Augenblicke ewigen Lebens – 7. Sonntag der Osterzeit A

Aus dem Evangelium nach Johannes, Kapitel 17
In jener Zeit
1 erhob Jesus seine Augen zum Himmel und sagte: Vater, die Stunde ist gekommen. Verherrliche deinen Sohn, damit der Sohn dich verherrlicht.
2 Denn du hast ihm Macht über alle Menschen gegeben, damit er allen, die du ihm gegeben hast, ewiges Leben schenkt.
3 Das aber ist das ewige Leben: dass sie dich, den einzigen wahren Gott, erkennen und den du gesandt hast, Jesus Christus.
4 Ich habe dich auf der Erde verherrlicht und das Werk zu Ende geführt, das du mir aufgetragen hast.
5 Jetzt verherrliche du mich, Vater, bei dir mit der Herrlichkeit, die ich bei dir hatte, bevor die Welt war!
6 Ich habe deinen Namen den Menschen offenbart, die du mir aus der Welt gegeben hast. Sie gehörten dir und du hast sie mir gegeben und sie haben dein Wort bewahrt.
7 Sie haben jetzt erkannt, dass alles, was du mir gegeben hast, von dir ist.
8 Denn die Worte, die du mir gabst, habe ich ihnen gegeben und sie haben sie angenommen. Sie haben wahrhaftig erkannt, dass ich von dir ausgegangen bin, und sie sind zu dem Glauben gekommen, dass du mich gesandt hast.
9 Für sie bitte ich; nicht für die Welt bitte ich, sondern für alle, die du mir gegeben hast; denn sie gehören dir.
10 Alles, was mein ist, ist dein, und was dein ist, ist mein; in ihnen bin ich verherrlicht.
11 Ich bin nicht mehr in der Welt, aber sie sind in der Welt und ich komme zu dir. Heiliger Vater, bewahre sie in deinem Namen, den du mir gegeben hast, damit sie eins sind wie wir.

Autorin:
Dr. Ulrike AltlherrDr. Ulrike Altherr, Pastoralreferentin in Herrenberg

 
Die Predigt:
Augenblicke ewigen Lebens

Liebe Leserin, lieber Leser,
„Das dauert ja ewig, bis ich in den Laden, in die Post… kann“, mag sich die eine oder der andere denken, wenn sie oder er in diesen Zeiten in der langen Warteschlange steht. Oder wer allein zu Hause ist ohne Besuch, für den verrinnen die Stunden vielleicht quälend langsam. Dauern denn die Einschränkungen, zu denen wir aufgrund der Gefahr durch den Coronavirus gezwungen sind, ewig? Wenn wir so von „ewig“ reden, meinen wir eine lange, zu lange Dauer.

Ganz anders in glücklichen Momenten, wenn wir das Gefühl haben, so könnte es immer bleiben, ganz selbstvergessen im Hier und Jetzt zu sein. Ich glaube wenn wir das erleben, haben wir einen Vorgeschmack davon, was Jesus im heutigen Evangelium ewiges Leben nennt. Besser übersetzen müsste man mit einem merkwürdigen Wort: „äonisches Leben“. Im Johannesevangelium ist äonisches Leben nicht irgendwann am Ende der Welt oder nach unserem irdischen leben. Nein äonisches Leben ist eine neue Seinsqualität in unserem Leben, ein Leben, in dem das Reich Gottes durchscheint und Leben in Fülle spürbar ist.

Das muss Jesus und dem Autor des Johannesevangeliums sehr wichtig gewesen sein, denn es ist Thema der sogenannten Abschiedsreden Jesu. Wer Abschied nimmt wird in der Regel von zwei Themen bewegt. Er wird Rechenschaft ablegen über sein bisheriges Leben und er wird besorgt sein um die Lieben, die er zurücklassen muss. In Form eines Gebetes spricht Jesus im Evangelium, wenige Stunden vor seinem Tod über eben diese Themen.

Natürlich hat niemand die letzten Gespräche Jesu mitgeschrieben. Was wir heute bei Johannes lesen, ist kein historisches Protokoll, sondern eine Zusammenfassung seiner Theologie. Ein Stichwort heißt ewiges Leben.

Jesus sagt: Vater, du hast deinem Sohn Macht über die Menschen gegeben, damit er ihnen ewiges Leben schenke. Das aber ist das ewige Leben: Dich, den einzig wahren Gott zu erkennen und Jesus Christus, den du gesandt hast. Diese Aussage wirft die landläufige Vorstellung vom ewigen Leben um. Ewiges Leben, so die übliche Vorstellung ist in ferner Zukunft und in einer jenseitigen Welt. Bei uns hier gibt es das zeitliche Leben, das vom „ewigen“ sauber getrennt ist.

Jesus sagt hier. Diese Sicht ist falsch. Wer Gott kennt und mich begreift, und das nicht nur mit dem Verstand, sondern mit dem Herzen und allen Kräften seiner Seele, der hat schon das ewige Leben, weil er aufgenommen ist in die Lebensgemeinschaft mit Gott, die von keiner Macht der Welt, nicht einmal vom Tod, aufgelöst werden kann. Das ewige Leben ist also eine gegenwärtige und keine zukünftige Angelegenheit. Es beginnt in dem Moment, wo jemand zu Gott findet, und hört nie mehr auf!

Ewiges Leben, Leben im jetzigen Augenblick, das ist das, was die Mystiker pure Präsenz nennen. Ganz da sein, die Zeit vergessen, hingegeben sein ans Schauen nach innen oder im Tun von etwas, ist Sein und Verweilen vor Gott, ohne dass man es so nennen muss. Man muss nichts leisten, nichts darstellen, sondern darf „sein“.

Das kann ganz unterschiedlich aussehen. Wenn jemand ganz selbstvergessen seinen Lieblingssong übers Handy hört oder wenn ein Musiker ganz hingegeben an die Musik ist, die sich in Klang auflöst oder eine Malerin sich ganz dem Gestalten eines Bildes anheim gibt.

Mir können solche Augenblicke in guten Gesprächen passieren, wo nicht mehr ich wichtig bin, sondern der andere Mensch und seine Situation, aber auch beim Säen und Pflanzen auf dem Balkon, manchmal beim Kartoffelschälen oder beim Sitzen in der Stille bei der Meditation.

Bestimmt kennen Sie alle solche Augenblicke, in denen Sie ganz sind, für einen Augenblick oder für längere Zeit keine Schmerzen und Wünsche mehr haben, sondern im Einklang sind mit dem Sein.

Diese Augenblicke können auch im Krankenbett vorkommen, wenn man sich getragen und geborgen fühlt, wenn das Gefühl da ist „Es ist alles gut“, obwohl nicht alles gut ist.

Kinder im selbstvergessenen Spiel können uns etwas vom ewigen Leben zeigen.

Solche Augenblicke können wir vielleicht einüben, aber letztlich nicht machen. Sie sind ein Geschenk. Ich wünsche uns allen ewiges Leben hier und jetzt und immer.
Amen

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2 Antworten auf Augenblicke ewigen Lebens – 7. Sonntag der Osterzeit A

  1. Walburga Rüttenauer-Rest sagt:

    Diese Predigt hat mir Kraft und Ruhe zugleich geschenkt. In den letzten
    drei Monaten stieg eine Unruhe in mir auf und die Angst wie es sein
    würde, wenn der Tod vor der Tür steht. Die Berichte von Sterbenden
    durch den Coronavirus konnte ich kaum ertragen. Vor allem die Einsamkeit
    wäre für mich unerträglich. Vielleicht werde ich dann einen Augenblick
    von Ewigkeit erleben.

  2. gabriele sagt:

    Liebe Ulrike,
    herzlichen DANK für diese wunderbare Predigt. Nicht nur, dass ich jetzt besser verstehe, was „ewiges“ Leben meint – ich habe mich an eigene „ewige“ Erfahrungen erinnert und das war schön – auch wenn manche schmerzlich sind. Eine Geist-reiche Predigt schon vor Pfingsten!

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