Ohne Abschied kein Neubeginn – Neujahr 2020 und Hochfest der Gottesmutter Maria

Lesung aus dem Buch Numeri, Kapitel 6
22 Der HERR sprach zu Mose:
23 Sag zu Aaron und seinen Söhnen: So sollt ihr die Israeliten segnen; sprecht zu ihnen:
24 Der HERR segne dich und behüte dich.
25 Der HERR lasse sein Angesicht über dich leuchten und sei dir gnädig.
26 Der HERR wende sein Angesicht dir zu und schenke dir Frieden.
27 So sollen sie meinen Namen auf die Israeliten legen und ich werde sie segnen.

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Autorin:
Sigrid Haas, Diplomtheologin, Mannheim

 
Die Predigt:
Ohne Abschied kein Neubeginn

Liebe Leserin, lieber Leser,
Ein glückliches Neues Jahr
zum Jahresanfang wünschen wir einander Glück. Alle Menschen zu allen Zeiten wollen glücklich sein. Heute bedeutet ein glückliches Leben meistens „irdisches“ Glück wie materieller Wohlstand, Gesundheit und glückliche Beziehungen. Eine gute Verbindung mit Gott gehört für viele nicht mehr dazu. Allerdings sind immer mehr Menschen außerhalb der Kirchen auf der Suche nach der Verbindung mit etwas Höherem, weil sie intuitiv spüren, dass es mehr gibt als die materiell-sichtbare Welt.

Früher waren die Menschen sich ihres göttlichen Ursprungs bewusst. Der alttestamentliche Gott Jahwe zeigte sich als mitfühlender, naher, zugleich aber auch geheimnisvoller Gott, der bei seinem Volk war. Doch wirklich nahe kam Gott uns Menschen erst durch die Menschwerdung in Jesus, der als unser Bruder und Freund sich aus Liebe hingab und uns die Heilige Geistkraft als Beistand schenkte.

Gesegnet von Gott
Die ganze Schöpfung wurde von Gott gesegnet, und die Menschen als Abbild Gottes ganz besonders (Gen 1,27-28). In der alttestamentlichen Lesung hören wir heute den Priestersegen. Er ist – leicht abgewandelt („Heil“ wird ersetzt durch “Frieden“) – vor allem durch den heiligen Franziskus bekannt geworden. Das lateinische „benedicere“ heißt „Gutes sagen“. Dieses Gute – dass wir von Gott in Liebe angeschaut werden -, sollen auch wir, nicht nur zu Neujahr oder zum Geburtstag, einander zusprechen. Ja, mehr noch, auch uns selbst sollten wir segnen und vor allem auch als Gesegnete leben.

Beschützt und geborgen – auch im Unbegreiflichen
Maria, deren Hochfest wir heute auch feiern, hat uns dies beispielhaft vorgelebt. Sowohl ihre Erwählung als Mutter des Sohnes Gottes, die Empfängnis ihres Kindes durch die Heilige Geistkraft als auch Jesu’ früher, grausamer Tod überstiegen ihre Vorstellungskraft und ihr logisches Denken. Doch Maria bewahrte alles im Herzen und wusste sich gesegnet von Gott (Lk 1,28), beschützt und geborgen in der Liebe Gottes, auch im Unbegreiflichen, im schier Unerträglichen. Unter dem Kreuz vertraute Jesus seine Mutter seinem Lieblingsjünger Johannes an, dem einzigen der Männer, der nicht geflohen war.

In ein so tiefes Vertrauen wie Maria können wir jedoch nur kommen, wenn wir unsere Angst und unser begrenztes Denken überwinden und das Unmögliche für möglich halten. Gottes unendliche Größe verbirgt sich in der Kleinheit des Jesuskindes, damit wir etwas von Gott begreifen können.

Anteil an der Schöpfungsmacht
Gott segnet uns und lässt uns teilhaben an der göttlichen Schöpfungskraft. Dies bringt allerdings eine besondere Verantwortung mit sich. Im Verhältnis zu den für uns unvorstellbaren Weiten des Kosmos’ sind wir nur für einen winzigen Augenblick ein Sandkorn auf der Erde. Dennoch sind wir gleichzeitig auch mächtige Wesen mit schöpferischer Kraft. Was jede und jeder Einzelne denkt, fühlt, sagt und tut, hat Auswirkungen auf alle. Denn in der Schöpfung ist alles mit allem verbunden. Wir können also selbst zum Segen werden – oder zum Fluch, wenn wir unsere Macht missbrauchen.

Werden wir beispielsweise fähig, das Liebesgebot in all seinen Dimensionen zu leben, indem wir uns selbst bedingungslos lieben können, trotz unserer dunklen Seiten. Dann können wir aus dieser bedingungslosen Selbstliebe heraus Menschen, die – uns – Böses getan haben, auch vergeben. In unserer Kleinheit verbirgt sich gleichzeitig auch das göttliche Potential, sogar Wunder zu vollbringen (Joh 14,12).

Jeder Tag ist Neubeginn und Abschied zugleich
Wenn wir in den vergangene Tagen zurückgeblickt haben auf das zu Ende gehende Jahr gab es sicher viele Abschiede, umso mehr je älter wir werden: Nahestehende Menschen sterben, eine Beziehung zerbricht, das Arbeitsleben endet, ein Umzug steht an, Träume zerplatzen, gesundheitliche Probleme schränken ein, vielleicht müssen wir selbst gar dem baldigen Tode in die Augen schauen.

Für manche mag es ein sehr schweres Jahr gewesen sein und die Verzweiflung droht übermächtig zu werden. Doch wenn wir aufmerksam sind, erkennen wir, dass es immer wieder auch Momente neuen Lebens gibt: Vielleicht ein Lied, das uns fröhlich stimmt und das wir tage- oder gar wochenlang hören, ein Gedanke, der uns eine neue Sicht auf unser Leben ermöglicht oder ein Kraftort, den wir in der Nähe entdecken.

Wir können nichts und niemanden festhalten, so sehr wir uns das auch wünschen. Aber alles hat ausnahmslos immer zwei Seiten, da wir in einer dualen Welt leben. Gott hat die Welt, ja den ganzen Kosmos in einem ständigen Kreislauf von Leben und Tod erschaffen. Allein in unserem Körper entstehen jede Sekunde Millionen Zellen, während gleichzeitig Millionen absterben. Wir sind nicht mehr derselbe Mensch wie vor einem Jahr, ja, nicht einmal derselbe wie gestern. Unser Leib verändert sich jede Sekunde. Innerhalb von sieben Jahren haben sich in unserem Körper alle Zellen komplett erneuert.

Jeder neue Tag ist ein Neuanfang und ein Abschied zugleich, denn mit jedem vergangenen Tag kommen wir auch unserem Todestag näher. Was Sterbende am meisten bereuen, ist, dass sie nicht den Mut hatten, das Leben zu leben, das sie sich gewünscht haben, zu viel gearbeitet und zu wenig Zeit mit geliebten Menschen verbracht haben. Deshalb ist es so wichtig, jeden Tag möglichst bewusst zu leben und so zu verbringen, dass wir glücklich sind: mit Tätigkeiten, Menschen und an Orten, die uns Freude, Erfüllung und Energie geben.

Leben ist ständige Veränderung
Alle Systeme wie das Ökosystem, Finanz- und Wirtschaftssystem, Gesundheits-, Bildungs- und Sozialsystem etc. verändern sich ständig. Seit vielen Jahren nähern sich Systeme, welche diese natürlichen Veränderungen blockieren, wie etwa die Kirche, immer mehr dem totalen Zusammenbruch. Die Verantwortlichen halten mit aller Macht am Alten fest und verhindern so das Not-Wendende. Je länger der Widerstand, desto schwerwiegender sind die Folgen. Die Lösungen liegen längst bereit, denn die Heilige Geistkraft inspiriert Menschen, die dafür offen sind. Jede und jeder von uns kann dazu beitragen, die veränderungswilligen Kräfte zu stärken, indem wir selbst täglich tun, was uns in der Liebe, der Freude und im Frieden hält. Würdigen wir das Alte, lassen wir es los und öffnen uns für das Neue!

Ohne Abschied kein Neubeginn
Wir können jeden Tag, ja jede Sekunde neu anfangen. Vorausgesetzt, wir sind wirklich ehrlich zu uns und haben den Mut, ein klares Ja zu uns selbst zu sagen und einem Leben in Fülle. Denn Gott hat eine Welt der Fülle erschaffen und Jesus ist gekommen, damit wir das Leben in Fülle haben (Joh 10,10).

Wir wünschen uns eine glückliche Welt. Dazu sind aber glückliche Menschen nötig, weil wir nur geben können, was in uns ist. Doch kommt es nicht nur auf die großen Taten an, sondern die täglichen kleinen, denn sie bilden das Fundament für Größeres. Da wir im hektischen Alltag gute Vorsätze selten lange durchhalten, sind möglichst kleine Schritte gefragt, die wenig Zeit benötigen und trotzdem wirksam sind.

Kaufen Sie sich ein schönes Notizbuch und einen kleinen Notizblock für unterwegs. Wenn Sie einen Gedanken, eine Idee oder ein Erlebnis haben, das in Ihnen positive Gefühle weckt, schreiben Sie es auf. So sammeln Sie mit der Zeit einen Schatz an, auf den Sie in schweren Zeiten zurückgreifen können. Und am Ende des Jahres können Sie sich noch einmal an die schönen Momente erinnern. Vielleicht kleben Sie auch einige Fotos ein oder malen etwas. Vielleicht finden Sie an manchen Tagen nichts, worüber Sie sich freuen können. Dann schreiben Sie einfach auf, worüber Sie sich grundsätzlich freuen und lesen das einige Tage lang durch. So werden Sie aufmerksamer für das, was Ihnen gut tut – und tun mehr davon. Denn worauf wir unsere Aufmerksamkeit richten, das ziehen wir an. Beginnen Sie damit, mehr zu lächeln. Gehen Sie jetzt zum Spiegel und lächeln sich selbst an. Denn Gott ist in jede Ihrer Zellen und schaut Sie durch Ihre Augen liebevoll an und segnet Sie.
Ein glückliches Neues Jahr!
Amen.

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