„Ausweiten“ – 20. Sonntag im Jahreskreis A

Erste Lesung aus dem Buch Jesaja, Kapitel 56
1 So spricht der Herr: Wahrt das Recht und übt Gerechtigkeit; /
denn bald kommt mein Heil, /
und meine Gerechtigkeit wird sich bald offenbaren.
6 Und die Fremden, die sich dem Herrn anschließen, /
um ihm dienen und den Namen des Herrn zu lieben, um seine Knechte zu sein, /
alle, die den Sabbat halten und ihn nicht entweihen /
und die an meinem Bund fest halten,
7 sie werde ich zu meinem heiligen Berg bringen/
und sie erfreuen in meinem Haus des Gebets. Ihre Brandopfer und Schlachtopfer werden Gefallen auf meinem Altar finden, /
denn mein Haus wird ein Haus des Gebets für alle Völker genannt.

Aus dem Evangelium nach Matthäus, Kapitel 15
In jener Zeit
21 zog sich Jesus in das Gebiet von Tyrus und Sidon zurück.
22 Und siehe, eine kanaanäische Frau aus jener Gegend kam zu ihm und rief: Hab Erbarmen mit mir, Herr, du Sohn Davids! Meine Tochter wird von einem Dämon gequält.
23 Jesus aber gab ihr keine Antwort. Da traten seine Jünger zu ihm und baten: Schick sie fort, denn sie schreit hinter uns her.
24 Er antwortete: Ich bin nur zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel gesandt.
25 Doch sie kam, fiel vor ihm nieder und sagte: Herr, hilf mir!
26 Er erwiderte: Es ist nicht recht, das Brot den Kindern wegzunehmen und den kleinen Hunden vorzuwerfen.
27 Da entgegnete sie: Ja, Herr! Aber selbst die kleinen Hunde essen von den Brotkrumen, die vom Tisch ihrer Herren fallen.
28 Darauf antwortete ihr Jesus: Frau, dein Glaube ist groß. Es soll dir geschehen wie willst. Und von dieser Stunde an war ihre Tochter geheilt.

Autorin:
Karin_2016 (3)Karin Stump, Pastoralreferentin im Katholischen Forum Dortmund

 

Einführung
Vor 15 Jahren, am 16.8.2005 wurde in Taizé Frère Roger Schutz von einer psychisch gestörten Frau ermordet!
„Ausweiten“ war das Thema seines letzten Briefes, der unvollendet blieb. Grenzen sprengen, Feindschaft und Vorurteile überwinden zwischen Völkern, Konfessionen… „Ausweiten“, das hat er gelebt, vor allem für und mit jungen Menschen, die in den traditionellen Räumen der Kirchen keine Heimat mehr finden.
Wo brauchen Sie mehr Weite? Als Christinnen und Christen sollten wir ohnehin weit und groß denken und handeln. Wozu lockt Sie das Wort Frère Rogers vom „Ausweiten“?

Die Predigt:
„Ausweiten“

Liebe Leserin, lieber Leser,
Sommerzeit, Urlaubszeit, wir suchen das Weite, die Weite – viele suchen das Neue oder Fremde. Die heutigen Lesungen sprechen auch von der Fremde oder von Fremden. Lassen Sie uns dazu zunächst einen weiten Schritt zurück gehen und in die Geschichte Israels eintauchen.

Gott hat Israel erwählt. Mit diesem Volk hat er den Bund geschlossen. Es ist Modell Gottes für die Völker und soll seinen Gott bezeugen. Leider entstand die Tendenz, dass jüdische Schriftgelehrte das Heil von Gott exklusiv für ihr Volk Israel beanspruchten. Gegen diesen Irrtum trat Jesaja auf. Gott ist Gott aller Menschen. Er ist für alle da, die ihre Zugehörigkeit zum Bund in gelebter Liebe bewähren.

Auch zu Lebzeiten Jesu kam die Frage auf – wem gilt Gottes Bund und Heilsversprechen? Unter den frühen Christen jüdischer Herkunft fragten sich dann manche, ob sie das Brot Jesu Christi auch mit den Fremden teilen müssten. Umfasste Jesu Gemeinschaft und Gottes Heilsangebot auch Menschen, die in sogenannten heidnischen Gebieten lebten? Wie sollten Christen sich verhalten gegenüber Fremden und Andersgläubigen?
Das Evangelium erzählt: Jesus selbst hat Grenzen überschritten. Er ist in die nicht jüdischen Gebiete gegangen.

Die Begegnung mit der kanaanäischen Mutter ist ein Beispiel dafür. Jesus begegnet also Menschen anderer Religion und Menschen mit Migrationshintergrund. Auch er meint zunächst, allein zum Haus Israel gesandt zu sein. Im Namen Gottes hielten sich rechtgläubige Juden von Fremden fern. Die heidnische Frau bleibt hartnäckig und bittet den Rabbi um Heilung für ihre Tochter.

Ihr Verhalten bringt Jesus dazu, traditionelle Grenzen und Bilder von Gott zu überschreiten. Die heidnische Ausländerin fordert diese Wandlung und Öffnung Jesu durch ihren beharrlichen Glauben heraus. Er erfüllt ihre Bitte, beeindruckt von ihrem Vertrauen und ihrer selbstbewussten Schlagfertigkeit. Für ihn zählt nun nicht mehr die Herkunft, sondern allein der Glaube. In vielen Passagen der Evangelien hören wir davon, dass Jesus Menschen heilt, weil sie auf ihn setzen und vertrauen.

Auch Jesus glaubte zunächst, dass sich sein Auftrag, seine Sendung auf das Volk Israel beschränke. Wie zu Lebzeiten Jesu die jüdische Obrigkeit, so steht nach Ostern die Kirche in der Gefahr, Andersgläubige auszugrenzen oder Ansprüche und Forderungen an Fremde, Andersdenkende oder Anderslebende zu entwickeln. Und das ist so bis auf den heutigen Tag. Das Evangelium macht uns klar: Christen in der Nachfolge Jesu dürfen schlechthin nicht fremdenfeindlich sein. Sie können, von der Grundausrichtung ihres Glaubens her, nicht intolerant gegen andere Religionen, Kulturen oder Nationen sein. Die christliche Botschaft verträgt sich nicht mit Rassismus und Nationalismus!

Christus erfährt durch diese Frau die Weite Gottes, auch die Weite seines Auftrages: Liebe, Barmherzigkeit und Heil gelten allen, egal welchen Glaubens, welcher Nation oder Ethnie, welchen sozialen Status oder welcher Identität!

Ausweiten – so hatte Frère Roger seine letzte Botschaft 2005 überschrieben. Dieses Stichwort trifft im Lichte des Evangeliums auch für unsere Gesellschaft und Kirche einen sensiblen Punkt. Meinen wir nicht auch manchmal zu wissen, was Glaube ist, wie Kirche geht – und fordern das ein? Kann es sein, dass wir Jesus für uns, für die Kirche, für unsere Gruppe reservieren möchten? Auch hier heißt es: Ausweiten! Nicht Ansprüche, Abgrenzung oder Privilegien zählen, sondern gelebter weiter Glaube!

Die fremde Frau weiß, dass sie keinen Anspruch hat. Sie nimmt es hin, abschätzig als „Hund“ bezeichnet zu werden und nicht den Status eines Kindes Abrahams zuerkannt zu bekommen. Aber sie behält ihre Würde als selbstbewusster Mensch – und erhofft doch alles von Jesus.

Mit dieser Frau rücken fremde, andersdenkende und anderslebende, unbequeme und zuweilen lästige Menschen in den Blick. Sie fordern unser Verständnis und Wohlwollen, unsere Liebe heraus. Mit Jesus und in seiner Nachfolge werden wir immer wieder auch auf fremdes Gebiet, unbekanntes Terrain geraten – das wird spannend! Das kann unser Herz und unser Denken weit machen. Wir können im Glauben, im Vertrauen wachsen. Suchen wir in diesem Sinne das Weite, die Weite. Lassen wir uns befreien, die größere Weite Gottes zu erfahren und zu leben. Amen.

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