Liebt einander wie ich euch geliebt habe – 5. Sonntag der Osterzeit C

Aus dem Evangelium nach Johannes, Kapitel 13
31 Als Judas vom Mahl hinausgegangen war, sagte Jesus: Jetzt ist der Menschensohn verherrlicht und Gott ist in ihm verherrlicht.
32 Wenn Gott in ihm verherrlicht ist, wird auch Gott ihn in sich verherrlichen und er wird ihn bald verherrlichen.
33a Meine Kinder, ich bin nur noch kurze Zeit bei euch.
34 Ein neues Gebot gebe ich euch: Liebt einander! Wie ich euch geliebt habe, so sollt auch ihr einander lieben.
35 Daran werden alle erkennen, dass ihr meine Jünger – und Jüngerinnen – seid: wenn ihr einander liebt.

Herz
Autorin:
Sigrid Haas, Diplomtheologin, Mannheim

 
Die Predigt:
Liebt einander, wie ich euch geliebt habe

Liebe Leserin, lieber Leser,
Gott ist in jedem Menschen

Dem neuen Gebot ist die Fußwaschung vorausgegangen (Joh 13, 1-20). Dadurch wollte Jesus uns sagen: Es gibt keine Rangordnung, wir sind alle gleich, sollen einander dienen und einander lieben. Alle Menschen sehnen sich nach bedingungsloser Liebe, auch jene, die Böses tun oder getan haben. Gott ist in jedem Menschen präsent und liebt alle bedingungslos, sogar Mörder. Die göttliche Liebe will sich konkret durch uns ausdrücken, wir sind Jesu Stellvertreterin und Stellvertreter: Ich war hungrig, und ihr habt mir zu essen gegeben (Mt 25, 35). Es hängt also von uns ab, wie viel von Gottes Liebe in der Welt sichtbar wird. Ich war krank und im Gefängnis und ihr habt mich nicht besucht (Mt 25, 43).

Wie ich euch geliebt habe

Im alttestamentlichen Liebesgebot heißt es Liebe deine Nächsten wie dich selbst (Lev 19,18). Das bedeutet also: Ich selbst bin der Maßstab – in dem Grad, in dem ich mich liebe – oder auch nicht liebe!, so soll ich andere lieben. Das ist problematisch, denn behandle ich mich selbst schlecht, beispielsweise verurteile mich für Fehler, dann verurteile ich leicht auch andere, oder verzichte ich auf alles, dann fordere ich das gerne auch von anderen.

Patriarchale Kulturen und die – absichtliche? – Verfälschung des Liebesgebotes haben zur Verdammung der Selbstliebe geführt, obwohl sie völlig natürlich ist – Kinder zeigen uns das! Stattdessen wird uns bis heute immer noch eingetrichtert, wir seien klein und sündig, etwa im Kommuniongebet: „Herr, ich bin nicht würdig, dass du eingehst unter mein Dach“. Sich selbst ständig nieder zu machen, führt zu Konflikten, Selbstverachtung, Krankheiten aller Art und letztlich zur Selbstzerstörung. Der Protest dagegen in Form übersteigerter Selbstliebe, Selbsterhöhung und Egoismus zerstört stattdessen andere durch Demütigung, Unterdrückung und Ausbeutung und macht auch vor der Natur nicht Halt. So sind herz-lose Gesellschaften entstanden.

Jesus setzte deshalb einen anderen Maßstab: Liebt einander wie ich euch geliebt habe. Der folgende Gedanke ist vielleicht ungewöhnlich oder wird gar Ihren Widerstand hervorrufen: Wie Jesus zu lieben, setzt bedingungslose Selbstliebe voraus! Denn er hat sich selbst zu hundert Prozent geliebt, nur deshalb konnte er auch andere bedingungslos lieben. Jesus war authentisch, verbog sich nicht, spielte keine Rollen, brauchte keine Masken und Schutzmauern, sein Herz war vollkommen offen. Er zeigte Gefühle, Angst, Wut, Trauer, Verzweiflung, Schwäche, denn er fürchtete sich nicht vor seinen inneren Dämonen, sondern lebte ganz aus dem Herzen. Er ließ Tränen und Berührungen zu, nahm sich Auszeiten, bat in der Not seine Freunde und Freundinnen um Hilfe – er achtete und erfüllte sich seine Bedürfnisse. Auch kümmerte er sich nicht um das Gerede der Leute, weil Frauen mit ihm zusammenlebten, er mit Zöllnern und Dirnen verkehrte und manches Gesetz brach. Er machte sich nicht klein, verurteilte sich selbst nicht, als viele Menschen seine Botschaft nicht verstanden.

Aus dieser Selbstliebe heraus war er ganz im Frieden mit sich und brauchte keine Projektionen im Außen. Er lebte im Bewusstsein, dass alle Menschen seine Geschwister sind, hatte Mitgefühl für ihre Leiden, ohne sich darin zu verlieren und gab allen die Chance, sich für das Gute zu entscheiden. Seine Gedanken, Gefühle, Worte und Taten waren eins. Er lebte das vollkommene Gleichgewicht von Gottesliebe, Selbstliebe und Nächstenliebe, war tief verbunden mit sich selbst, den Menschen und mit Gott, von dem er sich bedingungslos geliebt wusste. Daraus nährte sich seine bedingungslose Liebe.

Wie ich euch geliebt habe beinhaltet also, mich selbst bedingungslos zu lieben, trotz all meiner Fehler, w e i l Jesus, weil Gott mich bedingungslos liebt. Indem ich zuerst Liebe empfange, werde ich er-füllt und ge-füllt, kann aus meiner Liebesfülle heraus geben und auch in jedem Menschen das Gute sehen. Aus dieser Selbstliebe erwächst die Kraft, meine Schwestern und Brüder zu lieben und ihnen zu verzeihen. Zwar wird uns dies nicht immer gelingen, weil wir Menschen sind und nicht Jesus, doch je mehr Selbstliebe und Mitgefühl wir entwickeln und eins werden mit uns selbst, statt unsere Schattenseiten auf andere zu projizieren, desto mehr können wir bedingungslos lieben.

Erkennungszeichen Liebe

Nicht ein förmliches Christus-Bekenntnis, äußere Zeichen wie ein Kreuz um den Hals, eine Priester- oder Ordenskleidung, die Einhaltung der sonntäglichen Gottesdienstpflicht und die Bezahlung der Kirchensteuer machen uns zu Jüngerinnen und Jüngern Jesu, sondern ein Leben im Geist der Liebe und der Vergebung (z.B. 1 Kor 13, 1-8). Wobei das Liebesgebot die drei gleichberechtigten Dimensionen Gottes-, Selbst- und Nächstenliebe beinhaltet, es wird jedoch durch die Bezeichnung Doppelgebot in seinem wahren Sinn verfälscht (mehr dazu „Die drei Dimensionen der Liebe“ www.kath-frauenpredigten.de/?p=6141).

Gottes Liebe wird durch uns sichtbar und erfahrbar, wenn wir einem Geschöpf mit und in Liebe begegnen – und dazu gehören nicht nur die Menschen, sondern, wie es der hl. Franz von Assisi in seinem „Sonnengesang“ ausdrückte, auch die Tiere, Pflanzen, Gestirne, ja die ganze Schöpfung. Alle und alles ist von Gott erschaffen und wird von Gott geliebt. Erfüllt uns eine solche allumfassende Liebe, werden wir weder Menschen noch allen anderen Geschöpfen etwas Böses tun.

Daran werden alle erkennen, dass ihr meine Jünger – und Jüngerinnen – seid: Wenn ihr einander liebt. Die Kirchengeschichte bezeugt jedoch – leider bis heute – in ungeahntem Ausmaß Fälle anderen Verhaltens: Unterdrückung der Frauen, Ausgrenzung von Andersdenkenden, Kreuzzüge, Gegenreformation, Hexenverbrennungen, Zwangsmissionierungen, sexueller Missbrauch, wobei die Taten geweihter Amtsträger besonders schwer wiegen. Deshalb ist unser Zeugnis mehr denn je not-wendig. Allerdings nicht, um die Kirchen wieder zu füllen, sondern die Gegenwart Gottes und die bedingungslose Liebe in der Welt sichtbar und erfahrbar zu machen. Leben und handeln wir anders als ein Großteil der Gesellschaft, kommen die Menschen von selbst und bleiben auch. Menschen wie beispielsweise der hl. Franz und Klara von Assisi, die Gemeinschaft von Taizé oder Mahatma Gandhi könnten wir zum Vorbild nehmen. Dann wird das Himmelreich mitten unter uns sein…!

Voraussetzungen

Um das neue Gebot wirklich leben zu können, braucht es also bestimmte Voraussetzungen.

– Das Bewusstsein der Verbundenheit und der göttlichen Präsenz in jedem Menschen: Wir stammen alle aus derselbe Quelle, sind Kinder Gottes und deshalb Geschwister. Durch moderne Technologien lässt sich heute sogar das Herz-Energiefeld messen, über das alle Menschen miteinander verbunden sind. In jedem Menschen wohnt Gott und damit auch das Gute, außerdem ist jede und jeder einzigartig; es braucht keine Konkurrenz.

– Zuerst empfangen, dann geben: Wenn wir uns öffnen für die göttliche Liebe und Vergebung, sind wir gefüllt und können aus der Fülle heraus anderen Liebe und Vergebung schenken.

– Die bedingungslose Selbstliebe: Gott hat mich erschaffen und liebt mich, so wie ich bin, deshalb kann auch ich mich lieben, es ist sogar meine heilige Pflicht, liebevoll zu mir selbst zu sein und meine Bedürfnisse zu achten.

– Eine regelmäßige, ehrliche Selbstreflexion: Das, was wir an anderen ablehnen, haben wir auch in uns selbst, doch wir verdrängen es, projizieren es auf andere und verurteilen sie dann für ihr Verhalten. Warum siehst du den Splitter im Auge deines Bruders/deiner Schwester, aber den Balken in deinem Auge bemerkst du nicht? (Mt 7,3) und Wer von euch ohne Sünde ist, werfe als Erster einen Stein auf sie (Joh 8,7). Erst wenn wir schonungslos ehrlich zu uns selbst sind und auch unsere verdrängten Anteile annehmen, können wir das auch bei anderen.

– Mitgefühl statt Mitleid: Verbundenheit, Selbstliebe, Selbstreflexion und Selbsterkenntnis ermöglichen, dass wir uns in andere hineinversetzen können und uns fragen, was er oder sie erlebt haben muss, um so handeln zu müssen. Jedoch nicht, indem wir mit-leiden, sondern anderen zur Selbsterkenntnis verhelfen, Lösungen aufzeigen und sie auf ihrem Weg unterstützen. Wie in dieser wahren Geschichten: Eine Frau wurde auf der Straße von einem Mann mit einer Waffe bedroht. Nach einer Schrecksekunde fragte sie ihn: „Was kann ich für Sie tun?“ Völlig erstaunt ließ er die Waffe sinken und erzählte ihr seine Lebensgeschichte.

Eine kleine Übung

Achten Sie einmal eine Woche lang darauf, wie Sie mit sich selbst umgehen, und in der nächsten Woche beobachten Sie, wie Sie sich anderen gegenüber verhalten. Entdecken Sie vielleicht Gemeinsamkeiten, erkennen Sie Zusammenhänge…? Fühlen Sie hinein in Menschen, über die Sie sich aufregen, was könnten sie erlebt haben, dass sie sich so verhalten…? Sind Sie selbst durch liebevolles Verhalten erkennbar als Jünger oder Jüngerin Jesu…?

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