Hirtendienst an der modernen Gesellschaft? – 11. Sonntag im Jahreskreis A

Aus dem Evangelium nach Matthäus, Kapitel 9 – 10
In jener Zeit,
9,36 als Jesus die vielen Menschen sah, hatte er Mitleid mit ihnen; denn sie waren müde und erschöpft wie Schafe, die keinen Hirten haben.
37 Da sagte er zu seinen Jüngern: Die Ernte ist groß, aber es gibt nur wenig Arbeiter.
38 Bittet also den Herrn der Ernte, Arbeiter für seine Ernte auszusenden.
10,1 Dann rief er seine zwölf Jünger zu sich und gab ihnen die Vollmacht, die unreinen Geister auszutreiben und alle Krankheiten und Leiden zu heilen.
2 Die Namen der zwölf Apostel sind: an erster Stelle Simon, genannt Petrus, und sein Bruder Andreas, dann Jakobus, der Sohn des Zebedäus, und sein Bruder Johannes,
3 Philippus und Bartholomäus, Thomas und Matthäus, der Zöllner, Jakobus, der Sohn des Alphäus, und Thaddäus,
4 Simon Kananäus und Judas Iskariot, der ihn später verraten hat.
5 Diese Zwölf sandte Jesus aus und gebot ihnen: Geht nicht zu den Heiden und betretet keine Stadt der Samariter,
6 sondern geht zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel.
7 Geht und verkündet: Das Himmelreich ist nahe.
8 Heilt Kranke, weckt Tote auf, macht Aussätzige rein, treibt Dämonen aus! Umsonst habt ihr empfangen, umsonst sollt ihr geben.

Autorin:
J. Schnitzler-Forster 2016Jutta Schnitzler – Forster, Gemeindereferentin in Ulm, tätig in der Gemeinde, in der Klinikseelsorge und in der Beratung

 
Die Predigt:
Hirtendienst an der modernen Gesellschaft?

Liebe Leserin, lieber Leser,
in der Bibel gibt es Sätze, da meint man, die sind besonders für uns heutige Menschen geschrieben. Erstaunlich, dass die Menschen damals schon genauso erschöpft und müde waren, wie wir es heute mit unserem verdichteten Alltag sind. Jesus nahm das wahr und hatte Mitleid. Er reagierte mit Gefühl. Er stellte fest, den Menschen fehlen die Hirten und damit die Orientierung.

Das Bild des Hirten ist positiv besetzt. Ein Hirte beschützt. Er kümmert sich und führt die Herde. Die biblischen Hirtengeschichten sind uns vertraut. Aber passen sie noch in unsere Zeit? Viele Menschen wollen nicht mehr einer Autorität „hinterherlaufen“. Sie wollen eigene Wege gehen, die Richtung selber bestimmen. Sie meinen selber zu wissen, was gut für sie ist. So „tickt“ eine moderne oder postmoderne Gesellschaft. Das hat Folgen. Den eigenen Weg zu finden, sich in einer auf Erfolg und Leistung ausgerichteten Gesellschaft zu behaupten ist anstrengend. Man muss ständig am Ball bleiben und sich mit vielem auseinandersetzten. Viele Möglichkeiten bedeuten, dass man sich oft entscheiden muss, auch wenn man sich nicht sicher ist, was wirklich das Richtige ist. Das alles kostet Zeit und Kraft. Die immer größer werdenden Lebensräume, die unendlichen Möglichkeiten, die weiten Wege, die wir zurücklegen, „das globale Dorf“, sind Segen und Fluch zugleich.

Können wir das Rad zurückdrehen? Sicher nein. Aber wir sollten uns darüber verständigen, wie wir leben wollen, wie geschlossen oder offen, wie verdichtet oder entspannt, wie fair und nachhaltig? Wir sollten den Mut haben zu fragen, was uns wirklich erfüllt, und da anders leben, wo wir erkannt haben, dass die Lebensqualität und die Menschlichkeit auf der Strecke bleiben. Hier kann jede und jeder Ideengeber und damit Vorbild oder „Hirte“ sein.

Die Gesellschaft und unser globales Zusammenleben brauchen immer wieder Orientierung. Wenn wir schauen, welche Persönlichkeiten derzeit große Nationen führen, bekommt man manchmal schon Angst. Gefährlich wird es da, wo Macht missbraucht wird, und die Grundrechte von Menschen nicht geachtet werden.

Wenn wir auf die Apostel blicken, die Jesus ausgewählt hat, um in seiner Nachfolge zu handeln, dann sehen wir, dass es Menschen mit ihren Stärken und Schwächen waren. Petrus zum Beispiel, der seinen Meister verrät und dann doch den Aposteln vorsteht. Oder Thomas, der zweifelt, um später dann viele Menschen mit der Botschaft Jesu anzustecken. Papst Franziskus ist als Kirchenführer von vielen, gerade auch von nicht christlichen Mitmenschen geschätzt und anerkannt. Er schenkt Hoffnung auf eine bessere Zukunft, auf mehr Gerechtigkeit. Aber sind die Kirchen heute noch in der Lage, den Hirtendienst an der Gesellschaft auszuüben? Die pastoralen Dienste und Ämter der Kirchen gehen ja auf das Hirtenamt zurück.

Wohl eher nicht. In der aktuellen Kirchensituation zeigen sich gleich zwei Probleme: es gibt immer weniger „Schafe“, die in der „Kirchenherde“ beheimatet sind und zeitgleich gehen den Kirchen auch die „Hirten“ aus. Auffallend ist, dass sich die erschöpft und müde fühlen, die den Betrieb am Laufen halten. Das ist traurig, denn wer erschöpft und müde ist, hat keine Kraft und keine Ausstrahlung.

In einer Gesellschaft ist es wichtig, dass es neben der Politik auch andere gesellschaftliche Kräfte und Gruppen gibt, die etwas zum Zusammenleben der Menschen beitragen. Die Kirchen und die Religionen haben hier zweifelsohne ein großes Potential. Religionen können Menschen etwas über die materiellen Bedürfnisse hinaus geben. Sie geben unzähligen Menschen Halt und Orientierung. Sie stiften Gemeinschaft. Sie haben die Schwachen im Blick.

Die Ernte ist groß, um mit einer Feststellung aus dem Evangelium zu schließen. Mit gemeinsamen Anstrengungen und „guten Hirten“ werden wir Wege finden.

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2 Antworten auf Hirtendienst an der modernen Gesellschaft? – 11. Sonntag im Jahreskreis A

  1. clara a sancta abraham sagt:

    „8 Heilt Kranke, weckt Tote auf, macht Aussätzige rein, treibt Dämonen aus! Umsonst habt ihr empfangen, umsonst sollt ihr geben.“.
    Das tun viele Menschen, vor allem Frauen – und diese meist mit der Initiation durch eine Form der Berufung.
    Auch wenn sie dafür bezahlt werden – der Dienst als Flüchtlingshelferin, als Krankenschwester, in der Caritas, in der Sozialarbeit, in den verschiedensten therpeutischen Berufen, in der Schule… kostet Kraft, die nicht mit Geld abgegolten werden kann.
    In diesen Bereichen sind auch wir als Frauen „Hirten“ (bewusst ohne Binnen I) tätig – ergänzend und bereichernd zu unseren oft erschöpft wirkenden Hirten der Kirche.
    Wenn unser Tun auf den Quellgrund unserer Hoffnung (Psalm 84) hinweist, dann sind wir lebende, sich im Alltag bewährende Menschen, die glaubwürdig auf Gott weisen – weil wir wissen, Er ist an unserer Seite, Er gibt uns Kraft. Dann wird auch die „Herde“ wieder größer!!
    Die besten Gespräche in der Krankenhausseelsorge habe ich vor! dem Eingang zur Kapelle.

    * schenken wir uns Zeit zum Kraft holen bei Gott
    * beten wir für – und miteinander, dass wir gemeinsam als Hirten und Hirtinnen die uns von Gott anvertrauten begleiten und begeistern, jede/jeder in den möglichen Bereichen

  2. Mayer, Richard sagt:

    Danke für die Gedanken über die fehlenden Hirten!
    Ich glaube, daß es viele nicht beauftragte „Hirtinnen“ in der Kirche gibt: als Mutter in den Familien. als Partnerin in den Beziehungen.
    Wann bekommen die Frauen ihren Platz in der Kirche, den sie schon immer haben?
    Gut, daß es die Frauenpredigtreihe gibt!

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