, bis sie ihren Sohn gebar. Und er gab ihm den Namen Jesus. Das Evangelienbuch für den Sonntag lässt diesen Satz einfach weg, obwohl er der letzte des betreffenden Abschnitts, der Perikope, ist. „Man fühlt die Absicht und man ist verstimmt“, möchte man mit Goethe sagen; denn allzu deutlich geht es darum, Maria von jeder natürlichen ehelichen Beziehung auszunehmen. Keine Spur von Sexualität soll an ihr haften.

Er erkannte seine Frau nicht, bis sie ihr Kind gebar; danach also schon, denkt man sich unwillkürlich, auch wenn nicht ausdrücklich gesagt ist, was DANN war. „Erkennen“, das ist ein so viel schöneres biblisches Wort für den nüchternen und technischen deutschen Ausdruck „Geschlechtsverkehr“. Nach Matthäus haben Josef und Maria nach der Geburt des Jesuskindes als Mann und Frau zusammengelebt. Er weiß also nichts von einer sogenannten „Josefsehe“. Gemeint ist bekanntlich, dass die Ehepartner Haus und Tisch teilen, aber nicht das Bett. Dazu passt, dass er in späteren Versen (13,54-58 par)von der Familie Jesu spricht: Ist das nicht der Sohn des Zimmermanns (bei Mk „der Zimmermann“)? Heißt nicht seine Mutter Maria und sind nicht Jakobus, Josef, Simon und Judas seine Brüder? Leben nicht auch alle seine Schwestern unter uns? Woher hat er das alles? Besonders der Bruder Jakobus findet auch bei Paulus Erwähnung im Galaterbrief (1,19) und in der Apostelgeschichte (12,2).

Sie haben bestimmt auch schon von Erklärungsversuchen gehört: mit dem griechischen Wort „Brüder und Schwestern“ können auch Cousins und Cousinen gemeint gewesen sein, oder: der wesentlich ältere Josef war schon einmal verheiratet und brachte Kinder mit in die Ehe. Es sind Denkmöglichkeiten, die besonders Augustinus vertreten hat, um die „unversehrte Jungfräulichkeit“ Marias zu betonen und zu bewahren.

Aber warum war es schon der frühen Kirche, allen voran Augustinus so wichtig, von der „immerwährenden“ Jungfräulichkeit Marias zu sprechen? Und das ganz naturalistisch gemeint, nicht im übertragenen Sinn. Zu Jungfräulichkeit passt ein ebenfalls aus der Zeit gefallener Ausdruck „Keuschheit“. Damit ist in erster Linie ein liebevolles Bild von Sexualität gemeint. Sexuelle Beziehung als natürliches Begehren eingebettet in Liebe; eben nicht rein triebhaft, herrschsüchtig und egoistisch nur auf die eigene Lust bedacht. Keuschheit hat mit Treue und Selbstbeherrschung zu tun. Warum also sollten Maria und Josef nicht eine reine und gute Ehe miteinander geführt haben. Dass sich Jesus zu einer so integrierten und souveränen Persönlichkeit entwickeln konnte, wie er es war, lässt doch auf sein harmonisches Elternhaus rückschließen, von dem er sich dann als Erwachsener auch frei machen konnte. Auch ein Gütezeichen!

Wirkungen auf das Frauenbild
Das Bild der immerwährenden Jungfrau, der reinen Virgo Maria, wurde zum Ideal der Frau hochstilisiert, zu der man aufschaut und die man verehrt. Diese Auffassung hat das Frauenbild tief beeinflusst. Sexualität wird allenfalls durch Mutterschaft gerechtfertigt, wenn überhaupt. Ein normales Frauenleben ist dagegen immer das weniger werte. Sexualität wird durch die Hochschätzung der biologischen Jungfräulichkeit abgewertet. Rein und unrein sind die Kategorien. Damit müsste dringend aufgeräumt werden. Wir wissen heute besser denn je, wohin die Verdrängung der Sexualität führen kann. Man kann Maria, unnahbar in ihrer „Reinheit“, feierlich verehren und zugleich das Weibliche im Tiefsten, unbewusst, ablehnen. Wieviel Frauenleid ist damit verbunden. In unserer Kirche ist da noch sehr viel aufzuarbeiten.

Ich meine, wir sollten uns bemühen, auch in Glaubensdingen so zu sprechen, dass heutige Menschen die Rede glaubwürdig finden; also nicht mystifizieren, im Unklaren verbleiben. „Wage es, dich deines Verstandes zu bedienen.“ Diesen Kernsatz der Aufklärung hat die Kirche lange gefürchtet, weil damit jedem und jeder die Freiheit zugestanden wird, biblische Texte zu lesen und für sich und den eigenen Glauben auszulegen; dazu gehört auch, sich in der Auslegung manchmal zu verirren. Das Risiko gehört dazu. Aber: Selbstdenken ermöglichen, sich in Glaubensfragen selbst bestimmen, sich mit dem verdrängten Weiblichen auseinandersetzen, das dürfen und müssen wir von unserer Kirche erwarten. Und da passen unterschlagene Verse überhaupt nicht dazu.

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