Vom Unkraut im Weizen – 16. Sonntag im Jahreskreis A

Aus dem Evangelium nach Matthäus, Kapitel 13
24 Und Jesus erzählte den Menschen, die sich um ihn versammelt hatten, noch ein anderes Gleichnis: Mit dem Himmelreich ist es wie mit einem Mann, der guten Samen auf seinen Acker säte.
25 Während nun die Leute schliefen, kam sein Feind, säte Unkraut unter den Weizen und ging wieder weg.
26 Als die Saat aufging und sich die Ähren bildeten, kam auch das Unkraut zum Vorschein.
27 Da gingen die Knechte zu dem Gutsherrn und sagten: Herr, hast du nicht guten Samen auf deinen Acker gesät? Woher kommt dann das Unkraut?
28 Er antwortete: Das hat ein Feind von mir getan. Da sagten die Knechte zu ihm: Sollen wir gehen und es ausreißen?
29 Er entgegnete: Nein, sonst reißt ihr zusammen mit dem Unkraut auch den Weizen aus.
30 Lasst beides wachsen bis zur Ernte. Wenn dann die Zeit der Ernte da ist, werde ich den Arbeitern sagen: Sammelt zuerst das Unkraut und bindet es in Bündel, um es zu verbrennen; den Weizen aber bringt in meine Scheune.

Autorin:
Sabine Mader 2Sabine Mader, Pastoralreferentin in Esslingen, verheiratet, zwei Kinder,
Mitglied im Diözesanrat, Delegierte bei der Auftaktveranstaltung zum Dialogprozess der Deutschen Bischofskonferenz

 
Die Predigt:
Vom Unkraut im Weizen

Liebe Leserin, lieber Leser,
es gibt doch nichts Schöneres als nach einem langen Arbeitstag am Sofa zu lümmeln oder sich aufzuraffen, ins Kino zu gehen und einen Film zu gucken. Und wenn man tagsüber schon genug Probleme gewälzt hat, dann sind natürlich die Filme bevorzugt, in denen das Gute triumphiert: die nette, bescheidene junge Frau wird glücklich mit dem Märchenprinzen während das Biest enttäuscht alleine bleibt. Oder die Betrüger wandern ins Gefängnis während die Ehrlichen befördert werden. Beliebt werden auch immer mehr Filme, in denen in der Kirche böse Verschwörer ihr Spiel treiben und die ehrlichen Gläubigen betrügen und für dumm verkaufen, was dann natürlich vom Helden des Filmes vereitelt wird. Man kann bei diesen Filmen trotz aller Spannung unterwegs zufrieden heim gehen und guten Gefühls einschlafen. Das Weltbild ist wieder in Ordnung, weil keinerlei Zweifel daran besteht, wer gut und böse ist. Und auch der Weg, das Gute siegen zu lassen, ist meist schon vorgezeichnet. Viele Gleichnisse aus der Bibel können auf diese Weise gelesen werden: sie sind Balsam auf unsere Seele – wir, die wir uns bemühen, werden am Ende belohnt, gut und böse sind leicht erkennbar, unsere Handlungsoptionen auf den ersten Blick sehr klar.

Aber so einfach ist das mit unserem heutigen Gleichnis nicht. Ich kann mir die Ausgangssituation gut in einem Epos verfilmt vorstellen: eine redliche Familie wird von ihrem neidvollen Nachbar immer wieder mit bösen Attentaten verfolgt. Hat doch Unkraut zu säen auf dem Feld des Nachbarn durchaus auch außerbiblische Zeugnisse. „Taumellolch“ heißt dieses Kraut, das in den Erststadien Getreide zum Verwechseln ähnlich sieht und erst reif optische Unterschiede entwickelt. Ich sehe im Film die armen ehrlichen Bauern schon vor mir: im Schweiße ihres Angesichts reißen sie das Unkraut aus, um über die böse Absicht der Nachbarn zu triumphieren. Wahrscheinlich helfen noch alle guten Nachbarn mit, um der Ehrlichkeit zum Sieg zu verhelfen.
Aber mein innerer Film reißt an dieser Stelle, spätestens da, wenn im Gleichnis der Gutsherr die Knechte davon abhält, das Unkraut auszureißen und anordnet, bis zur Ernte zu warten. Dieses Drehbuch hätte in Hollywood sicher keine Chance, vielleicht gerade noch in einem französischen Film…

Der heilen Situation des einfachen Weltbildes wird hier eine gründliche Absage erteilt: es ist gar nicht so einfach, zwischen gut und böse zu unterscheiden, will man das Böse ausreißen, kann auch das Gute mit kaputt gehen. Und mal ganz ehrlich: es ist im richtigen Leben auch nicht immer alles schwarz oder weiß, gibt es doch so viele Grautöne in dieser Welt. Das Gute und das Böse sind oft so nah beieinander, dass sie schwer zu trennen sind. Entgegen allen bisher gebräuchlichen Maßnahmen schlägt der Gutsherr in unserem Gleichnis einen ganz neuen Lösungsweg vor: er mahnt, zu warten und sieht einen anderen Zeitpunkt als den richtigen an, Gutes und Böses zu trennen – den Zeitpunkt der Ernte. Erfahrene Bibelleser entdecken hier den apokalyptischen Anklang: auf Erden wächst das Getreide dicht neben dem Unkraut, erst wenn die Welt vollendet ist, wenn Gott als Richter wiederkommt, wird das Unkraut vernichtet.

Jetzt wird es für mich langsam zur Gewissheit: dieser Film wird nie gedreht werden: eine Mahnung zu warten macht sich nicht gut im Handlungsbogen. Und erst recht nicht, die Trennung von gut und böse einer anderen geheimnisvollen Macht zu überlassen. Es ist in der heutigen Zeit mehr als unpopulär zu sagen, dass nicht alles hier auf Erden machbar ist. Wir haben unseren Moralcodex entwickelt, Justiz und Zivilcourage entwickelt; da fällt es schwer, das endgültige Urteil Gott zu überlassen. Dazu braucht es eine Menge Vertrauen und Geduld.
Langsam beginne ich auch die positive Botschaft dieses Gleichnisses zu schätzen: Gott ermöglicht uns einen Raum der Entwicklung. Gutes und Böses lässt er sein, um allen, die in dieses Geschehen verstrickt sind, ihre Entwicklungschancen zu geben. Die Freiheit des Menschen wird unbedingt gewahrt und doch bleibt die Hoffnung, dass einmal noch alles gut wird. Alles ist in der Hand dessen, der einmal wiederkommt. Jeder von uns kann dann auch eigenes Versagen und Schuld besser annehmen, weiß er doch, dass Gott ihm noch jede Chance gibt, daraus zu lernen und einen anderen Weg einzuschlagen.

Als ich bei der Predigtvorbereitung dieses Gleichnis zum ersten Mal gelesen habe, hat sich mir noch ein Bild aufgedrängt. Für die Situation unserer Kirche heute ist dieses Bild von Weizen und Unkraut ein sehr notwendiges Bild. Die Kirche in Deutschland, und nicht nur da, ist in eine große Krise geraten, die Erneuerung verlangt. Viel Unkraut hat sich eingeschlichen in die wunderbare Botschaft Gottes. Die einstige Selbstsicherheit, zu wissen, was gut und böse ist und auch zu glauben, auf der richtigen Seite zu stehen, hat sich nur allzu oft in eine große Verunsicherung verwandelt. Gut und Böse in der Kirche werden von vielen Gruppierungen sehr einseitig und wenig kommunikativ propagiert –man wird den Verdacht nicht los, dass wenn man sie machen ließe, auch das Gute mit ausgerissen würde. Die Versuchung auf allen Seiten ist groß, die ungeliebten Menschen mit anderer Meinung aus dieser Kirche hinauszudrängen. Wir haben viele solche Momente erlebt: viele Reformvorschläge wie zum Beispiel das Memorandum der Theologieprofessoren wurden nicht als Diskussionsbeiträge wertgeschätzt, sondern absolut lieblos verrissen. Kritik ist auf beiden Seiten – konservativ oder progressiv – oft genug in gegenseitige Verurteilungen und Schuldzuweisungen abgedriftet. Manche Bischöfe haben ihre Macht missbraucht, um Skandale zu vertuschen und Straftäter zu schützen und auch von ihren eigenen Defiziten abzulenken. Genauso ist der Ton mancher Reformwilligen ins Beleidigende abgerutscht. Ich muss sagen, ich habe mich selber oft genug ertappt, bei diesen Gut- und Böseeinteilungen kräftig mit zu mischen. Und doch sehe ich immer mehr, dass man auch einem guten Anliegen durch Gewalt Schaden zufügen kann und dabei auch die eigenen Ideale verrät.

Der Auslöser, der mich so nachdenklich gemacht hat, war meine Teilnahme am Gesprächsauftakt der Deutschen Bischofskonferenz Anfang Juli in Mannheim. Sehr zornig und am Ende meiner Geduld bin ich dorthin aufgebrochen. Ich wollte endlich mal Gelegenheit bekommen, einigen Vertretern der Amtskirche an den Kopf zu werfen, wie sehr sie das Gottesvolk im Stich lassen. Und doch kam es anders: schnell merkte ich, dass es nicht darum ging, gut und böse zu bestimmen sondern einen gemeinsamen Weg aus diesem Dilemma zu finden. Ich habe erlebt, dass die anwesenden Bischöfe wirklich ins Gespräch kommen wollten. Unsere gemeinsame Sorge um die doch von allen geliebte Kirche hat uns auf Augenhöhe miteinander reden lassen – ich hatte nie den Eindruck, dass ich Repressalien zu befürchten hatte, wenn ich meine Visionen deutlich zu machen versuchte. Gottes Geist wurde spürbar.
Sicher, ich weiß, diese eine Veranstaltung hat keine Probleme gelöst: viele Bischöfe entziehen sich ja auch diesem Gesprächsprozess. Auch ist diesem Gremium nicht genug Macht gegeben, wirklich große Veränderungen schnell zu tätigen. Aber mein Vertrauen ist wieder da – ich habe gemerkt, dass Gott immer noch in dieser Kirche wirkt, dass sein Geist Erneuerungen möglich macht. Dass er Menschen befähigt, mutig für eine andere Zukunft einzutreten – so manche Bischöfe haben mich in ihrem Reformwillen sehr beeindruckt – auch der eine oder andere, von dem ich es nicht wirklich erwartet hatte.
Manchmal braucht es anscheinend – auch wenn es viel kaputt macht – das Unkraut, um jede falsche Selbstsicherheit zu ersticken. Und um wieder neu zu lernen, dass das Reich Gottes nur mit seiner Hilfe, nur in seinem Geist errichtet werden kann.

So lehrt uns das heutige Gleichnis eine neue Demut. Eine Demut, die nicht mehr vom Siegen der eigenen Visionen spricht, eine Demut, die versucht, auf Augenhöhe mit dem anderen in Kontakt zu kommen, und nicht eine, die mit dem Recht des Stärkeren – sei es durch Autorität oder Argumente – zu punkten versucht. Gott ist der Herr der Geschichte – Gott sei Dank!

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3 Antworten auf Vom Unkraut im Weizen – 16. Sonntag im Jahreskreis A

  1. Ameleo sagt:

    Du sprichst mir aus tiefstem Herzen! Dass es sich bei dem „Unkraut“ um Taumellolch handelt, lese ich erst seit kurzem immer wieder. Zuvor hatte ich das Bild eines bunten mit Wild- und Heilkräutern durchwachsenen Feldes. Interessanterweise ist beim Taumellolch umstritten, ob er selbst giftig ist oder ein Pilz, ähnlich dem Mutterkorn, eine systemische Vergiftung der Pflanze verursacht. Das wirft für mich noch über deine Gedanken hinaus ein neues Bild auf die Menschen, die sich von außen betrachtet wie Unkraut verhalten und auf das Unkraut in mir selbst. Und es stellt sich mir die Frage, was mit diesem Gift gemeint sein könnte, dass im schlimmsten Fall tödlich wirkt, allerdings im Fall des Taumellolchs auch heute noch in homöopatischen Dosen seine Heilkraft entfalten kann: bei der Behandlung z.B. von „Schwindel“ …

  2. W. sagt:

    Diese Predigt hat mir sehr gefallen, vor allem der Schluss. Gott ist der Herr der Geschichte. Wissen wir denn wirklich, ob wir Unkraut oder Weizen sind? Ob unsere Rede, unsere Gedanken der Sache Jesu Christi wirklich dienlich sind? Wenn ich erlebe, wie oft Fragen oder Kritik an der Kirche missverstanden wird, wie scheinbar notwendige Veränderungen zu Spaltungen der Gemeinde führt, wie in den heißen Diskussionen Verletzungen und Missverständnisse weder der einen wie der anderen Position dienlich sind, bin ich mir nicht so sicher, was hier als „Unkraut“ ausgerissen werden müsste und bin froh, dass der Herr unserer Kirche Geduld hat und alles wachsen lässt. Und am Ende der Tage wird das Unkraut , gesammelt und sorgfältig gebündelt, Nahrung für das wärmende, reinigende Feuer sein. Auch das ist tröstlich.

  3. Benedikta sagt:

    Der „Herr“ läßt also Weizen und Unkraut miteinander wachsen in Geduld.
    Muß nicht auch die Kiche die Geduld und den Mut haben, Veränderungen neben
    Traditionen zuzulassen?Wir wissen tatsächlich nicht sicher, was Weizen und was
    Unkraut ist. In der „Weltkirche“ muß doch nicht alles Monokultur sein.

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