Aufblicken und ausrichten! – Zum Fest Kreuzerhöhung

Übersetzung: Bibel in gerechter Sprache
Lesung aus dem Buch Numeri, Kapitel 21
In jenen Tagen
4 als die Israeliten von Hor, dem Berg, in Richtung Schilfmeer aufgebrochen waren, um das Land Edom zu umgehen, wurde das Volk kurzatmig auf dem Weg
5 und sprach sich deshalb gegen Gott und gegen Mose aus: »Warum hast du uns hinaufgeführt aus Ägypten, nur damit wir in der Wüste sterben? Denn es gibt kein Brot und kein Wasser! Unsere Kehlen ekeln sich vor dem Würgebrot!«
6 Da schickte Gott dem Volk Seraf-Schlangen, die das Volk bissen, und viele Menschen aus Israel starben.
7 Nun kam das Volk zu Mose und sie sagten: »Wir haben uns vergangen, weil wir uns gegen Gott und gegen dich ausgesprochen haben. Bete zu Gott, damit die Schlange von uns weiche!« So betete Mose für das Volk,
8 und Gott sagte zu Mose: »Fertige dir einen Seraf und setze ihn auf eine hohe Stange: Wer gebissen wird und ihn ansieht, wird leben.«
9 So fertigte Mose eine Schlange aus Kupfer an und setzte sie auf eine hohe Stange. Und es geschah: Wenn eine Schlange jemanden biss, fixierte er oder sie die Kupferschlange und blieb am Leben.

Aus dem Evangelium nach Johannes, Kapitel 3
In jener Zeit sprach Jesus zu Nikodemus:
13 Niemand ist in den Himmel hinaufgestiegen außer dem, der vom Himmel herabgestiegen ist: der erwählte Mensch.
14 So wie Mose in der Wüste die Schlange emporgehoben hat, so muss auch der erwählte Mensch emporgehoben werden,
15 damit alle, die an ihn glauben, in ihm ewiges Leben haben.«
16 Denn so hat Gott die Welt geliebt, dass sie ihren Erwählten, ihr einziges Kind, gegeben hat, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren gehen, sondern ewiges Leben haben.
17 Denn Gott hat ihren Erwählten nicht in die Welt gesandt, damit er die Welt richtet, sondern damit die Welt durch ihn gerettet wird.

Autorin:
A.-Trautmann-150x150Andrea Trautmann, Pastoralreferentin im Schuldienst

 
Die Predigt:
Aufblicken und ausrichten!

Liebe Leserin, lieber Leser,
kennen Sie das Gefühl: Es geht nicht mehr? Alles scheint zu viel? Damit sind Sie nicht allein. Eine urmenschliche Erfahrung, schon die Bibel berichtet davon. Das Volk Israel erlebt es in der Wüste. Jahrelange Entbehrungen, sich aufreiben, nicht vorwärts kommen, Hunger und Durst, das Volk kann nicht mehr, es ist erschöpft. Und es murrt. Wieder einmal. Und jetzt kommen die Israeliten auch noch in eine Gegend, in der es viele Giftschlagen gibt. Warum das auch noch? Warum schickt Gott diese Plage? Das Volk Israel ist erschöpft. Irgendwann kommt die Müdigkeit, das Sich-Auflehnen, der Zweifel, ob der eingeschlagene Weg der richtige ist. Und irgendwann ist jegliche Kraft verbrannt, jegliche Hoffnung vergiftet.

Erschöpfung ist der physische und psychische Zustand, wenn alle Kraftreserven verbraucht sind, wenn Hoffnung und Zuversicht ausgegangen sind. Diese Erfahrung kann man auch außerhalb der Würste machen: in einer Arbeitsstelle, wo einem zu viel abverlangt wird, in einer Beziehung, die verfahren und kränkend ist, in der Pflege, die einen auslaugt oder bei einem Todesfall, der einen in das Nichts stürzt. Da stolpert man vor sich hin, sieht keinen Weg mehr hat keinen Blick mehr für das, was einen umgibt. Und dann kommt vielleicht noch einmal ein Schlag, der einen niederbeugt.

Mose gibt im Auftrag Gottes dem Volk etwas zum Aufblicken. Eine Schlange aus Kupfer hängt er an eine Fahnenstange. Und es heißt: Wenn nun jemand von einer Schlange gebissen wurde und zu der Kupferschlange aufblickte, blieb er am Leben. Mose holt damit die Menschen aus ihrer Niedergeschlagenheit und lenkt den Blick weg von ihrer eigenen Befindlichkeit auf etwas, wohin sie aufblicken können. Gebeugte Körper und hängende Köpfe richten sich auf beim Aufblicken. Die Menschen gewinnen einen Orientierungspunkt, eine neue Perspektive. Im Aufblicken auf die Kupferschlange bleiben sie am Leben, mehr noch, sie kommen neu zum Leben, denn sie erhalten neuen Mut und Kraft zum Weitergehen. Gott schenkt diese Kraft.

Für uns heute, die wir davon lesen oder hören, ist dieses Wunder seltsam und befremdlich; diese Schlangenfigur und ihre Wirkkraft muten archaisch und heidnisch an. Tatsächlich passt diese Begebenheit gut in die Gegend, in der die Israeliten unterwegs waren: In der Araba, der Senke, zwischen dem heutigen Israel und Jordanien, gab es damals sowohl viele Schlangen als auch Kupferminen. Und Schlangen hatten im Alten Orient eine hohe Symbolkraft. Sie galten als gefährliche, giftige, todbringende Tiere, aber auch als heilige Tiere und als Symbol für viele Götter. Man denke nur an den Schlangenstab des griechischen Gottes Asklepios, der uns heute noch bei Apotheken und Ärzten begegnet. Schlangen waren also gleichermaßen Symbol für Tod und Leben.

In unserem Text findet sich die Erinnerung an ein Kultbild, das auch später noch im Jerusalemer Tempel verehrt wurde. Es findet sich auch die Erinnerung an eine im Alten Orient weit verbreitete Praxis, sich vor Bösem zu schützen mit etwas, das diesem Bösen ähnlich ist. Die Schlangenplage wird mit einer Schlange bekämpft. Genau das, was den Tod bringt, kann auch Leben bringen. Hier symbolisiert es aber keinen Götterkult, sondern Mose handelt in Gottes Auftrag. Gott selbst ist es, der dieses Zeichen setzt. Jeder, der zu diesem Zeichen aufblickt, wird leben. Das Aufblicken bedeutet eine Umkehr vom bisherigen Leben, eine Neuorientierung auf Gott hin, eine Ausrichtung nach seinem Willen. Und Gott schenkt die Kraft zum Weitergehen.

Die kirchliche Liturgie verknüpft diese alte Geschichte am Fest Kreuzerhöhung mit dem Kreuz Jesu Christi. Genau das, was den Tod bringt, kann auch Leben bringen. Das Kreuz brachte den Tod; durch das Kreuz hindurch wurde Leben. Ein Todessymbol wird zum Lebenszeichen. Heute, am Fest Kreuzerhöhung, erinnert die Kirche an die beginnende Verehrung der Kreuzes Christi in Jerusalem im vierten Jahrhundert. Ein Zeichen für den Weg Jesu durch den Tod hindurch; ein Zeichen für das Leben im Tod; ein Zeichen der Transformation, der Wandlung ins Leben durch Jesu Auferstehung. Das in der Grabeskirche erhöhte Kreuz war kein makabres Todessymbol, sondern ein heilsames und heilbringendes Lebenszeichen: Jesus hat auch unseren Tod besiegt. »Im Kreuz ist Heil«, singen wir am Karfreitag. Und die Lesungen, die wir heute gehört haben, sprechen deshalb alle von Rettung, Leben und Heil.

Bleibt nun die Aufforderung aufzublicken zu diesem Zeichen, und die Hoffnung, dass die Ausrichtung auf den Gott Jesu Christi uns weiterhilft, wenn Erschöpfung uns die Kraft zum Weitergehen nimmt.

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