Die Welt auf den Kopf stellen – 7. Sonntag im Jahreskreis A

Aus dem Evangelium nach Matthäus, Kapitel 5
In jener Zeit sprach Jesus zu seinen Jüngern – und Jüngerinnen:
38 Ihr habt gehört, dass gesagt worden ist: Auge für Auge und Zahn für Zahn.
39 Ich aber sage euch: Leistet dem, der euch etwas Böses antut, keinen Widerstand, sondern wenn dich einer auf die rechte Wange schlägt, dann halt ihm auch die andere hin.
40 Und wenn dich einer vor Gericht bringen will, um dir das Hemd wegzunehmen, dann lass ihm auch den Mantel.
41 Und wenn dich einer zwingen will, eine Meile mit ihm zu gehen, dann geh zwei mit ihm.
42 Wer dich bittet, dem gib, und wer von dir borgen will, den weise nicht ab.
43 Ihr habt gehört, dass gesagt worden ist: Du sollst deinen Nächsten lieben und deinen Feind hassen.
44 Ich aber sage euch: Liebt eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen,
45 damit ihr Kinder eures Vaters im Himmel werdet; denn er lässt seine Sonne aufgehen über Bösen und Guten und er lässt regnen über Gerechte und Ungerechte.
46 Wenn ihr nämlich nur die liebt, die euch lieben, welchen Lohn könnt ihr dafür erwarten? Tun das nicht auch die Zöllner?
47 Und wenn ihr nur eure Brüder grüßt, was tut ihr damit Besonderes? Tun das nicht auch die Heiden?
48 Seid also vollkommen, wie euer himmlischer Vater vollkommen ist.

Autorin:
Dr. Ulrike Altherr Dr. Ulrike Altherr, Pastoralreferentin in Herrenberg

 
Die Predigt:
Die Welt auf den Kopf stellen

Liebe Leserin, lieber Leser,
Die Welt steht Kopf
Faschistische Morde in Hanau. Da erschießt ein Mann mutmaßlich aus rechtsradikalen, rassistischen Motiven neun Menschen mit Migrationshintergrund, schließlich seine Mutter und sich selbst. Erschrecken und Entsetzen.
Und dann ist Fasnet oder Fasching an vielen Orten mit Narren, die ausgelassen feiern und das Leben nicht ernst nehmen und die übliche Ordnung auf den Kopf stellen.
Nichts passt zusammen.
Passt der Text des heutigen Evangeliums in unsere Welt, in unser Leben?
Wenn Jesus am Schluss der Bergpredigt sagt, dass man seine Feinde lieben soll, kommt uns doch eher in den Sinn, dass uns das nicht betrifft. Feinde gibt es doch im Krieg oder…?.
Wenn ich den schon sehe…
Ich kann sie nicht riechen…
Er geht mir auf den Geist…
Warum hat sie mir das angetan…?
Das kann er nicht wieder kitten…
Ich hasse sie, ich hasse ihn!
Sind vor Ihrem inneren Auge Bilder konkreter Menschen aufgetaucht?
Ja, manche zu lieben ist nicht leicht. Feinde tun uns Böses an. Man braucht nur die Zeitung aufzuschlagen oder sich umzuhören, um zu wissen, wieviel Böses, Furchtbares Menschen einander antun.

Man wird sich wohl noch wehren dürfen
Und das soll man einfach hinnehmen? Wir brauchen uns nicht alles gefallen lassen. Oder? Man wird sich wohl noch wehren dürfen. Und Menschen wehren sich. Wir wehren uns vor allem dann, wenn wir unsicher sind oder Angst haben. Oder wir wehren uns, wenn wir meinen, jemand würde uns etwas wegnehmen. Das Ergebnis kann dann Rechtsradikalismus sein, Hass auf alle und alles, was nicht deutsch ist, bis hin zu Schüssen auf Menschen, die ausländische Wurzeln haben.

Es kann auch sein, dass wir uns in eine Meinung hineinmanövriert haben, und nun meinen, wir könnten nicht sagen, dass wir uns geirrt haben. Oder wir meinen, wer in einer mir wichtigen Sache anders denkt als ist, ist ein böses Mensch. Und vor allem wollen wir Recht haben. Wir wollen verteidigen, was wir bedroht sehen. Wir wollen behalten, was uns gehört oder vermeintlich zusteht.
Bei uns heißt es doch eher:
• Hasst eure Feinde!
• Tut nur denen Gutes, die auch euch Gutes tun….
• Wie die andern mit dir umgehen, so geh auch Du mit ihnen um.
Das ist doch die Realität, vom Schulhof, bis hinein in die „große Politik“. Wer etwas anderes behauptet, ist entweder ein Sozialromantiker oder schlicht dumm!
Jesus kann seine Forderungen nicht so ganz ernst gemeint haben, denn sonst wäre er ja ein Dummkopf. Oder…?

Jesus meint es ernst
Doch Jesus meint es ernst, Und seine Anhängerinnen und Anhänger hatten und haben ein Problem damit. Die einen sagten, das heißt radikaler Gewaltverzicht für Christen, kein Militärdienst etc.. So handhabten es die Christen in der Zeit bevor das Christentum im vierten Jahrhundert staatlich anerkannt wurde. Und seitdem nahmen es eher Menschen wie Franziskus oder die Waldenser radikal wörtlich. Mit diesem Ernst tun sich die Auslegerinnen und Ausleger seit alters her schwer. Seit Augustinus gab es die abschwächende Interpretation mit einer Zwei-Stufen-Ethik. Ein völliger Rechts- und Gewaltverzicht geht eben nicht in einer Volkskirche.

Auch mir fällt es schwer. Gern würde ich in eine abschwächende Interpretation ausweichen. Und doch bleibt so etwas Provozierendes und gleichzeitig Faszinierendes zurück. Das wär`s wirklich, sogar die Feinde zu lieben. Mit Jesus radikal anders als die übliche Welt zu sein. Er bringt aus der Erfahrung der kleinen Leute seine Beispiele. Jemandem ins Gesicht zu schlagen, einem das letzte Hemd zu nehmen, einen zur Begleitung zu zwingen, wie es damals ein römischer Soldat tun konnte. Dieses Unrecht soll man nicht einfach passiv erleiden, sondern im Gegenteil aktiv auf sich nehmen. Doch warum sollte man die andere Wange hinhalten? Weil Widerstand nichts nützt? Weil der Klügere nachgibt? Weil der Gedemütigte damit Würde zeigt? – Jesus gibt keine Begründung für dieses Verhalten. Doch der Feind, der Bedränger, er wird in jedem Fall durch diese unerwartete Reaktion überrascht und verunsichert. Das Böse soll so ins Leere laufen, weil es auf keinen Widerstand trifft. Die Spirale von Gewalt und Gegengewalt wird paradoxerweise unterbrochen, indem das Opfer in Vorleistung geht und freiwillig die Gewalt annimmt.

Das geht nur mit Gott
Im letzten Satz steht etwas, das ich für die Begründung Jesu halte. Seid vollkommen, wie auch euer Vater im Himmel vollkommen ist. Ja, wenn wir unser Feinde lieben können, dann sind wir vollkommen wie Gott vollkommen ist. So vollkommen sein wie Gott, das können wir nicht von uns aus sein, sondern nur von Gott aus. Vor ihm sind wir vollkommen und heilig, seine geliebten Kinder, die Erben seines Reiches. Von ihm haben und bekommen wir letztendlich alles, was wir brauchen.

Nur wer keine Angst hat, kann lieben
Wenn wir in diesem Vertrauen leben können, brauchen wir keine Angst um uns selbst zu haben. Dann können uns Menschen im Letzten nichts anhaben, dann brauchen wir weder unsere Habe, noch uns selbst zu schützen oder Unrecht zu rächen, auch nicht mit Gegengewalt auf Gewalt zu reagieren.
Wir kommen schon nicht zu kurz.
Probieren wir es aus, erst mal im Kleinen. Vielleicht muss ich morgen einmal nicht Recht haben. Vielleicht müssen Sie einem anderen etwas Böses nicht heimzahlen…Und dann: Stellen wir die Welt auf den Kopf, nicht nur in der Fasnet. Amen.

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