Eins werden mit Jesus durch den heiligen Geist – Hochfest von Pfingsten

Aus dem Evangelium nach Johannes, Kapitel 20
Übersetzung: Bibel in gerechter Sprache
19 Am Abend dieses ersten Tages nach dem Sabbat, als die Jüngerinnen und Jünger hinter geschlossenen Türen saßen aus Angst vor der jüdischen Obrigkeit, da kam Jesus, trat in ihre Mitte und sagte zu ihnen: »Friede sei mit euch!«
20 Als er das gesagt hatte, zeigte er ihnen die Hände und die Seite. Da freuten sich die Jüngerinnen und Jünger, dass sie Jesus den Lebendigen sahen.
21 Jesus sagte noch einmal zu ihnen: »Friede sei mit euch! Wie mich Gott gesandt hat, so sende ich euch.«
22 Und als er das gesagt hatte, blies er sie an und sagte ihnen: »Nehmt die heilige Geistkraft auf.
23 Allen, denen ihr Unrecht vergebt, ist es vergeben. Allen, denen ihr dies verweigert, bleibt es.«

Autorin:
burstDr. theol. Rose Kaufmann, lebt und arbeitet in Sindelfingen

 
Die Predigt:
Eins werden mit Jesus durch den heiligen Geist

Liebe Leserin, lieber Leser,
es ist Abend geworden. Die Jüngerinnen und Jünger verbarrikadieren sich hinter verschlossenen Türen; das Karfreitagserlebnis hat sie verschreckt und geängstigt. Sie fürchten sich vor weiteren Ausschreitungen, bangen gar um ihr eigenes Leben. Nichts mehr ist geblieben von der Aufbruchstimmung und den Verheißungen, die Jesus ihnen kurz vor seiner Verhaftung und Ermordung zugesprochen hat.

Einzelne von ihnen haben den Glaubensbericht von Maria aus Magdala gehört. Jesus sei ihr am frühen Morgen in der Gestalt eines Gärtners am Grab erschienen. Vermutlich war es die freudige Osterbotschaft der Maria, warum sich die Jüngerinnen und Jünger abends wieder versammelt haben und sich nicht verstreuten oder aus Jerusalem geflohen sind. Ob Maria bei dieser Zusammenkunft zugegen ist, sagt der Text nicht. Es heißt ganz allgemein, die Jüngerinnen und Jünger versammelten sich. Auch wissen wir nicht, wo sich die Szene zugetragen hat, wahrscheinlich in Jerusalem. Präzise ist die Erzählung nur hinsichtlich des Zeitpunkts. Es ist der erste Tag der Woche nach der Hinrichtung Jesu am Kreuz.

Ganz richtig: Im Johannesevangelium fallen das Osterereignis und Pfingsten auf ein und denselben Tag. Mit der Aussendung des Heiligen Geistes endet der Ostersonntag. Weil der Text auf eine Ortsangabe verzichtet und gerade nicht wie der Ostermorgen als individueller Glaubensbericht ausgestaltet ist, richtet sich die Botschaft an alle Zuhörenden. Jesus tritt in ihre Mitte und spricht den Friedensgruß. Er gibt sich seinen Jüngerinnen und Jüngern zu erkennen, indem er ihnen seine durchbohrte Seite zeigt. Er beauftragt sie, seine Sendung fortzuführen und haucht ihnen den heiligen Geist ein. Ein kurzer Abschied ohne Erwiderung.

Es ist schon auffallend, wie knapp Johannes das Pfingstereignis sprachlich ausgestaltet hat. Die wenigen Worte wirken beinahe befremdlich, wenn man sich dagegen die beeindruckenden Schilderungen des Pfingstereignisses der Apostelgeschichte vor Augen führt. Warum kommt der Evangelist Johannes ohne dramatische Inszenierungen des Pfingstereignisses aus? Keine Feuersbrunst. Kein Windsturm, keine herabfallenden Feuerzungen vom Himmel, um die Wirkmacht der lebendig machenden Geistkraft zu beschreiben? Die Ausschüttung des Geistes ereignet sich im Stillen, ohne dass eine riesige Menschenmenge zusammenläuft und das Spektakel bewundert. Warum begnügt sich Johannes mit einer so schmucklosen Schilderung der Ereignisse? Was macht seine Ausführungen dennoch so besonders?

Jesus tritt in den Kreis seiner Jüngerschaft und gibt sich ihnen zu erkennen. Er zeigt auf seine geöffnete Seite, aus der am Karfreitag Blut und Wasser geflossen waren. Für alle Zweifler ein eindeutiges Identifizierungsmerkmal, dass es sich bei ihm um den auferstandenen Christus handelt. Doch die Szene hat weiterreichende Bedeutung: Wasser steht im vierten Evangelium als Symbol für den Heiligen Geist. Mit dem Verweis auf seine geöffnete Seite zeigt sich Jesus seinen Gefolgsleuten als Mittler der Heiligen Geistkraft. Jesus selbst spendet den lebendig machenden Geist. Er hauchte sie an und sagte zu ihnen: Empfangt den Heiligen Geist! Die Jüngerinnen und Jünger werden nicht nur Zeugen seiner österlichen Auferstehung, sondern haben Anteil an einer Neuschöpfung aus dem heiligen Geist. Jesus spendet den lebendig machenden Geist und alle die ihn empfangen, partizipieren an seinem göttlichen Leben.

Ohne die Angabe eines Ortes und ohne die Eingrenzung der Hörerschaft erlangt die Zusage Allgemeingültigkeit. Alle, die im Glauben an den auferstandenen Christus die Taufe und damit im Wasser den Heiligen Geist empfangen, werden leben mit Christus. So erfüllt Jesus seine Verheißung der Abschiedsrede an die Jüngerinnen und Jünger (Joh 14,19): Ich lebe und auch ihr werdet leben.

Der Evangelist Johannes lässt keine Zweifel darüber aufkommen, dass sich an Pfingsten tatsächlich die österliche Neuschöpfung des Menschen ereignet. In zweifacher Weise nimmt er Bezug auf den Schöpfungsbericht der Genesis, um seine Aussage zu untermauern: Am ersten Tag der Woche tritt Jesus in den Kreis der JüngerInnen und übermittelt den Heiligen Geist. Durch diese präzise Zeitangabe stellt Johannes einen unmittelbaren Bezug zwischen Pfingstereignis und erstem Schöpfungstag der Genesis her. Am ersten Tag der Woche unterschied Gott hell und dunkel. Dieser erste Tag steht für die Erschaffung des Lichts, das in die Welt kommt. Und Gott sprach, es werde Licht, und es wurde Licht. Johannes gibt den Leserinnen und Lesern damit zu verstehen: Jesus ist das Licht, das in die Welt kommt.

Ein zweiter Bezug zum Schöpfungsbericht ist augenscheinlich. In Genesis 2,7 haucht Gott dem Menschen seinen Lebensatem ein und macht ihn so zu einem lebendigen Wesen. Johannes verwendet im Pfingstbericht für die Geistvermittlung dieselbe Vokabel. Jesus hauchte seine Jüngerinnen und Jünger an. Das Anhauchen und das Einatmen des Odems stehen bei Johannes für die Geistübermittlung. So erfüllt Jesus auch eine zweite Verheißung (Joh 14,20): Ich bin in meinem Vater, ihr seid in mir und ich bin in euch. Die Neuschöpfung des Menschen vollzieht sich als gegenseitige Immanenz: Jesus ist in Gott und die glaubenden Jünger und Jüngerinnen sind in Jesus.

Wie sollen wir uns heute eine Neuschöpfung des Menschen in wechselseitiger Verbundenheit des Menschen mit Gott vorstellen? Der Mystiker und große Theologe Meister Eckhart greift den johanneischen Gedanken auf und beschreibt die Erschaffung der menschlichen Seele mit folgenden Worten: „Gott hat die Seele nach sich selbst geschaffen, nach seiner Natur, nach seinem Sein, nach dem Grund, in dem er in sich selbst bleibt, wo er seinen eingeborenen Sohn begiert, wovon der Heilige Geist ausblüht. Nach diesem ausfließenden innebleibenden Werk hat Gott die Seele geschaffen.“ Die menschliche Seele ist nach dem Sein Gottes geformt. Sie wurde erschaffen als Licht vom Licht. Sie ist Leben, das aufblüht in göttlicher Liebe. Menschlicher Seelengrund und überfließende, in sich bleibende Gottheit bilden eine Einheit.

Ich suche mich und meinen Anteil am neuen unvergänglichen Leben. Meine Suchbewegung führt mich nach innen. Im Stillen in einer Blickrichtung auf mein Innerstes erspüre ich die Anwesenheit des Göttlichen. Ohne die Mitwirkung von außen. Ohne jubelnde Menschen oder wissende Autoritäten. Das Göttliche kann mir in mir nahe sein, weil es aus dem gleichen Ursprung und von gleicher Stofflichkeit ist wie meine Seele. Meine glaubende Ausrichtung findet die Gottheit, die sich von Anbeginn verströmt. Sie ist in mir und mit mir. Durch sie bin ich und durch sie werde ich sein.

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