Wohin sollte ich gehen? – 5. Fastensonntag C

Aus dem Evangelium nach Johannes, Kapitel 8
In jener Zeit
1 ging Jesus zum Ölberg.
2 Am frühen Morgen begab er sich wieder in den Tempel. Alles Volk kam zu ihm. Er setzte sich und lehrte es.
3 Da brachten die Schriftgelehrten und die Pharisäer eine Frau, die beim Ehebruch ertappt worden war. Sie stellten sie in die Mitte
4 und sagten zu ihm: Meister, diese Frau wurde beim Ehebruch auf frischer Tat ertappt.
5 Mose hat uns im Gesetz vorgeschrieben, solche Frauen zu steinigen. Was sagst du?
6 Mit diesen Worten wollten sie ihn auf die Probe stellen, um einen Grund zu haben, ihn anzuklagen. Jesus aber bückte sich und schrieb mit dem Finger auf die Erde.
7 Als sie hartnäckig weiterfragten, richtete er sich auf und sagte zu ihnen: Wer von euch ohne Sünde ist, werfe als Erster einen Stein auf sie.
8 Und er bückte sich wieder und schrieb auf die Erde.
9 Als sie das gehört hatten, ging einer nach dem anderen fort, zuerst die Ältesten. Jesus blieb allein zurück mit der Frau, die noch in der Mitte stand.
10 Er richtete sich auf und sagte zu ihr: Frau, wo sind sie geblieben? Hat dich keiner verurteilt?
11 Sie antwortete: Keiner, Herr. Da sagte Jesus zu ihr: Auch ich verurteile dich nicht. Geh und sündige von jetzt an nicht mehr!

Autorin:
_MG_7932-web Birgit DroesserBirgit Droesser, Pastoralreferentin, war tätig in der Gemeindepastoral, in der Klinikseelsorge und im Theol. Mentorat Tübingen, jetzt Pfarrgemeinderätin in St. Bruno, Würzburg

 
Die Predigt:
Wohin sollte ich gehen?

Liebe Leserin, lieber Leser,
das heutige Evangelium ist besonders aus Frauensicht voller Rätsel: Eine Frau wird auf frischer Tat beim Ehebruch ertappt und was ist mit dem Mann? Was für eine Männerüberheblichkeit, der sich Jesus da gegenübersieht! Und wie ging die Geschichte für die betroffene Frau wohl weiter? Das Evangelium verrät nichts davon. Deshalb habe ich versucht, in Form einer Erzählpredigt aus der Sicht der betroffenen Frau dem nachzuspüren, wie es möglicherweise gewesen sein könnte:

Warm scheint die Herbstsonne auf Jerusalem. Die Stadt wimmelt von Menschen in den Tagen des Laubhüttenfestes. Erst vor kurzem war das Versöhnungsfest, unser höchster Feiertag, und jetzt feiern wir fünf Tage lang nach altem Gesetz und Brauch in Laubhütten den Abschluss der Oliven- und Weinernte. Das heißt, wir verlassen unsere Häuser und ziehen in die Hütten, die unsere Männer schon vor Tagen aus zusammengebundenen Zweigen errichtet und mit Weinlaub geschmückt haben. Wir tun das zur Erinnerung daran, dass Jahwe uns in Hütten wohnen ließ, damals, als er uns aus Ägypten herausführte (s. Lev 23,39). Alle arbeiten in diesen Tagen nur das Nötigste. Wir sitzen zusammen, essen, trinken Wein und feiern.

Aber auch im Tempel ist Hochbetrieb. Ich glaube, niemand kann sich den Tempel in seiner Pracht vorstellen, der ihn nicht mit eigenen Augen gesehen hat. Wir sind so stolz darauf, wieder einen so großen und wunderschönen Tempel zu haben mit den riesigen Marmorsäulen, goldenen Verzierungen, Kuppeln und Toren. Jeden Tag bringen die Priester dort die vorgeschriebenen Brand- und Schlachtopfer dar und jetzt die Feueropfer der Laubhüttenzeit.

Ihr seht, ich komme fast ins Schwärmen, wenn ich daran denke, wie schön mein Leben früher war. Aber in diesem Jahr ist es anders. Eine besondere Spannung liegt in der Luft wegen diesem Jesus von Nazaret. Meine Freundinnen haben mir erzählt, dass er in der Stadt ist und sich den ganzen Tag im Tempelbezirk aufhält. Im Vorhof der Männer gibt es ständig große Aufregung, weil viele zu ihm drängen und ihn hören wollen. Heute weiß ich selber, was für eine Ausstrahlung er hat. So wie er hat noch niemand von Gott geredet in wunderschönen Geschichten. Die Geschichte vom barmherzigen Vater, zum Beispiel, dass Gott seine Söhne und Töchter unglaublich liebt und dass er immer bereit ist, uns zu verzeihen und wieder anzunehmen. So etwas kann niemand vergessen. Aber für mich ist es kein Wunder, dass die Schriftgelehrten ihn hassen, denn er bringt ihr ganzes Lehrgebäude durcheinander. Man munkelt, dass sie Jesus beseitigen wollen. Und bis gestern habe ich sie, ehrlich gesagt, auch einerseits verstanden. Schließlich haben wir Mose und das Gesetz, das unser Leben regelt. Von klein auf haben wir es in der Synagoge gelernt; jedes Mädchen und jeder Junge kennt es. Es heißt zwar, der Rabbi aus Nazaret will das Gesetz nicht aufheben, aber er spricht so frei darüber, dass unsere Ältesten einfach Angst bekommen. Was soll auch werden, wenn jeder das Gesetz so auslegt, wie es ihm gerade passt? So hat es mein Mann, der einen Laden in der Stadt hat und zur Schule der Pharisäer gehört, immer gesagt.

Doch dann ist mir gestern etwas passiert, was ich immer noch nicht fassen kann. Es fällt mir schwer darüber zu sprechen. Denn mein Mann und seine Freunde haben mich in eine Falle laufen lassen, um mich los zu werden, und um zugleich Jesus eine Falle zu stellen. Ich, Frau und Eigentum des Krämers Josua, ich stehe plötzlich im Mittelpunkt. Sie wollten mich einfach opfern und haben es getan. Ehebrecherin soll ich sein, da kann ich nur bitter lachen. Wie schon gesagt, weiß jedes Kind, wie Ehebruch nach dem Gesetz des Mose bestraft wird: Wenn ein Mann dabei ertappt wird, wie er bei einer verheirateten Frau liegt, dann sollen beide sterben, der Mann, der bei der Frau gelegen hat, und die Frau. Du sollst das Böse aus Israel wegschaffen.(Dtn 22,22) Und ich sage es noch einmal, ich weiß worum es geht und ich bin doch nicht lebensmüde. Ha, und wenn ich es wirklich wollte, würde ich mich doch nicht erwischen lassen.

Was tatsächlich geschehen ist, das hätte ich niemals von meinem Mann gedacht. Wir haben ganz gut zusammengelebt, aber, zugegeben, es war nicht die große Liebe. Insgeheim habe ich schon lange befürchtet, dass Josua mir irgendwann die Scheidungsurkunde ausstellen wird. Ich bin jetzt 20, seit fünf Jahren sind wir verheiratet und ich habe noch immer kein Kind. Deshalb vor allem hat es immer wieder gekriselt bei uns in der letzten Zeit. Ich habe die Scheidung befürchtet und oft gefragt, wohin ich wohl dann gehen sollte. Und jetzt hat mein Mann mich benutzt, um zusammen mit den anderen Jesus eins auszuwischen.

Was vorgefallen ist, ist schnell erzählt. Wie schon gesagt, wir schlafen zur Zeit in den Laubhütten. Es ging lustig zu gestern Abend. Wir haben gesungen und getanzt und auch viel Wein getrunken. Ich habe gar nicht gemerkt, wie mir ständig jemand neu eingeschenkt hat. Mein Kopf ist immer noch schwer davon. Es wurde später und später und dann war mit einem Mal niemand mehr da, außer diesem Ilja, ein Cousin meines Mannes, den ich bis gestern noch nie gesehen hatte. Es heißt, er sei Schafzüchter in den Bergen. Ja, ich gebe es zu, Ilja hat mir gefallen. Wir waren allein, ich betrunken, und dann … Da brauche ich nichts drüber zu sagen. Als ich heute morgen aufwachte, hatte dieser Mensch natürlich längst das Weite gesucht. Und dann kamen sie herein und fielen über mich mit Beschimpfungen her. Allen voran mein Mann. Sie zerrten mich aus der Hütte, ich konnte mich nicht einmal waschen, und dann gleich hinauf zum Tempel.

Ich wusste überhaupt nicht, wie mir geschah. Sie haben mich vorwärts gestoßen. Ein Spießrutenlaufen war das, hinein in den Vorhof der Männer. Beim Rabbi Jesus waren schon wieder viele versammelt. Ganz ruhig standen die Männer da und hörten ihm zu. „Meine“ Leute drängten sich einfach hindurch und schubsten mich direkt vor Jesus hin. Im Erdboden hätte ich versinken mögen, aber da stand ich, ganz allein, direkt vor Jesus. Ich zitterte am ganzen Leib und hörte, wie Elis mit harter, aggressiver Stimme zu reden anfing vom Mosegesetz und von der Steinigung und was Jesus dazu sagen würde. Mir blieb die Luft weg und ich hatte das Gefühl, gleich umzufallen, denn was jetzt geschah fühlte ich als riesige Provokation. Jesus war ganz ruhig. Er saß auf einem Mauervorsprung – die Mauer trennt den Vorhof der Männer von dem der Frauen – schaute niemanden an, sondern bückte sich und zeichnete mit dem Finger irgendetwas in den feinen Sand, der sich immer wieder zwischen den Pflastersteinen ansammelt. Die wenigen Minuten, die es vielleicht gedauert hat, kamen mir vor wie eine Ewigkeit. Dann richtete er sich auf. Sein Blick, ganz ernst und doch voller Feuer, galt erst mir und streifte dann die Männer. Seine Stimme klang traurig, als er leise und langsam sagte: Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie. Jetzt werden sie auf Jesus los gehen, fuhr es mir durch den Kopf. Denn natürlich ist niemand ohne Sünde und trotzdem gilt das Gesetz. Aber es kam ganz anders. Jesus bückte sich wieder zur Erde und schrieb weiter. Und es blieb ruhig. Irgendwie, wer soll es fassen, hatte er die Männer betroffen gemacht.

Hatten sie verstanden, dass er wohl eine gewisse Sünde meinte? Erzählte man nicht von ihm, dass er einmal gesagt hat: Wer eine Frau auch nur mit Begierde anschaut, hat im Herzen schon die Ehe mit ihr gebrochen. Aber vielleicht merkten sie auch nur, dass es keinen Sinn haben würde, mit Jesus zu streiten, weil sie gegen ihn mit Worten immer den Kürzeren ziehen würden. Auf jeden Fall gingen sie weg, einer nach dem anderen. Das war aber gar nicht das Entscheidende für mich. Ich kann euch nicht sagen, wie mir mit einem Mal war. Eine solche Ruhe kam über mich; ich fühlte mich so leicht und frei. Ich konnte sogar seinem Blick standhalten, als Jesus mich wieder anschaute. Und er sagte, jetzt ganz sanft und immer noch sehr traurig: Frau, wo sind sie geblieben? Hat dich keiner verurteilt? Da warf ich mich ihm zu Füßen und konnte nichts mehr gegen die Tränen tun. Ich sagte: Keiner, Herr! Da sprach er zu mir: Auch ich verurteile dich nicht. – Steh auf und geh, sündige nicht mehr – halte dich an das Gesetz. Da küsste ich ihm die Füße, so glücklich war ich, stand auf und rannte, so schnell ich konnte, weg in den Bezirk der Frauen.

Da erst fiel mir ein: Was jetzt? Wohin sollte ich gehen? Eine Frau kam auf mich zu und nahm mich in den Arm. Es war Martha; ich kannte sie bis dahin noch nicht. Sie hatte alles durch das Tor beobachtet und meine Lage sofort erfasst. Sie führte mich zu einer Gruppe von Frauen. Da waren ihre Schwester Maria und Maria von Magdala, die Jesus von sieben Dämonen befreit hatte, Johanna, die Frau des Chuzas, die ihren Mann verlassen hatte, und Susanna. Aber das erfuhr ich alles erst später, auch dass sie ihr bisheriges Leben aufgegeben hatten, um mit Jesus zu ziehen. Martha sagte zu mir: „Du kannst bei uns bleiben, Maria und ich, wir haben mit unserem Bruder Lazarus in Betanien ein Haus. Bleib so lange bei uns, bis du weißt, was du jetzt tun willst.“

Das alles ist nun schon Jahre her. So kam es, dass ich mich den Frauen um den Rabbi Jesus anschloss. Alles steht mir wie gestern geschehen vor Augen, was ich damals und in den folgenden Monaten von Jesus gehört und mit ihm erlebt habe, sein Tod und seine wunderbare Auferweckung. Ich habe nicht mehr geheiratet. Ich lebe in einem Haus mit Waisenkindern und kümmere mich um sie. Sie sind für mich wie meine eigenen Kinder. Und wir alle in der Gemeinde verkünden das Evangelium von Jesus, dem Messias. Wir wollen so leben wie er, arm und voll Liebe zu Gott und unseren Mitmenschen. Zur Zeit haben wir Ruhe und sind sehr glücklich.

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Eine Klarstellung zum Ehebruch im mosaischen Gesetz von Karl Hermann Schelkle, Der Geist und die Braut, Düsseldorf 1977, S. 36 und folgende:
„Die Ehe ist rechtlicher Besitzstand. Der Mann begeht Ehebruch, wenn er in eine fremde Ehe einbricht, nicht schon, wenn er etwa mit einem unverheirateten Mädchen, einer Kriegsgefangenen oder Sklavin verkehrt. Die Frau begeht Ehebruch, indem sie ihre eigene Ehe durch den Verkehr mit einem anderen Mann bricht. Der Mann kann nur eine fremde, die Frau nur ihre eigene Ehe brechen.“

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