Vom Mehrwert der Liebe – Fronleichnam C

Aus dem Evangelium nach Lukas, Kapitel 9
In jener Zeit
11b redete Jesus zum Volk vom Reich Gottes und heilte alle, die seine Hilfe brauchten.
12 Als der Tag zur Neige ging, kamen die Zwölf zu ihm und sagten: Schick die Menschen weg, damit sie in die umliegenden Dörfer und Gehöfte gehen, dort Unterkunft finden und etwas zu essen bekommen; denn wir sind hier an einem abgelegenen Ort.
13 Er antwortete: Gebt ihr ihnen zu essen! Sie sagten: Wir haben nicht mehr als fünf Brote und zwei Fische; wir müssten erst weggehen und für all diese Leute Essen kaufen.
14 Es waren etwa fünftausend Männer. Er erwiderte seinen Jüngern: Sagt ihnen, sie sollen sich in Gruppen zu ungefähr fünfzig zusammensetzen.
15 Die Jünger taten, was er ihnen sagte, und veranlassten, dass sich alle setzten.
16 Jesus aber nahm die fünf Brote und die zwei Fische, blickte zum Himmel auf, segnete sie und brach sie; dann gab er sie den Jüngern, damit sie diese an die Leute austeilten.
17 Und alle aßen und wurden satt. Als man die übrig gebliebenen Brotstücke einsammelte, waren es zwölf Körbe voll.

Autorin:
IMG_9831[1]Marita Rings – Kleer, Gemeindereferentin in der Gemeinde St. Josef, Saarbrücken, Bistum Trier

 
Die Predigt:
Vom Mehrwert der Liebe

Liebe Leserin, lieber Leser,
wir alle kennen den Satz „Darf es etwas mehr sein?“ Meistens sind es die Angestellten hinter den Frische-Theken, die uns beim Abwiegen von Wurst, Fleisch oder Käse genau diese Frage stellen. Und wir antworten darauf ganz höflich: „Ja, bitte“ – und schon landet das zusätzliche Stück Käse oder die Scheibe Wurst auf dem bestellten Häufchen. Vor vielen Jahren gab es eine Radio-Sendung mit dem gleichen Thema: „Darf es etwas mehr sein?“ fragte da die Metzgersfrau Else Strattmann die Kunden und fing dann an, über Gott und die Welt zu lamentieren. Diese frühe Form der Comedy von der bekannten Autorin Elke Heidenreich war tatsächlich etwas mehr: etwas mehr Lachen, etwas mehr Freude, etwas mehr Blick in den Spiegel und etwas mehr Entlarven der eigenen Lebenseinstellung.

„Darf es etwas mehr sein?“ ist auch der Ansatz, den Papst Franziskus im jetzigen „Heiligen Jahr der Barmherzigkeit“ verfolgt. Mit diesem Heiligen Jahr will er uns auf das „Mehr“ in unserer Glaubenspraxis hinweisen. Dabei wählt er sehr klug die Werke der Barmherzigkeit aus, um uns daran zu erinnern, was wir Christen als Mehrwert in die Gesellschaften dieser Welt einbringen können. Und beim Blick auf die Werke der Barmherzigkeit, die im 25. Kapitel des Matthäusevangeliums in der Gerichtsrede beschrieben werden, stellen wir fest, dass es nur sechs Werke sind: Hungrige speisen, Durstigen zu trinken geben, Fremde aufnehmen, Nackte bekleiden, Kranke besuchen und zu den Gefangenen gehen. Es darf etwas mehr sein, sagte sich dann Kirchenvater Lactanius dann um 300 n. Chr. Und fügte ein siebtes Werk hinzu: Tote begraben. Doch auch das war noch nicht genug. Auch Sterbende sollten besucht werden. Damit aber die heilige Zahl „sieben“ blieb, wurden das siebte und achte Werk der Barmherzigkeit zusammengefasst. Später kamen zu diesen körperlichen Werken noch die geistigen Werke der Barmherzigkeit hinzu und so wurden aus einmal sieben gleich zweimal sieben. Es durfte also tatsächlich etwas mehr Barmherzigkeit sein.

Doch dann entwickelte sich ein ganz seltsames Phänomen: solange alle gleich arm und bedürftig waren, waren die Menschen auch gleich barmherzig. Ich erinnere mich noch an die Dorfgemeinschaft, in der ich als Kind aufwuchs: jeder half jedem, nach seinen Möglichkeiten. Jeder war jedem gegenüber barmherzig. Wenn jemand aus dem Dorf krank war, gingen viele hin und besuchten den kranken Menschen, war jemand gestorben, gingen alle mit, um diesen Menschen zu beerdigen. Und wenn jemand nicht genug Brot im Haus hatte, gaben andere von ihrem Brot ab. Und wenn jemand im Sterben lag, lösten sich Menschen aus der Nachbarschaft in der Krankenwache am Bett ab. Die Werke der Barmherzigkeit wurden ganz konkret gelebt. Doch dann verschwand diese Bedürftigkeit, bis auf ein paar Restbestände. Die Menschen hungerten nicht mehr und für die Kranken, Sterbenden und Gefangenen waren die Profis von Kirche und Caritas da. Und mit dem Verschwinden der ganz konkreten Barmherzigkeit direkt vor unseren Augen und Türen ging auch der Mehrwert unseres christlichen Lebens verloren. Denn dieser liegt eben nun mal in der ganz konkret gelebten Nächstenliebe.

Aber Rettung nahte: denn die Globalisierung ließ uns neue Menschen entdecken, die dringend auf unsere Barmherzigkeit angewiesen waren: die Hungernden, Dürstenden, Nackten, Kranken, Gefangenen, Sterbenden und Toten dieser Welt brauchten unser offenes Herz wieder. Aber wir nannten es nun Solidarität und alle halfen mit dem, was der Geldbeutel hergab. Doch das Markenzeichen „christlicher Mehrwert“ ging verloren, Humanität war angesagt, denn da konnten alle mit, Christen und Nichtchristen, Glaubende und Nichtglaubende.

Auch wenn unsere ungerechten Wirtschaftssysteme immer mehr Bedürftige hervorbringen, an Hilfe auf der anderen Seite mangelt es nicht. Viele Menschen engagieren sich auf den vielen Feldern der Not und die große Hilfswelle bei der Aufnahme und Integration von Flüchtlingen im vergangenen Jahr zeigt: viele Menschen sind bereit zu helfen, es ist ihnen ein großes Anliegen. Oder das große Erdbeben im Frühjahr 2015 in Nepal: Die Spendenbereitschaft war überwältigend. So viel Hilfe, das könnte doch reichen, mag so mancher meinen. Und das stimmt auch. Warum dann also noch der permanente Aufruf zur Barmherzigkeit in diesem Jahr?

Weil es eben etwas mehr sein darf! Und was das ist, sagt uns Lukas in seinem Evangelium: Es ist nicht nur das Brot, das wir geben, es ist nicht nur die Spende, die wir überweisen, es ist Segen, der auf unserer Hilfe liegt und dieser Segen kommt aus unserer christlichen Haltung, aus der Haltung der Liebe. Die Jünger wollen die Menschen in die umliegenden Dörfer schicken, damit sie dort etwas essen können. Doch Jesus sagt: „Nein, nicht die Profis sollen helfen: gebt i h r ihnen zu essen.“ Sie aber sagen: „Wir haben nur fünf Brote und zwei Fische, wir müssten also kaufen gehen.“ Doch dann zeigt Jesus ihnen, dass ihr Tun, ihre Ideen, nur humanitäre Hilfe sind, gut, um den Hunger des Tages zu stillen. Aber der Segen Gottes, dieses „Mehr“, das Jesus ins Spiel bringt, ist entscheidend. Es macht alle satt.

Und genau dieser Segen wird auch in der Barmherzigkeit deutlich: Unser Herz, die Liebe, die die Barm-herz-igkeit verschenkt, ist eben dieser Mehrwert, der die Menschen wirklich satt macht. Und zwar ganz konkret und nicht nur im übertragenen Sinn. Wir, die wir hier sind, kennen keinen Hunger, keinen Durst mehr, wissen nicht, wie es ist, wenn man nackt ist, weil man kein Geld für Kleidung hat oder keine Medikamente gegen selbst leichte Erkrankungen. Vielleicht kennen wir ja diese Nöte im übertragenen Sinn, Hunger und Durst nach Liebe und Mitmenschlichkeit z.B. Doch für Aber-Millionen Menschen sind die Nöte, die Jesus benennt, ganz konkreter Alltag und deshalb ruft der Papst auch heute noch ganz konkret zur Barmherzigkeit auf. Und er will, dass es etwas „Mehr“ ist, wenn wir tun und geben. Er will, dass wir unserem Christsein auch und vor allem in der Barmherzigkeit ein Gesicht verleihen, so wie wir uns als Christen heute, am Fronleichnamstag, öffentlich zu dem bekennen, der aus Liebe zu uns sogar sein Leben gegeben hat. Mehr geht nun wirklich nicht.

Dieser Beitrag wurde unter Predigten veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Eine Antwort auf Vom Mehrwert der Liebe – Fronleichnam C

  1. Walburga Rüttenauer-Rest sagt:

    Vielen Dank für diese originelle Predigt. Da ich mit dem Fronleichnamsfest wenig anfangen kann, war ich gespannt auf die Predigt. Aus meinem Schmunzeln wurde bald ein leises Lachen. Ja, es darf etwas mehr sein! Dann macht diakonisches Handeln Spaß. Dass hatte ich heute nötig!!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

41 + = 47

Du kannst folgende HTML-Tags benutzen: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>