Auch ich verurteile dich nicht – 5. Fastensonntag C

Aus dem Evangelium nach Johannes, Kapitel 8
In jener Zeit
1 ging Jesus zum Ölberg.
2 Am frühen Morgen begab er sich wieder in den Tempel. Alles Volk kam zu ihm. Er setzte sich und lehrte es.
3 Da brachten die Schriftgelehrten und die Pharisäer eine Frau, die beim Ehebruch ertappt worden war. Sie stellten sie in die Mitte
4 und sagten zu ihm: Meister, diese Frau wurde beim Ehebruch auf frischer Tat ertappt.
5 Mose hat uns im Gesetz vorgeschrieben, solche Frauen zu steinigen. Was sagst du?
6 Mit diesen Worten wollten sie ihn auf die Probe stellen, um einen Grund zu haben, ihn anzuklagen. Jesus aber bückte sich und schrieb mit dem Finger auf die Erde.
7 Als sie hartnäckig weiterfragten, richtete er sich auf und sagte zu ihnen: Wer von euch ohne Sünde ist, werfe als Erster einen Stein auf sie.
8 Und er bückte sich wieder und schrieb auf die Erde.
9 Als sie das gehört hatten, ging einer nach dem anderen fort, zuerst die Ältesten. Jesus blieb allein zurück mit der Frau, die noch in der Mitte stand.
10 Er richtete sich auf und sagte zu ihr: Frau, wo sind sie geblieben? Hat dich keiner verurteilt?
11 Sie antwortete: Keiner, Herr. Da sagte Jesus zu ihr: Auch ich verurteile dich nicht. Geh und sündige von jetzt an nicht mehr!

Autorin:
Passfoto A.R.Angela Repka, Literaturübersetzerin in Offenbach, ausgebildete Diakonin und in der Pfarrgemeinde ehrenamtlich tätig

 
Die Predigt:
Auch ich verurteile dich nicht

Liebe Leserin, lieber Leser,
wie am letzten Sonntag im Gleichnis vom verlorenen Sohn hören wir auch heute eine Geschichte, in der es auf dramatische Weise um Schuld und Vergebung geht, ja um Leben und Tod. Diesmal ist es kein Sohn, der sein Erbteil mit Prostituierten und Prasserei durchgebracht hat, in lebensbedrohliche Not geraten ist und schließlich zu seinem Vater zurückkehrt, der ihm freudig entgegeneilt, ihn umarmt und ein Fest für ihn ausrichtet, ohne ihm irgendwelche Vorwürfe zu machen.

Diesmal ist es eine Tochter Israels, eine verheiratete Frau, von der es heißt, sie sei beim Ehebruch ertappt worden, worauf nach mosaischem Gesetz Tod durch Steinigung steht. Schriftgelehrte und Pharisäer haben sie am frühen Morgen zum Tempel gezerrt, wo Jesus die bereits herbeigeströmte Menschenmenge lehrt. Die gelehrten, frommen Männer, deren Fäuste schon die Steine zur Hinrichtung umklammern, stellen die Frau in die Mitte vor Jesus hin und fordern ihn auf, sein Urteil abzugeben, denn auch ihm trachten sie nach dem Leben. Jesus ist sich dessen bewusst und er hat es während seines Auftretens davor mehrmals ausgesprochen. Wenn er nun diese Frau verteidigt, entsprechend seiner Lehre vom liebenden, verzeihenden Gott, dem das Leben in Fülle für alle am Herzen liegt, Umkehr, nicht Tod und Bestrafung, dann stellt er sich gegen das Gesetz und dann hätten sie einen Grund, ihn zu ergreifen und anzuklagen. Zwei Fliegen mit einer Klappe. Setzt er sich aber nicht für die Frau ein, dann verrät er seine Lehre und wird vor aller Augen unglaubwürdig. Nun haben sie den Rabbi endlich in der Zwickmühle. Meinen sie. Die Frau sagt kein Wort. Sie wird auch nicht gefragt.

Und wie reagiert Jesus? Er schreibt in den Sand und tut so, als ginge ihn das Ganze nichts an. Er ist ganz bei sich, vollkommen gelassen, und bringt damit etwas Ruhe in die sich zuspitzende Situation. Auf der einen Seite das steinerne Gesetz, dem Menschen gnadenlos unterworfen werden, auf der anderen Seite der Sand der Vergeblichkeit, denn selbst durch die Todesstrafe lässt sich das Böse nicht ausrotten, wie es das mosaische Gesetz intendiert. Und was, wenn am Ende ein Irrtum vorliegt?Urteilt nicht nach dem Augenschein, sondern urteilt gerecht! (Joh 7;24) So hatte Jesus gemahnt, als er wegen einer Heilung am Sabbat von Pharisäern kritisiert worden war.

Als die Männer weiter auf eine Antwort drängen, konfrontiert Jesus sie mit dem berühmten, uns bis heute nachdenklich machenden Satz: Wer von euch ohne Sünde ist, werfe als erster einen Stein auf sie. Statt zu urteilen oder zu richten, hält Jesus diesen Vertretern der damaligen geistlichen Elite, die gerade im Begriff sind, an der gefassten Frau auf brutalste Weise ihre makellose und strenge Gesetzestreue zu demonstrieren, den Spiegel vor. Damit haben sie nicht gerechnet. Einer nach dem anderen ziehen sie ab, die Ältesten zuerst, während sich Jesus erneut bückt und scheinbar teilnahmslos weiter auf die Erde schreibt.

Es ist ein atemberaubendes Geschehen, ja fast ein Wunder, diese unerwartete Wende. Diese unerbittlich auftretenden Männer haben sich von Jesus innerlich berühren lassen, ein Funke selbstkritischer Einsicht wurde in ihnen entfacht, so dass sie von der Frau und dem Meister abließen.

Als die Schriftgelehrten und Pharisäer weg sind, richtet sich Jesus wieder auf, redet die Frau an und fragt sie, wo denn die Männer geblieben seien, ob keiner sie verurteilt habe. Erstmals kommt auch die Frau zu Wort, indem sie antwortet: Keiner, Rabbi. Darauf sagt Jesus in seiner göttlichen Menschlichkeit ganz schlicht und unspektakulär: Auch ich verurteile dich nicht. Geh und sündige von jetzt an nicht mehr! Keine Moralpredigt, keine Belehrung, keine Verurteilung. Nur die Aufforderung, von jetzt an nicht mehr zu sündigen. Wie der verlorene Sohn aus dem bekannten Gleichnis hat diese verlorene Tochter Israels ihre Würde und Freiheit wiedergewonnen, so dass sie nun gehen und mit Gott versöhnt ein neues Leben beginnen kann.

Wie das Leben der Frau nach ihrer Rettung weitergegangen ist, erfahren wir nicht. Vielleicht hat sie sich den Leuten um Jesus angeschlossen und eine erfüllende Aufgabe für sich gefunden, denn zu ihrem Ehemann konnte sie wohl kaum zurückkehren.

Ebenso wissen wir nichts über die näheren Umstände jenes Ehebruchs, der zum Ergreifen der Frau geführt hat. Ein kleiner Rückblick lohnt sich aber, denn so einfach, wie es zunächst scheinen mag, ist es nicht. Es stellt sich als erstes die Frage nach dem Mann, denn zu einem Ehebruch gehören bekanntlich zwei. Wo bleibt der Mann, dem ja nach mosaischem Gesetz die Todesstrafe genauso droht wie der Frau (vgl. Dtn 22,22), ist er doch in die Ehe eines anderen Mannes eingebrochen? Ist der Ehebrecher entkommen und hat die Frau ihrem grausamen Schicksal überlassen? Oder haben die Männer gar ihren Geschlechtsgenossen entwischen lassen, etwa in dem Sinne, dass eine Krähe der anderen kein Auge aushackt? Kann ja jedem mal passieren … Oder lag sogar ein Komplott vor, weil der Ehemann seine Frau zwar auf brutale, aber effektive Weise loswerden konnte? Hier würde dann der Vorwurf Jesu greifen: Hat Mose euch nicht das Gesetz gegeben? Aber keiner von euch befolgt das Gesetz. (Joh 7,19a) Wie dem auch sei, der Ehebrecher ist ihnen entkommen, umso härter verfolgen sie die Frau.

Und wie ist die Frau in diese Lage gekommen? Ging es nur um ein Abenteuer und mangelnde Vorsicht hat das Paar auffliegen lassen? Wohl eher nicht angesichts der Todesstrafe, die beiden drohte. Immerhin konnte der jüdische Mann, selbst der verheiratete, seine Sexualität mit Prostituierten, Sklavinnen und unverheirateten Frauen ausleben, was Frauen nicht erlaubt war. Dann war vielleicht sein Ruf hin, aber ein Verstoß gegen das Gesetz war es nicht. – Oder war in der verbotenen Beziehung Liebe im Spiel, Streben nach Glück und Erfüllung, vielleicht auf dem Hintergrund einer unglücklichen Ehe, aus der die Frau nicht ausbrechen konnte? Nur dem jüdischen Mann war es gestattet, seine Ehefrau mit einem Scheidebrief zu entlassen – umgekehrt ging das nicht. – Es hätte aber durchaus sein können, dass die Frau das Opfer einer Vergewaltigung war. Selbst dann wäre sie zur Ehebrecherin erklärt und getötet worden. Allein der Fakt zählte, dass sie in flagranti mit einem Mann ertappt worden war. Die näheren Umstände interessierten nicht und die Frau bekam keine Gelegenheit sich zu verteidigen.

Auch bei uns ist es noch gar nicht so lange her, dass einer Frau nicht geglaubt wurde, wenn sie einen Mann wegen Vergewaltigung anklagte. Und Vergewaltigung in der Ehe ist erst seit wenigen Jahren ein Straftatbestand. Erst die weltweite #me too-Bewegung brachte Licht in den dunklen Kontinent von sexuellem Missbrauch an Frauen. Und erst kürzlich stand in der Zeitung, dass eine verheiratete Frau aus einem arabischen Land sich fürchtet, eine Vergewaltigung anzuzeigen, weil sie dann selbst beschuldigt würde. Hier liegt noch vieles im Argen, auch in unserer Kirche.

Urteilt nicht nach dem Augenschein, sondern urteilt gerecht. Das ist die Forderung Jesu, auch an uns Heutige, wobei für ihn Gerechtigkeit und Erbarmen zusammengehören. Er bekämpft das Böse, Sünde und Unrecht, aber nie die sündigen Menschen. Vielmehr setzt er sich für deren Rettung und Befreiung ein, bis zum letzten Blutstropfen. Dafür können wir Jesus, unserem Lehrer und Heiland, nicht genug danken. Bitten wir Gott besonders in dieser Fastenzeit, die von Krankheit, Krieg und Klimawandel gezeichnet ist, um die Kraft, Kreativität und Begeisterung, dem Beispiel Jesu zu folgen. Amen.

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Eine Antwort auf Auch ich verurteile dich nicht – 5. Fastensonntag C

  1. Lydia sagt:

    Vielen Dank für diese klaren und wohltuenden Worte!

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