Was ich noch zu sagen hätte – 6. Sonntag der Osterzeit B

Aus dem Evangelium nach Johannes, Kapitel 15
Übersetzung: Bibel in gerechter Sprache
9 Wie mich Gott geliebt hat, so habe auch ich euch geliebt. Bleibt in meiner Liebe. 
10 Wenn ihr meine Gebote haltet, bleibt ihr in meiner Liebe, so wie ich die Gebote Gottes gehalten habe und in ihrer Liebe bleibe. 
11 Dies habe ich euch gesagt, damit meine Freude in euch sei und eure Freude vollkommen werde. 
12 Dies ist mein Gebot, dass ihr einander liebt, wie ich euch geliebt habe. 
13 Es gibt keine größere Liebe, als das eigene Leben für die Freundinnen und Freunde hinzugeben. 
14 Ihr seid meine Freundinnen und Freunde, wenn ihr handelt, wie ich euch gebiete. 
15 Ich nenne euch nicht mehr Sklavinnen und Sklaven, denn eine Sklavin weiß nicht, wie ihre Gebieterin handelt und ein Sklave kennt das Vorhaben seines Herrn nicht. Euch aber habe ich Freundinnen und Freunde genannt, denn ich habe euch alles, was ich von Gott, meinem Ursprung, gehört habe, mitgeteilt. 
16 Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt und euch dazu bestimmt, dass ihr hingeht und Frucht tragt und eure Frucht bleibt, so dass euch gegeben wird, um was ihr Gott in meinem Namen bitten werdet. 
17 Ich gebiete euch, dass ihr euch gegenseitig liebt!

Autorin:
_MG_7932-web Birgit Droesser Birgit Droesser, Pastoralreferentin der Diözese Rottenburg-Stuttgart a.D., jetzt Pfarrgemeinderätin in St. Bruno, Würzburg

 
Die Predigt:
Was ich noch zu sagen hätte

Liebe Leserin, lieber Leser,
„was ich noch zu sagen hätte, – dauert eine Zigarette und ein letztes Glas im Stehn“ – die ganz Jungen unter uns, kennen das Lied „Gute Nacht Freunde, es ist Zeit für mich zu gehn“ von Reinhard Mey vermutlich gar nicht mehr, die Älteren schon. Was ich noch zu sagen hätte… genau darum geht es in den Abschiedsworten Jesu an seine Jüngerinnen und Jünger. Der Abschied von Menschen, die sehr wichtig in unserem Leben waren, ist immer mit tiefen Gefühlen verbunden. Es wird nicht irgendetwas Beliebiges geredet, sondern es geht um das Wesentliche, eben das, „was ich noch zu sagen hätte“.

Der Johannesevangelist bringt den tiefsten Kern der Beziehung zwischen Jesus und seinen Jüngerinnen und Jüngern zur Sprache. Es ist ein Text, den man in der Stille auf sich wirken lassen sollte, Worte zum Meditieren. Ich möchte für diese Predigt zwei Themen herausgreifen, die mir persönlich sehr wichtig geworden sind, und wie ich glaube, für das christliche Leben insgesamt. Zum einen: Wie mich Gott geliebt hat, so habe auch ich euch geliebt. Bleibt in meiner Liebe. Wenn ihr meine Gebote haltet, bleibt ihr in meiner Liebe. Und der Zweite: Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt und euch dazu bestimmt, dass ihr hingeht und Frucht tragt und eure Frucht bleibt.

Das Bild vom Weinstock, mit dem sich Jesus selbst vergleicht, von den Reben und vom Frucht Bringen, geht unmittelbar voraus. Es war das Evangelium des letzten Sonntags. Dass wir Christen, die Anhänger seines Weges, in seiner Liebe bleiben, um selber lieben zu können, dass wir uns aufmachen, hingehen und Frucht bringen, das sind offenbar zwei Kernanliegen, die Jesus uns einschärfen will, weil sie ganz eng miteinander zusammenhängen.

Bei Navid Kermani, einem bekannten muslimischen Schriftsteller, habe ich in seinem beeindruckenden Buch: „Ungläubiges Staunen über das Christentum“ folgenden Satz gefunden, den ich zitieren möchte:

    Wenn ich etwas am Christentum bewundere, oder vielleicht sollte ich sagen an den Christen…, wenn ich nur einen Aspekt, eine Eigenschaft zum Vorbild nehme, dann ist es … die spezifisch christliche Liebe, insofern sie sich nicht nur auf den Nächsten bezieht. In anderen Religionen wird ebenfalls geliebt, es wird zur Barmherzigkeit, zur Nachsicht, zur Mildtätigkeit angehalten. Aber die Liebe, die ich bei vielen Christen und am häufigsten bei jenen wahrnehme, die ihr Leben Jesus verschrieben haben, den Mönchen und Nonnen, geht über das Maß hinaus, auf das ein Mensch auch ohne Gott kommen könnte: Ihre Liebe macht keinen Unterschied.*

Gemeint ist, keinen Unterschied zwischen Menschen verschiedener Religionen und Nationalitäten.

In einem längeren Aufsatz befasst sich Kermani mit dem Jesuitenpater Paolo Dall`Oglio, der in der syrischen Wüste ein uraltes Kloster, Mar Musa, wiederbelebte und für Christen und Muslime öffnete, – er zusammen mit einer kleinen Gemeinschaft von Ordensfrauen und Mönchen. Der Jesuitenpater Dall`Oglio hat die Beschäftigung mit dem Islam als seine ganz persönliche Erwählung erlebt. In der Folge lernte er die arabische Sprache, studierte den Koran und schrieb eine Doktorarbeit über die „Hoffnung im Islam“. Er versteht sich seither als katholischer Pater, der in den Islam „verliebt“ ist. Und so wurde das Kloster zu einem Zentrum christlicher und islamischer Spiritualität. Die kleine Gemeinschaft lebte Verständnis und Liebe, die weit über den Nächsten hinaus geht.

Leider muss man – vorerst – in der Vergangenheit sprechen. Denn Pater Paolo wurde 2013 von Islamisten entführt – ausgerechnet er – und bis heute ist nicht klar, ob er noch am Leben ist. Weder wurde sein Tod bestätigt, noch gibt es ein Lebenszeichen von ihm. Aber Padre Paolos großes Thema ist die Hoffnung, wie seine Mitschwestern sagen, die jetzt im Exil in Rom leben, Hoffnung auf eine bessere Zukunft für die Menschen im zerstörten Syrien, Hoffnung für die Annäherung von Christen und Muslimen, Hoffnung für die einzigartige Klostergemeinschaft von Mar Musa, Hoffnung auch für ihn selbst.

Was kann uns dieses Beispiel sagen? Der bekannte Pastoraltheologe Paul Zulehner meint, die Christenheit dürfe sich nicht mit dem Satz zufrieden geben: Niemand kann die Welt retten. Dagegen setzt er: Nicht einzelne allein, aber alle zusammen können und müssen wir die Welt retten. Nicht nur Worte, sondern Taten sind gefragt, damit nicht noch mehr Flüchtlinge im Meer ertrinken und die elendsten Situationen auf der Welt endlich verbessert werden. Der Papst mahnt das alles ständig an, doch hat er nur die Macht seines Wortes. Aber wir könnten und müssten etwas tun, mehr als eine Spende für die Hilfsaktionen, wie jetzt Renovabis zu Pfingsten. Wie das glücken kann, weiß ich im Moment auch nicht, aber so viel doch: Wir drehen uns als Gemeinde und Kirche fast ausschließlich um uns selbst. Die großen Existenzprobleme unserer Kirche zwingen auch dazu. Aber wir dürfen bei all dem nicht vergessen, dass wir das Gebot erhalten haben, „hinzugehen und Früchte zu bringen“. Mit anderen Worten: wir sind dazu gesandt, uns Ziele zu setzen und Ergebnisse zu erreichen.

Dazu müssen wir lernen, neu zu denken, an unsere Nächsten, aber auch über sie hinaus, so wie es Navid Kermani so faszinierend bei den Schwestern und Brüdern von Padre Dall`Oglio und besonders an seinem Beispiel gefunden hat.

Wie könnten erste gemeinsame Schritte in diese Richtung aussehen? In den neuen Pfarreiengemeinschaften und Seelsorgeeinheiten mit ihrer Vielfalt könnten sich Menschen eher zusammenfinden, als in einer einzelnen Gemeinde, die an der Friedensarbeit und dem Einsatz für die Eine Welt – wieder – interessiert sind und sich dafür einsetzen wollen. Möglichkeiten gibt es genug, es fehlt nur an inspirierten und begeisterten Menschen, die Initiativen starten, die dann in die Gemeinden zurückwirken. Es ist bis jetzt nur eine Idee, aber vielleicht ist ja etwas dran.

Nehmen wir als gläubige und suchende Menschen Jesus ernst in dem, was er uns noch zu sagen hätte. Er hat für uns und die ganze Menschheit sein Leben hingegeben. Amen
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* Navid Kermani, Ungläubiges Staunen über das Christentum, München 2015, S.169

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