Gottes Liebe anzunehmen, macht frei – 30. Sonntag im Jahreskreis A

Aus dem Evangelium nach Matthäus, Kapitel 22
In jener Zeit,
34 als die Pharisäer hörten, dass Jesus die Sadduzäer zum Schweigen gebracht hatte, kamen sie am selben Ort zusammen.
35 Einer von ihnen, ein Gesetzeslehrer, wollte ihn versuchen und fragte ihn:
36 Meister, welches Gebot im Gesetz ist das wichtigste?
37 Er antwortete ihm: Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit deinem ganzen Denken.
38 Das ist das wichtigste und erste Gebot.
39 Ebenso wichtig ist das zweite: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.
40 An diesen beiden Geboten hängt das ganze Gesetz und die Propheten.

Autorin:
Dr. Ulrike AltlherrDr. Ulrike Altherr, Pastoralreferentin in Herrenberg

 
Die Predigt:
Gottes Liebe anzunehmen, macht frei.

Liebe Leserin, lieber Leser,
allerorten steigen die Zahlen der mit dem Corona-Virus Infizierten. Regeln werden wieder verschärft. Angst und Unsicherheit kehren zurück. Und Fragen, was zählt wirklich, was ist wirklich wichtig? Vorsichtig sein, auf einander Acht geben, wird uns dieser Tage immer wieder von vielen Seiten eingeschärft, Abstand wahren, aber niemanden allein lassen.

Nach was sehnen sich die meisten Menschen gerade in solchen Zeiten? Ich glaube, das ist die Liebe in ihren vielen Facetten, Die „große Liebe“ mit all ihren Freuden und all ihrem Schmerz, die Liebe einer Mutter/eines Vaters, die Liebe zu einem anderen Menschen. Die Liebe, die in vielfältiger Weise zeigt und sagt: „Es ist gut, dass es dich gibt. Du bist wertvoll, so wie du bist.“

Aber das mit dem Lieben ist gar nicht so einfach. Nicht umsonst heißt ein Buch von Erich Fromm „Von der Kunst, zu lieben“. Die Schwierigkeiten fangen damit an, sich erst einmal selbst zu lieben. Vermutlich können ganz viele Menschen sich selbst nicht annehmen und lieben. Schon als Kind müssen viele den hohen Erwartungen ihrer Eltern entsprechen: „Du bist nur etwas wert zu sein, wenn du zu den Besten gehörst!“ Viele erleben, dass sie es einfach nie recht machen können, dass sie spüren müssen, dass sie eigentlich gar nicht gewollt sind, dass sie abgewertet und so fürs Leben geschädigt werden. Es ist bitter von einer älteren Frau zu hören: „Eigentlich war ich immer im Weg. Ich habe kein Selbstwertgefühl. Jetzt sehe ich nicht mehr so gut aus. Ich bin nichts mehr, weil ich keinen Mann mehr habe.“ Wie soll so jemand lieben können?

Wie oft höre ich im Krankenhaus die bitteren Sätze „Ich bin nichts mehr wert. Ich kann nicht mehr arbeiten. Ich kann meine Kinder und Enkel nicht mehr unterstützen.“ Wie viele Menschen haben die „Glaubenssätze“ verinnerlicht „Du bist nur etwas wert, wenn du nützlich bist!“, „Du musst jung, gesund und fit sein“, „Arbeite an dir, mach was aus Dir!“ Kein Wunder, wenn so viele Menschen anderen immer beweisen müssen, wie toll und wie wichtig sie sind. Da steckt dann meines Erachtens Narzissmus und Egoismus dahinter, aber keine Selbstliebe, die mit sich im Reinen ist. Es kommt sogar vor, dass Menschen viel Gutes tun, nur um so Bestätigung und Anerkennung zu bekommen!

Selbstliebe ist also gar nicht so einfach. Auch sie muss man einüben und lernen – sich selbst annehmen mit allen Fähigkeiten und mit allen Grenzen und Fehlern – versöhnt sein mit seinem Leben, auch mit den verpassten Chancen. Sich selbst lieben? – Schwierig!

Das geht eigentlich nur, wenn man sich von jemand anderem geliebt weiß, wenn man selbst Liebe erfahren hat, von Gott und von Menschen. Und hier kommt die Gottesliebe ins Spiel. Es fängt alles mit der Liebe Gottes zu uns an. Die Liebe Gottes kennt keine Bedingungen, wir können und wir brauchen sie uns nicht verdienen. Ohne die Liebe Gottes wären wir nicht am Leben und können wir nicht leben. Diese Liebe Gottes zuzulassen und darauf zu antworten, darauf kommt es an! Also ist in jedem von uns die Liebe Gottes schon da. Können wir diese Liebe zulassen? Können wir sie annehmen, ohne wieder gleich zu denken, wir müssten sie uns irgendwie verdienen? Lassen Sie sich sagen: „Du bist gut, so wie du bist. Du bist ein geliebter Mensch mit all deinen Macken, die dir selbst und anderen auf die Nerven gehen. Du bist geliebt, weil es dich gibt. Dich gibt es weil du geliebt bist.“

Die Antwort auf die Liebe Gottes kann nur Liebe sein! Die Antwort auf die Liebe Gottes heißt lieben lernen. Alle, die sich auf den Weg machen, Gott zu lieben, merken bald, dass dieser Weg ein besonderer, ein radikaler Weg ist. Wer sich von Gott geliebt weiß und anfängt ihn zu lieben, kann vieles, was so wichtig und glänzend in der Welt erscheint, getrost weglegen, ja er muss es sogar. Er oder sie ist nicht mehr abhängig davon, ob andere ihn oder sie wertschätzen und lieben, so schön und wichtig das ist. Gottes Liebe anzunehmen, macht frei. Da ist Jesus das beste Beispiel dafür.

Gleichzeitig ist es ganz merkwürdig: mit der Gottesliebe wächst auch die Selbst- und die Nächstenliebe: Ich weiß, ich bin angenommen, ich muss niemandem, auch mir selbst nichts beweisen! Ich bin, weil Gott mich liebt! Ich kann mich annehmen und lieben und ich kann meinen Nächsten annehmen und lieben! Ich kann mich einem anderen Menschen zuwenden einfach, weil er oder sie mich braucht, weil er ist und nicht, weil ich mich deswegen gut fühlen muss.

Ich muss auch überhaupt nicht perfekt sein, ich darf auf dem Weg der Liebe immer wieder neu anfangen. Ja, ich muss immer wieder neu anfangen. Oft habe ich Ängste, bin auf mich fixiert und besorgt um mich selbst, bin begierig nach Zuwendung von anderen. Oft habe ich wenig Vertrauen zur Liebe Gottes! Und doch spüre ich: Das ist mein Weg zum Leben – auf die Liebe Gottes mit meiner Liebe zu Gott, zu meinem Nächsten und zu mir selbst zu antworten.

Mehr braucht es nicht – aber auch nicht weniger, gerade in diesen Zeiten. Amen

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Eine Antwort auf Gottes Liebe anzunehmen, macht frei – 30. Sonntag im Jahreskreis A

  1. Walburga Rüttenauer-Rest sagt:

    Vielen Dank für diese Predigt. Sie kam für mich zu rechten Zeit.

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