Man sieht nur mit dem Herzen gut – 31.Sonntag im Jahreskreis C

Aus dem Evangelium nach Lukas, Kapitel 19
1 Jesus kam nach Jericho und ging durch die Stadt.
2 Dort wohnte ein Mann namens Zachäus; er war der oberste Zollpächter und war sehr reich.
3 Er wollte gern sehen, wer dieser Jesus sei, doch die Menschenmenge versperrte ihm die Sicht; denn er war klein.
4 Darum lief er voraus und stieg auf einen Maulbeerfeigenbaum, um Jesus zu sehen, der dort vorbeikommen musste.
5 Als Jesus an die Stelle kam, schaute er hinauf und sagte zu ihm: Zachäus, komm schnell herunter! Denn ich muss heute in deinem Haus zu Gast sein.
6 Da stieg er schnell herunter und nahm Jesus freudig bei sich auf.
7 Als die Leute das sahen, empörten sie sich und sagten: Er ist bei einem Sünder eingekehrt.
8 Zachäus aber wandte sich an den Herrn und sagte: Herr, die Hälfte meines Vermögens will ich den Armen geben, und wenn ich von jemand zu viel gefordert habe, gebe ich ihm das Vierfache zurück.
9 Da sagte Jesus zu ihm: Heute ist diesem Haus das Heil geschenkt worden, weil auch dieser Mann ein Sohn Abrahams ist.
10 Denn der Menschensohn ist gekommen, um zu suchen und zu retten, was verloren ist.

Autorin:
_MG_7932-web Birgit DroesserBirgit Droesser, Pastoralreferentin, war tätig in der Gemeindepastoral, in der Klinikseelsorge und im Theol. Mentorat Tübingen

 
Die Predigt:
Man sieht nur mit dem Herzen gut

Liebe Leserin, lieber Leser,
„Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.“ Wenn wir diesen bekannten Satz aus Saint-Exupéry´s Kleinem Prinzen hören, brauchen wir nicht lange zu überlegen, was gemeint sein könnte. Der Satz ist sofort, unmittelbar zu verstehen. Unser Herz ist einerseits neben unserem Gehirn das wichtigste Organ, das uns am Leben erhält, und darüber hinaus die Mitte unserer Person, unser Innerstes: der Sitz von Liebe und Hass, Freude, Trauer und Schmerz. Unsere persönlichsten Gefühle und Gedanken, hoffentlich nicht losgelöst voneinander, unser Wollen, unsere Sehnsüchte und Hoffnungen, unser ganzes Empfinden bilden eine Einheit und machen zusammen mit dem Gewissen unsere Person aus. Beide Bedeutungen spielen eng ineinander. Freudige Erregung lässt unser Herz schneller schlagen. Und die Medizin kennt das Broken-Heart-Syndrom. An gebrochenem Herzen kann man im äußersten Fall sogar sterben. Das Herz ist auch der Ort der Gotteserfahrung: Höre Israel, du sollt den Herrn, deinen Gott, lieben mit deinem ganzen Herzen …

In der knappen und doch so genauen Erzählung von Zachäus erleben wir mit, wie Jesus mit dem Herzen sieht. Durch die Einzelheiten werden wir direkt in das Geschehen mit hinein genommen. Zur besseren Einordnung ergänze ich aus dem Zusammenhang: Mit einer großen Gefolgschaft ist Jesus auf dem Weg nach Jerusalem und zieht durch die alte Oasen- und Palmenstadt Jericho. Euphorie liegt in der Luft: Jetzt wird die Königsherrschaft Gottes endlich anbrechen, so sagen sich viele seiner Jüngerinnen und Jünger, – doch Jesus weiß, was das für ihn bedeutet.

Von überall her kommen die Leute zusammen gelaufen. Wir können uns die Zurufe und den Lärm vorstellen. Jesus aber erleben wir ganz konzentriert und bei sich, er hört auf sein Innerstes, auf sein Herz. Unter den vielen Menschen ist auch ein klein gewachsener Mann. Gut genährt und wohl gekleidet steht er vor uns, ein Zöllner, aber keiner von den „kleinen“ Steuereintreibern, sondern der Oberzöllner, der oberste Zollpächter. Im Auftrag der römischen Besatzungsmacht treibt der die Steuern ein, die auf den Personen und Grundstücken liegen, und ist für die Ein- und Ausfuhrzölle der Waren verantwortlich. Zwei Gründe sind es, die ihn bei der Bevölkerung verhasst machen. Da er dem Staat eine festgesetzte Geldsumme abführen muss ohne Entlohnung, liegt es in der Natur der Sache, dass er mehr Geld einnehmen muss als abzugeben ist. Wieviel – das ist ihm überlassen und, wie man sich vorstellen kann, eine große Versuchung. Zachäus jedenfalls ist auf diese Weise sehr reich geworden, ein Grund für den Hass seiner Mitmenschen.* Dazu kommt noch ein Zweites in religiöser Hinsicht. Der Oberzöllner arbeitet für den Kaiser und bricht damit das jüdische Gebot, Gott allein als König anzuerkennen. Er schließt sich auf diese Weise selbst aus der jüdischen Gemeinschaft aus. Reich, aber religiös und sozial isoliert, so wird er in der Erzählung vorgestellt. Kein schönes Leben; Dorothee Sölle würde sagen: Er stirbt langsam den „Tod am Brot allein“, würde sich nicht in seinem Herzen doch ein Funke regen. Sein Wunsch, Jesus zu sehen, ist mehr als nur Neugier, denn es heißt ja später, dass er ihn freudig in sein Haus aufnimmt. Zachäus läuft schnell ein Stück voraus und klettert auf einen Maulbeerfeigenbaum, um dort, geschützt vor den Blicken der Menge, dabei zu sein, wenn Jesus kommt.

Jesus kommt mit seinen Jüngerinnen und Jüngern des Weges. Und weil er ein Mann ist, der nicht nur mit den Augen, sondern mit dem Herzen sieht, entdeckt er unter den vielen Menschen ausgerechnet Zachäus auf seinem Baum. „Zachäus armer reicher Mann, dein Heiland sieht dich an“ – heißt es in einem biblischen Spiellied. Jesus schaut ihn nicht nur an, er sieht auch, was dieser Mensch braucht, keine Standpauke, keine Ermahnung, keine Bußpredigt. Jesus ruft ihn schlicht herunter und lädt sich bei ihm ein. Er nimmt ihn als Gastgeber in Anspruch; er lässt sich von ihm etwas geben und zieht damit jetzt seinerseits den Hass des Volkes auf sich: Er ist bei einem Sünder eingekehrt. Jesus wagt ein großes Maß an Vertrauen, wenn wir davon ausgehen, dass er den Ausgang der Entwicklung nicht vorher kennt.

Von Zachäus heißt es, dass er voll Freude Jesus und – so ist anzunehmen, seine Begleiter und Begleiterinnen – bei sich aufnimmt. Das ganze Haus ist in Bewegung. Ein großes Festmahl wird in Windeseile zubereitet, denn es geschieht ein echtes Wunder, wie es im normalen Leben nur sehr selten gelingt. Zachäus schlüpft aus seiner Haut, er durchlebt eine innere Wandlung; er wird ein neuer Mensch mit einem Gefühl für die Armen – die Hälfte seines großen Vermögens will er ihnen geben und das zu viel Abgepresste will er vierfach zurückerstatten. Jesus mit seiner Leidenschaft für Gott und seinem liebevollen Gefühl auch für die inneren Nöte der Menschen hat Zachäus und sein ganzes Haus mit sicherem Gespür ins Heil zurückgeholt. Er erklärt auch Zachäus zu einem Sohn Abrahams, ihn, der trotz seines Berufes mit dem er gegen die Tora verstößt, ein Mensch nach Gottes Willen geworden ist.

In einem Kirchenlied (Alles Leben ist dunkel) sagt es Marie Luise Thurmair so: „Mitten in Jesu Worten, mitten in Jesu Taten schlägt dies Herz für die Welt. Gott hat ein Herz für den Menschen. Jesus ist dieses Herz.“ Geben wir die Hoffnung nicht auf, dass Jesus auch heute Menschen heilvoll verändern will und kann, diejenigen, unter denen die Völker leiden, nicht zuletzt aber uns selbst. Amen

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* „Bei den jüngsten Ausgrabungen im herodianischen Jericho hat man am Westausgang der Stadt die Überreste eines Bürgerhauses freigelegt. Die dort gefundenen prunkvollen Mosaikböden lassen uns heute noch den Wohlstand und den verschwenderischen Luxus dieser Klasse ahnen.“ Gerhard Kroll, Auf den Spuren Jesu, 10.Aufl. 1988, S.292

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Eine Antwort auf Man sieht nur mit dem Herzen gut – 31.Sonntag im Jahreskreis C

  1. Walter sagt:

    …arm und reich…,“ gut und böse ?“…
    da ist der “ goldene Käfig “ ( der Verlustangst ),
    da ist SEINE „Seligpreisung“ der Armut…
    Nur ER weiss , und Er gibt, und Er nimmt- zu unserem Heil.
    Zachäus durfte „ausbrechen “ aus der Angst…

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