Worte haben Macht – 15. Sonntag im Jahreskreis A

Erste Lesung aus dem Buch Jesaja, Kapitel 55
So spricht der Herr:
10 Wie der Regen und der Schnee vom Himmel fällt /
und nicht dorthin zurückkehrt, ohne die Erde zu tränken und sie zum Keimen und Sprossen zu bringen, /
dass sie dem Sämann Samen gibt und Brot zum Essen,
11 so ist es auch mit dem Wort, /
das meinen Mund verlässt: Es kehrt nicht leer zu mir zurück, /
ohne zu bewirken, was ich will, /
und das zu erreichen, wozu ich es ausgesandt habe.

Aus dem Evangelium nach Matthäus , Kapitel 13
An jenem Tag verließ Jesus das Haus und setzte sich an das Ufer des Sees.
2 Da versammelte sich eine große Menschenmenge um ihn. Er stieg deshalb in ein Boot und setzte sich. Und die Leute standen am Ufer.
3 Und er sprach lange zu ihnen in Gleichnissen. Er sagte: Siehe, ein Sämann ging hinaus, um zu säen.
4 Als er säte, fiel ein Teil auf den Weg und die Vögel kamen und fraßen sie.
5 Ein anderer Teil fiel auf felsigen Boden, wo es nur wenig Erde gab, und ging sofort auf, weil das Erdreich nicht tief war;
6 als aber die Sonne hochstieg, wurde die Saat versengt und verdorrte, weil sie keine Wurzeln hatte.
7 Wieder ein anderer Teil fiel in die Dornen und die Dornen wuchsen und erstickten die Saat.
8 Ein anderer Teil schließlich fiel auf guten Boden und brachte Frucht, teils hundertfach, teils sechzigfach, teils dreißigfach.
9 Wer Ohren hat, der höre!

Autorin:
Foto-Sue
Susanne Grimbacher, Pastoralreferentin in Filderstadt – Bonlanden

 
Die Predigt:
Worte haben Macht

Liebe Leserin, lieber Leser,
Worte haben Macht. Worte haben Macht, denn Sprache bestimmt wesentlich, wie wir unsere Wirklichkeit wahrnehmen und hat daher auch die Macht, unsere Wirklichkeit zu verändern. Das ist eine einfache sprachphilosophische Prämisse. Jedes Wort löst Bilder und Gefühle in uns aus, die mitbestimmen, wie wir uns zum Gesagten verhalten. Makler haben das beispielsweise perfektioniert, wenn sie von einem zentral gelegenen, mehrstöckigen Gebäude mit interessanter Architektur und vielfältigen Gestaltungsmöglichkeiten sprechen – und man eine windschiefe Bruchbude direkt am hochfrequentierten Bahnhof vorfindet, die dringend eine Kernsanierung braucht.

Es macht einen Unterschied, wie wir sprechen und was wir sagen. Es macht einen Unterschied, ob wir „Mohrenkopf“ oder „Schokokuss“ sagen. Es macht einen Unterschied, ob wir alle Geschlechter ansprechen oder einfach nur „mit meinen“. Es macht einen Unterschied, ob wir Christ*innen sagen: „Ich denk an dich!“ oder „Ich bete für dich!“ Es macht einen Unterschied, ob wir von Gott als allmächtigem Herrscher oder als liebevoller Mutter sprechen. Es macht einen Unterschied. Denn die Worte, die wir sagen, haben Wirkung. Sie bestimmen, welche Bilder in uns aufsteigen. Sie bestimmen, was wir fühlen. Sie bestimmen, wie wir uns zum Gesagten verhalten. Sie bestimmen das nicht nur für uns Sprechende, sondern auch für die Menschen, die uns hören. Wenn wir sprechen, üben wir Macht aus – und wir sind uns der Verantwortung, die diese Macht mit sich bringt in den seltensten Fällen bewusst.

Manchmal ist uns klar, wie wichtig das gesprochene Wort ist: bei Versprechen, beispielsweise. Bei Liebeserklärungen – oder wenn wir eine Beziehung beenden; wenn wir uns entschuldigen wollen und um die richtigen Worte ringen. Manchmal wird uns erst hinterher klar, wie mächtig unsere Worte waren: Wenn etwas Gesagtes jemanden ernsthaft verletzt hat. Aber auch wenn unser Gegenüber wahrhaft aufgebaut oder glücklich wirkt.
Manchmal sind Worte nicht mehr als Hintergrundrauschen: die Stimmen im Radio, die Gespräche der anderen Fahrgäste in der Bahn, die abertausend Buchstaben in den vielen Mails und Nachrichten, die täglich über unseren Bildschirm flimmern. Und manchmal versteckt sich in dieser scheinbar unendlichen Ansammlung von Worten etwas unfassbar Bedeutsames. Dann ist es an uns, diese Worte aus dem Hintergrundrauschen herauszulösen und ihnen die Bedeutung zu geben, die ihnen zusteht. Wenn also schon das menschliche Wort eine solche Macht hat, unsere Welt zu verändern – wie mächtig muss dann erst das Wort Gottes sein? Wenn wir in das Buch Genesis schauen und die ersten Zeilen der Bibel lesen, dann wird uns die Macht des göttlichen Wortes überdeutlich: Die Erde war wüst und leer. Und Gott sprach. Gott sprach und Stück für Stück verändert sich die Ödnis und Finsternis und es entsteht die Welt: ein Ort, an dem Mensch und Tier leben können. An dem es Licht und Freude gibt.

Die Bibel ist eine Sammlung von Geschichten, die Menschen mit Gott erlebt haben. Die Geschichten sind unglaublich vielfältig, aber sie haben einen gemeinsamen Nenner: Menschen reden mit Gott – und Gott redet mit den Menschen. Gott spricht. Und die Welt verändert sich. Die Welt verändert sich dann, wenn da Menschen sind, die Gottes Wort hören und ihm eine Chance geben. Samuel hört auf den Ruf Gottes und das jüdische Königtum kann entstehen. Propheten nehmen die Worte Gottes wahr und die Geschichte des Volkes wird beeinflusst. Gott spricht durch Jesus und Abertausende folgen ihm bis heute nach. Und Gott spricht auch heute noch zu den Menschen. In den seltensten Fällen werden wir eine klare Stimme hören, wenn wir beten. Gott spricht zu uns in der Bibel, durch Menschen, durch unsere Intuition, durch die Natur. Ich glaube, dass sich Gott heute auf vielfältige Weise Gehör verschaffen möchte. Manche seiner Worte fallen dabei auf den Weg, auf felsigen Boden oder zwischen die Dornen und haben keine Chance, jemals Frucht zu bringen. Manche seiner Worte werden direkt von den Vögeln weggepickt oder von Gestrüpp überdeckt. Manche seiner Worte werden nicht richtig verstanden und können keine Wurzeln schlagen. Aber manche seiner Worte landen genau da, wo sie landen sollen: Im Herzen des Menschen.

Und dann können sie wirkmächtig sein. Jesaja hat in der Lesung ein ähnliches Bild verwendet: Gottes Wort ist wie Regen oder Schnee. Nicht jeder Regentropfen bewirkt Großes. Aber er ist wirkungsvoll, denn ohne Regen wird keine Saat aufgehen und keine Ernte kann eingefahren werden. Ein einziger Regentropfen wird nichts verändern. Ein einziges Wort wird nichts verändern. Worte haben nur Macht, wenn sie kontinuierlich die Welt verändern wollen. Wer in seiner Einleitung sagt, dass Frauen mitgedacht werden, hat Gleichberechtigung nicht verstanden. Wer immer lügt und einmal die Wahrheit sagt, ist noch kein ehrlicher Mensch. Wer Gott einmal im Schaltjahr als Mutter oder Liebe bezeichnet und sonst als Herr und Richter verfälscht, das Bild Gottes dennoch. Wer nur ein einziges Mal hört, dass Gott die Welt liebt, wird es nicht glauben. Vieles müssen wir immer und immer wieder sagen und hören, damit sich die Wirklichkeit verändern kann. Aber irgendwann wird aus den bloßen Worten Wirklichkeit. Gott weiß das, deshalb lässt er seine liebenden Worte stetig wie Regen zu uns sprechen.

Er heißt nicht einfach Gott, allein sein Name transportiert seine Botschaft: Ich bin da. Jedes Mal, wenn wir „Gott“ sagen, sollten wir also sagen: „Gott ist da“. Und irgendwann wird aus den bloßen Worten Wirklichkeit und aus einem bisschen Glauben Gewissheit. Und Stück für Stück wird sich unsere Wirklichkeit verändern. Denn Worte haben Macht. Und Gottes Wort kann die Wirklichkeit verändern.

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