Rausch oder Ewigkeit – 27. Sonntag im Jahreskreis A

Aus dem Evangelium nach Matthäus, Kapitel 21
In jener Zeit sprach Jesus zu den Hohenpriestern und Ältesten des Volkes:
33 Hört noch ein anderes Gleichnis: Es war ein Gutsbesitzer, der legte einen Weinberg an, zog ringsherum einen Zaun, hob eine Kelter aus und baute einen Turm. Dann verpachtete er den Weinberg an Winzer und reiste in ein anderes Land.
34 Als nun die Erntezeit kam, schickte er seine Knechte zu den Winzern, um seinen Anteil an den Früchten holen zu lassen.
35 Die Winzer aber packten seine Knechte; den einen prügelten sie, den andern brachten sie um, einen dritten steinigten sie.
36 Darauf schickte er andere Knechte, mehr als das erste Mal; mit ihnen machten sie es genauso.
37 Zuletzt sandte er seinen Sohn zu ihnen; denn er dachte: Vor meinem Sohn werden sie Achtung haben.
38 Als die Winzer den Sohn sahen, sagten sie zueinander: Das ist der Erbe. Auf, wir wollen ihn töten, damit wir seinen Besitz erben.
39 Und sie packten ihn, warfen ihn aus dem Weinberg hinaus und brachten ihn um.
40 Wenn nun der Besitzer des Weinbergs kommt: Was wird er mit solchen Winzern tun?
41 Sie sagten zu ihm: Er wird diesen bösen Menschen ein böses Ende bereiten und den Weinberg an andere Winzer verpachten, die ihm die Früchte abliefern, wenn es Zeit dafür ist.
42 Und Jesus sagte zu ihnen: Habt ihr nie in der Schrift gelesen: Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, / er ist zum Eckstein geworden; / das hat der Herr vollbracht, / vor unseren Augen geschah dieses Wunder?
43 Darum sage ich euch: Das Reich Gottes wird euch weggenommen und einem Volk gegeben werden, das die erwarteten Früchte bringt.

Autorin:
KonnyKornelia Vonier-Hoffkamp, Pastoralreferentin in der Seelsorgeeinheit Remseck mit Ludwigsburg-Poppenweiler,
Gestaltpädagogin

 
Die Predigt:
Rausch oder Ewigkeit?

Liebe Leserin, lieber Leser,
Drohbotschaft hören wir heute anscheinend, nicht Frohbotschaft, was das Evangelium ja eigentlich sein will.
Und lange wurde dieses Evangelium gedeutet als Stabbruch über dem auserwählten Volk Israel, den Juden. Fein heraus waren dann wir Christinnen und Christen, denn dann wären ja folgerichtig wir das Volk, dem das Reich Gottes neu anvertraut wird, damit es die erwarteten Früchte bringt.
Mit dieser Deutung aber hätte diese Bibelstelle nicht mehr wirklich eine Bedeutung für uns, denn dann hätte sie sich ja schon erfüllt.
Wenn wir aber glauben, dass die Bibel geoffenbartes Wort Gottes ist und wenn wir glauben, das am Anfang das Wort war und unsere Welt aus dem Wort geschaffen wurde, dass das Wort also wirkmächtig ist, dann müssen wir dem Wort auch eine Bedeutsamkeit für unser Leben und für unsere Zeit zusprechen.
Das will ich im Folgenden versuchen.

Jesus erzählt hier ein Gleichnis, was vom Wort her meint: etwas gleicht einem anderen, der Gutsbesitzer, der einen Weinberg anlegt also dem Gott des Himmels, der die Erde, unsere Lebenswelt erschafft. Und gleich wie bei Gott soll es auch auf dieser Erde zugehen. Das heißt: das Ewige und die Maßstäbe des Himmels sollen auch hier im Zeitlichen bedeutsam sein.
In der hebräischen Bedeutung des Wortes „Gleichnis“ steckt das Wort „herrschen“. Und so stellt sich uns die Frage schon gleich: was herrscht in unserem Leben vor, was beherrscht unser Leben?

Warum aber das Bild des Weinbergs?
Viele Früchte werden in der Bibel erwähnt, doch nur diese eine Frucht, die Weintraube, kann ganz unterschiedliche Wirkung haben: sie kann süß schmecken – und darauf hofft der Weinbergbesitzer – , sie kann aber auch sauer sein und in ihrer Wirkung in einen Rauschzustand versetzen.

Und was meint Rausch?
Wer dem Rausch verfällt ist nicht mehr klar bei Sinnen, ist wie betäubt, ist taub, will etwas nicht hören, will vergessen und möglichst lange im Rauschzustand bleiben um nicht erwachen zu müssen und mit der Realität seines Seins konfrontiert zu werden. Denn dann müsste er aushalten, dass Fragen kommen: nach dem Woher und Wohin des Lebens, nach seinem Lebenssinn, nach Werten und Maßstäben, nach Gelingen und Misslingen, nach Tod und Ewigkeit. Und er müsste aushalten, dass viele dieser Fragen keine allgemein gültigen Antworten finden, dass jede und jeder sich diese Fragen anders beantwortet, dass manche Fragen ohne Antworten bleiben.
So ist es für die meisten von uns um vieles leichter, dem Rausch verfallen zu bleiben.
Und Rausch, das kann vieles bedeuten: im Rausch ist, wer Alkohol oder Drogen verfällt, im Rausch ist aber auch der, dessen Leben sich nur um Gewinn und Ansehen, um Arbeit, Macht, Leistung und Beweisbarkeit dreht. Im Rausch ist, wessen Leben allein bestimmt wird vom Logischen und Kausalen, wer Gesetz über Barmherzigkeit setzt, wer dem Machbarkeitswahn verfällt, wer das Ewige in dieser Zeit vergisst und die Macht der Liebe.
Und ist dieser Rauschzustand nicht überwiegend die Realität unseres Lebens: in der Familie, in der Schule, der Arbeitswelt, der Gesellschaft und auch der Kirche. Die von uns gesetzten Maßstäbe bestimmen uns inzwischen fast immer und nicht mehr umgekehrt. Kein Wunder, dass Burnout, Depression, Sucht immer häufiger Realitäten unseres Lebens sind, dass scheinbar immer mehr Menschen an diesem Leben verzweifeln.

Immer wieder aber gibt es leise, gelegentlich auch lautere Stimmen, die uns erinnern, dass wir Menschen mehr sind, nämlich Ebenbild Gottes, dass in unserem Inneren noch etwas anderes wohnt, eine Ahnung von der Ewigkeit. Diese Stimmen aber werden von uns, wie die Pachteintreiber des Gleichnisses, häufig zum Schweigen gebracht durch noch mehr Lärm, noch mehr Hektik, noch mehr Termine, noch bessere Leistung. Wir wollen sie nicht hören; sie passen nicht ins Konzept, nicht in unsere Welt der Machbarkeit und Planbarkeit.
Manchmal aber können wir gar nicht mehr anders als sie zu hören, wenn etwas über uns hereinbricht, das wir nicht eingeplant, nicht abgesichert haben: Trennung, Arbeitsverlust, Krankheit, Tod.
Dann befinden wir uns in einer Krise.

Dann kommen diese Stimmen mit Macht und fragen nach dem Sinn unseres Lebens, nach dem, was uns trägt, was uns hoffen lässt, was uns lieben lässt – gegen alle Vernunft und Erfahrung.

Manche gehen an diesen Krisen kaputt, zerbrechen daran, verfallen erst recht dem Rausch, verlieren auch die letzte Spur von Glauben und Hoffnung, die vielleicht noch in ihnen war. Andere wachen auf, versuchen, dem scheinbar Sinnlosen einen Sinn abzugewinnen und erfahren: im Durchschreiten der Krise bin ich ein anderer/ eine andere geworden, habe ich Neues entdeckt, sind andere Dinge mir wichtig geworden, bekam mein Leben einen neuen Sinn. Und wer den Verlust eines nahen Angehörigen verschmerzen musste, bekommt eine Ahnung, ja fast schon eine Gewissheit, dass mit dem Tod nicht alles aus ist, dass die Verbindung über den Tod hinaus Bestand hat, ewig ist.

Und so birgt jede Krise eine Chance. Es geht im heutigen Gleichnis nicht darum, dass andere diesen Weinberg bekommen, sondern dass wir andere werden.

Welche Pacht also möchte Gott von uns? Welche Frucht sollen wir bringen?
Vielleicht hilft uns da der Schluss des Gleichnisses noch ein wenig weiter.
Die Bauleute, die an dieser Welt mitbauen, haben einen Stein verworfen, als unnütz abgetan, wird da erzählt. Und vielleicht ahnen wir inzwischen, welcher Stein gemeint ist: die Erinnerung an die andere, die ewige Seite der Welt, die Ahnung, dass Glaube, Hoffnung, Liebe und Erlösung das Fundament unseres Lebens sein müssen, damit unser Leben gelingt.
Wer ein Leben ohne diesen Stein baut, hat keinen Eckstein, kann seinem Leben damit keine Form und keine Richtung geben, so sagt das Gleichnis.
Und interessanterweise ist eine Bedeutung des hebräischen Wortes für „Ecke“ auch „Flügel“ oder Angel, Angelus, der Engel steckt darin. So ist mit dem Eckstein vielleicht auch gemeint, dass ich erkennen soll, was mein Leben wirklich ausmacht, was wirklich zählt im Leben, was nach meinem Tod vor meinem Gott noch Bestand hat, was mich beflügelt und erhebt.
Und das kann ich spüren in all meinem Tun und in jeder Begegnung, die ich habe: dort, wo ich mir wünsche, dass eine Begegnung, ein Zustand ewig anhält bin ich im Lebensfluss, fließen meine Energien, und so kann ich mich in allem fragen: tut mir diese Begegnung gut oder setzt sie mich unter Druck, bin ich erfüllt in meiner Arbeit oder eine austauschbare Nummer, habe ich gespürt, dass da zwischen uns etwas hin- und hergeht, dass wir offen füreinander waren oder war alles dicht, abgeschlossen, hermetisch verriegelt, damit kein anderer dahinter sieht?
Gott wünscht sich unsere Offenheit. Er wünscht sich, dass wir fragen und dabei Offenheit aushalten. Er wünscht sich, dass wir uns begegnen und dabei Offenheit aushalten. Er wünscht sich, dass wir in dieser Zeit sind, uns engagieren und doch die Offenheit aushalten, dass jederzeit das Ewige in sie einbrechen kann, dass das Zeitliche ohne das Ewige nicht denkbar ist. Denn für uns Menschen besteht die einzige Möglichkeit uns Gott zu nähern darin, dass wir im Leben Ewigkeit suchen. Und oft erscheint uns dieser Weg zur Ewigkeit unterschwellig, absichtslos, wie ein Traum in der Nacht. Wir müssen es nicht machen, wir dürfen es uns schenken lassen. Das einzige, was wir dafür brauchen, das wusste schon König Salomo, ist ein hörendes Herz.

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