Zwischenzeit und Ernte – 11. Sonntag im Jahreskreis B

Aus dem Evangelium nach Markus, Kapitel 4
In jener Zeit sprach Jesus zu der Menge:
26 Mit dem Reich Gottes ist es so, wie wenn ein Mann Samen auf seinen Acker sät;
27 dann schläft er und steht wieder auf, es wird Nacht und wird Tag, der Samen keimt und wächst und der Mann weiß nicht, wie.
28 Die Erde bringt von selbst ihre Frucht, zuerst den Halm, dann die Ähre, dann das volle Korn in der Ähre.
29 Sobald aber die Frucht reif ist, legt er die Sichel an; denn die Zeit der Ernte ist da.
30 Er sagte: Womit sollen wir das Reich Gottes vergleichen, mit welchem Gleichnis sollen wir es beschreiben?
31 Es gleicht einem Senfkorn. Dieses ist das kleinste von allen Samenkörnern, die man in die Erde sät.
32 Ist es aber gesät, dann geht es auf und wird größer als alle anderen Gewächse und treibt große Zweige, sodass in seinem Schatten die Vögel des Himmels nisten können.
33 Durch viele solche Gleichnisse verkündete er ihnen das Wort, so wie sie es aufnehmen konnten.
34 Er redete nur in Gleichnissen zu ihnen; seinen Jüngern – und Jüngerinnen – aber erklärte er alles, wenn er mit ihnen allein war.

Autorin:
Walburga_2009Walburga Rüttenauer-Rest, Bensberg, Grundschullehrerin, nach der Pensionierung Ausbildungskurs zum Diakonat der Frau, diakonische und liturgische Aufgaben in der Pfarreigemeinde, Geistliche Begleiterin der KFD im Dekanat Bergisch Gladbach

 
Die Predigt:
Zwischenzeit und Ernte

Liebe Leserin, lieber Leser,
und Jesus sagte: „Mit dem Reich Gottes ist es wie bei einem Bauern: Er streut die Körner auf das Land, dann legt er sich schlafen und steht wieder auf – tagaus, tagein. Und die Saat geht auf und wächst – der Bauer weiß nicht wie. Ganz von selbst bringt die Erde die Frucht hervor. Zuerst den Halm, dann die Ähre, zuletzt den reifen Weizen in der Ähre. Wenn die Frucht reif ist, schickt er sofort die Erntearbeiter los, denn die Erntezeit ist da.“ Ein typisches Männerevangelium: „Der Bauer weiß nicht wie.“

In der Tat: die Fragen, was der alltägliche Vorgang des Säens, Wachsens und Erntens mit dem Gottesreich zu tun hat, was er mit uns zu tun hat, drängt sich auf. Doch das Gleichnis hält sehr wohl eine Antwort auf diese Fragen bereit. Es berichtet nur sehr kurz vom Vorgang der Aussaat und der Ernte. Der Tagesablauf des Bauern wird nur kurz beschrieben. Viele Menschen können sich damit wieder erkennen, immer dasselbe. Was dazwischen geschieht, erfahren wir vom Bauern nicht. Von ihm wird erzählt, dass er seinen täglichen Geschäften nachgeht und dass er selbst nicht weiß, wie der Same wächst. Sein Tagesablauf ist immer derselbe. Auch das Ende, die Ernte der reifen Frucht, kommen nur denkbar knapp in den Blick. Länger hält sich der Erzähler dagegen bei der Zeit zwischen Saat und Ernte auf.

Vom ausgestreutem Samen wird angesichts der Kürze des Gleichnisses geradezu ausführlich berichtet. Wie die Saat wächst und die einzelnen Teile der Pflanze: der Halm, die Ähre, der reife Weizen in der Ähre wird nacheinander beschrieben. Auf die Zeit zwischen Aussaat und Ernte kommt es also offensichtlich sehr an. Und schließlich: Wie ein Signalwort erklingt das Von selbst: Von selbst bringt die Erde Frucht.

Frauen, die eine Schwangerschaft durchgemacht haben, erinnern sich an eine intensive Zeit zwischen Aussaat und Ernte. Die Zeit zwischen Empfängnis und Geburt ist ihnen sehr lebhaft in Erinnerung. Was sich in ihrem Leib abspielt, wird von Tag zu Tag spannender. Die ersten Kindsbewegungen werden besonders wahrgenommen. Es beginnt eine Zeit inniger Verbundenheit. Die Mutter nimmt wahr, wenn das Kind einen Schluckauf hat. Sie spürt das Trampeln der kleinen Füße. Sie fühlt, wenn sich das Ungeborene dreht, oder Purzelbäume schlägt. Sie merkt, dass das Kind wächst und nicht mehr so viel Platz hat. Die Zeit der Geburt naht. Wer bestimmt den Tag der Geburt? Ist es nicht die Reife des Kindes, die in dieser Zwischenzeit sich entwickelt? Die Mutter erlebt etwas Einmaliges. Bei jedem Kind wird sie etwas anderes erleben.

Was will Jesus mit dieser Zwischenzeit ausdrücken? Warum ist sie ihm so wichtig? Es ist die Zeit, in der Leben heranwächst. In der Zeit, in der unsere Kinder geboren wurden, wussten wir nicht, ob es ein Mädchen oder ein Junge wurde. Das Herzklopfen des Kindes aber konnten wir fühlen. Vieles, was die heutigen Ärzte feststellen, wusste ich nicht. Aber die Stunde der Geburt war und ist auch heute die Stunde Gottes. Auch wenn jetzt die Eltern vieles vor der Geburt erfahren, kann der Arzt bei einer natürlichen Zeugung nur wenig verändern. Der Vater erlebt die Zeit der Schwangerschaft anders als die werdende Mutter diese „Zwischenzeit“ erfährt. Man kann diese Zeit, die der Vater erlebt mit den Zeiten des Bauern vergleichen.

In diesem Gleichnis ist die Zwischenzeit das Wichtigste. Sie ist die Zeit vor wichtigen Ereignissen, zum Beispiel die Vorbereitung einer Hochzeit, das Warten auf Genesung von einer schweren Krankheit. Es ist die Zeit bevor sich etwas Entscheidendes ändert. Jede Reifezeit hat ein Ende. Die Zwischenzeit verliert ihren Wert, ihren Sinn, wenn sie nicht in etwas Neues mündet. Jede Schwangerschaft endet, wenn alles gut läuft, mit neuem Leben.

Wir Frauen leben in einer Zwischenzeit. Seit der Mitte des 20.Jahrhunderts wandelt sich das Selbstbewusstsein der Frau. In den beiden Weltkriegen verlieren viele Frauen ihren Mann. Sie erlernt, die Familie selbständig zu leiten. Sie schafft es, einen Unterhalt für ihre Familie durch einen eigenständigen Beruf zu erarbeiten. Sie kämpft darum, gehört und gesehen zu werden. Das habe ich bei meiner Mutter gesehen, wie kreativ sie Schwierigkeiten löste, um z.B. unseren Hunger zu stillen. Als dann der Krieg vorbei war, kehrten langsam einige der sehnsüchtig erwarteten Väter zurück. Die Zwischenzeit schien vorbei. Als dann aber der Vater aus dem Krieg kam, musste unsere Mutter sich zurückziehen. Doch nicht wenige Frauen erlebten den Zusammenbruch ihrer Ehe. Im Krieg und der Zeit danach, hatten sich viele Frau ein neues Selbstbewusstsein erkämpft. Das ertrugen viele Männer nicht. Die Ernte nach der schrecklichen Zwischenzeit war – im Bilde gesprochen – vergiftet. Der ausgestreute gute Samen war mit vergiftetem Samen vermischt.

Ähnliches können wir Frauen heute in unserer Kirche erleben. In dieser Zwischenzeit war die Männerkirche in Deutschland mit wenig gutem und mehr vergiftetem Samen vermischt. In den letzten Jahren wurden endlich Frauen auch in der Kirche wahrgenommen und an verschiedenen Stellen eingesetzt. Das geschah auf Druck von Außen und nicht aus der Überzeugung, dass Frauen Begabungen haben, die der Herrenkirche fehlen. Das macht sich besonders in der Verkündigung und der Auslegung des Evangeliums schmerzhaft bemerkbar. Es gibt in der Theologie immer mehr Professorinnen, die ihren Kollegen gewachsen sind. Sie haben die Möglichkeit, ihre besonderen Begabungen in der Kirche zu entfalten Aber, sie sind abhängig vom Wohlwollen des Pfarrers und dieser von seinem Bischof. So sind viel zu wenige Frauen im kirchlichen Dienst. Im Bild des Evangeliums zeigen sich nur wenige Halme im Acker. Von einer Ernte kann nicht gesprochen werden, denn es fehlt der heutigen Verkündigung der Dialog zwischen männlicher Auslegung und weiblicher Auslegung. So kann z.B. die Auslegung der Schriften allein durch männliches Verstehen nur einseitig bleiben und alles bleibt beim Alten.

Zurück zum Gleichnis: Wenn die Frucht reif ist, schickt der Bauer sofort die Erntearbeiter los, denn die Erntezeit ist da. Jetzt hat der Bauer es sehr eilig, die Ernte in seine Scheunen zu bringen. Es könnte das Wetter umschlagen. Dann wäre vieles verloren.

Die Kirche denkt, handelt und schläft in Jahrhunderten. Doch wir leben heute in einem anderen Zeitalter. Vieles, das gestern noch wertvoll war, hat keinen Wert mehr. Wenn die Kirche das Angebot der Frauen heute nicht annimmt, statt dessen in die Vergangenheit schaut, wird ihr die Ernte bald nicht mehr zur Verfügung stehen. Amen

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