Hoffnung für die ganze Schöpfung – 15. Sonntag im Jahreskreis A

Zweite Lesung aus dem Brief des Apostels Paulus an die Gemeinde in Rom, Kapitel 8
18 Ich bin überzeugt, dass die Leiden der gegenwärtigen Zeit nichts bedeuten im Vergleich zu der Herrlichkeit, die an uns offenbar werden soll.
19 Denn die ganze Schöpfung wartet sehnsüchtig auf das Offenbarwerden der Töchter und Söhne Gottes.
20 Die Schöpfung ist der Vergänglichkeit unterworfen, nicht aus eigenem Willen, sondern durch den, der sie unterworfen hat; aber zugleich gab er ihr Hoffnung:
21 Auch die Schöpfung soll von der Sklaverei und Verlorenheit befreit werden zur Freiheit und Herrlichkeit der Kinder Gottes.
22 Denn wir wissen, dass die gesamte Schöpfung bis zum heutigen Tag seufzt und in Geburtswehen liegt.
23 Aber auch wir, obwohl wir als Erstlingsgabe den Geist haben, seufzen in unserem Herzen und warten darauf, dass wir mit der Erlösung unseres Leibes als Töchter und Söhne offenbar werden. 

Autorin:
Frau Drösser cBirgit Droesser, Rottenburg, Pastoralreferentin, war tätig im Theol. Mentorat Tübingen, in der Gemeindepastoral und Klinikseelsorge

Die Predigt:
Hoffnung für die ganze Schöpfung

Liebe Leserin, lieber Leser,
für mich ist dieser Text einer der schönsten und verheißungsvollsten in der ganzen Heiligen Schrift: Auch die Schöpfung soll von der Sklaverei und Verlorenheit befreit werden zur Freiheit und Herrlichkeit der Kinder Gottes. (Vers 21) Bitte erschrecken Sie nicht, wenn wir mit einer kleinen Bibelarbeit einsteigen, um genau zu verstehen, was Paulus der Gemeinde in Rom sagen will. In einem weiteren Schritt soll Hildegard von Bingen zu Wort kommen mit Impulsen für unsere persönliche Lebensgestaltung.

Im 8. Kapitel des Römerbriefes führt Paulus aus, wie der göttliche Geist, oder die Geistkraft – so übersetzt die „Bibel in gerechter Sprache“ – im Menschen wirkt. Auf sich allein gestellt und auf seine eigenen Fähigkeiten festgelegt, ist der Mensch nach Paulus nicht in der Lage, Gott zu erfassen. Er ist dem Hang zur Sünde ausgeliefert, Sklave seiner Leidenschaften und Neigungen, der vergänglichen Natur, dem Leiden und letztlich dem Tod unterworfen. Wie kommt er zu dieser Auffassung? Wie wir wissen war Paulus ein gelehrter Jude, der die heilige Schrift in – und auswendig kannte. Daher spielte der Schöpfungsmythos für ihn eine große Rolle: Gott sah alles an, was er gemacht hatte und siehe, es war sehr gut. (Genesis 1,38) Doch dann geriet der Mensch, Adam und Eva, in Versuchung. Sie wollten mehr als alles haben. Sie wollten sein wie Gott, wissend um gut und böse. Als Strafe dafür spricht Gott einen Fluch aus über den Ackerboden. Nur mit Mühen soll sich der Mensch von jetzt an ernähren, die Frau häufig und unter Schmerzen Kinder gebären; von ihrem Mann wird sie unterdrückt werden. Am Ende der Lebensspanne aber steht der Tod: Erde bist du und zur Erde kehrst du zurück. Die Vertreibung des Menschen aus dem Paradies ist nur noch die logische Folge. (Genesis 3, ab Vers 16)

So stellte sich Paulus die Welt dar, von Gott der Nichtigkeit und Vergänglichkeit unterworfen., – aber mit Hoffnung ausgestattet, mit der Hoffnung, dass die Harmonie des Ursprungs zwischen dem Schöpfer und seiner Schöpfung wieder erreicht werden kann. Diese Hoffnung kristallisiert sich im Denkmodell des Paulus um die Person des Gottessohnes Jesus Christus. In ihm hat Gott die zur Sünde geneigte und vergängliche Welt als seinen eigenen Leib angenommen. Jesus von Nazareth – in allem uns gleich außer der Sünde, wie es in einem Hochgebet der Liturgie heißt, – hat in seiner Botschaft und in seinem Handeln bis in die äußerste Konsequenz des Leidens und Sterbens den Willen Gottes vollkommen erfüllt und auf diese Weise die ursprüngliche Einheit zwischen Gott und seinen Geschöpfen wieder hergestellt. Mit der Auferweckung Jesu aus dem Tod spricht Gott erneut sein Ja zu seiner Schöpfung: Siehe, es ist wieder sehr gut!

Wir Menschen aller Zeiten sind mit Jesus Christus durch die Gabe der göttlichen Geistkraft im Glauben verbunden, das wird im Sakrament der Taufe sichtbar, und haben dadurch die Möglichkeit und die Aufgabe selbst neue Menschen zu werden. Wir können hören und verstehen, was er uns sagt, wir können an seinem Beispiel und Leben Maß nehmen und mit ihm, dem ewig Lebendigen, in eine innige Verbindung treten. So schwankt unser Leben zwischen zwei Polen, der sündigen und dem Tod verfallenen Welt einerseits und der Freiheit und Herrlichkeit der Kinder Gottes andererseits, die an denen offen zu Tage tritt, die sich dem Wirken der Geistkraft öffnen. Diesen inneren Zwiespalt, dieses Drama eines jeden Menschenlebens beschreibt Paulus als das sehnliche Warten und Seufzen des Herzens auf Erlösung. Und mit den Menschen seufzt alles, was ist, die Natur mit ihren Tieren, Pflanzen, Meeren und Steinen; sie schreit wie eine Frau in ihren Geburtswehen und hofft, dass durch das Handeln der geisterfüllten Menschen und um ihrer Willen, Gott alles zum Guten wenden möge. Je mehr sich die von Christus begeisterten Menschen seiner Kraft überlassen, umso eindeutiger wird die Freiheit und Herrlichkeit der Kinder Gottes an ihnen zur Geltung kommen und auf die ganze Welt ausstrahlen. So weit der Apostel Paulus.

Zwar kann ich nicht glauben, dass Leiden, Krankheit, Vergänglichkeit und Tod wie in der Schöpfungserzählung als Strafe Gottes zu verstehen sind. Das widerspricht für mich dem Gottesbild, das Jesus vermittelt hat. Für ihn ist Gott derjenige, der seine Sonne aufgehen lässt über Gute und Böse. Wir sind in Gottes Liebe geborgen und dürfen uns mit allen Anliegen vertrauensvoll an ihn wenden. Also kann er nicht Täter sein, der Krankheit und Gesundheit, Glück und Leid, Unfälle und Naturkatastrophen den einzelnen zumisst. Die Frage nach dem Warum der Zerbrechlichkeit des Lebens muss letztlich offen bleiben. Jede Deutung ist eine Anmaßung dem Leidenden gegenüber. Zu verstehen suchen, was ein Unglück, schweres Leid, Schmerz und Verzweiflung uns eventuell sagen und aufzeigen können, dass muss jedem selbst überlassen bleiben.

Aber dieses Bild der in Geburtswehen liegenden Welt spricht mich sehr stark an. Dazu die lebendige Hoffnung, dass die Leiden dieser Zeit nichts bedeuten im Vergleich zu der Herrlichkeit, die an uns offenbar werden soll. Denn dass die ganze Schöpfung leidet, zu einem ganz großen Teil durch unsere Entscheidungen und unser Handeln, kann wohl niemand bestreiten. Die Beispiele dafür sind jeden Tag in den Medien zu vernehmen. Da ist nicht nur der strahlende Atommüll, die Verschmutzung der Meere, die Verseuchung der Nahrungsmittel mit Dioxin, da sind ganz in unserer Nachbarschaft auch Haustiere, die nicht artgerecht gehalten werden. Ein Tier wird angeschafft zum Kuscheln und Liebhaben, damit das Kind einen Spielgefährten hat oder ein exotisches Tier aus Angeberei. Und dann befasst sich niemand mit der Eigenart und den Bedürfnissen dieses Lebewesens. Es muss den Familienstress teilen und in Langeweile darauf warten, bis sich wieder einmal jemand mit ihm abgibt. In den schlimmsten Fällen wird es einfach ausgesetzt, wenn man in die Ferien fahren will, ohne sich die Mühe zu machen, das jetzt lästige Anhängsel angemessen unterzubringen. Ein Mensch, der sich der göttlichen Geistkraft öffnet, kann sich nicht so gedankenlos verhalten. Er wird Verantwortung übernehmen und weder einem Tier und schon gar nicht einem Kind oder einem anderen abhängigen Menschen mit Absicht etwas Schlimmes antun. Wer sich vom Geist Gottes leiten lässt, weiß auch, dass er nicht Herr über die Erde ist, die man für den eigenen Profit und Wohlstand nach Belieben ausbeuten kann. Sie ist kein Selbstbedienungsladen für die privilegierte Minderheit dieser Erde, noch dazu ohne zu bezahlen.

Ist es nicht ein großartige Vision unseres Glaubens, dass alle Lebewesen, ja alles, was ist, in die Hoffnung auf Befreiung einbezogen wird? Alles ist Teil eines Ganzen, nämlich der einen Schöpfung Gottes. Und deshalb hängt alles bis in die feinsten Verästelungen mit allem zusammen. Mit wunderbaren Worten und Bildern hilft uns die große Meisterin des Mittelalters, die Benediktinerin Hildegard von Bingen(1098 – 1179) Wege zu finden, um die Freiheit und Herrlichkeit der Kinder Gottes in unserem eigenen Leben wirklich erfahren zu können, auch wenn es immer nur bruchstückhaft gelingen kann. Hildegard zeigt uns, wie die Hinwendung zu Gott zugleich aus Überforderung, Traurigkeit und Selbstzweifel in die eigene Mitte führt. Denn je mehr sich der Mensch seiner eigenen Schwäche bewusst wird und voll Vertrauen nach Gottes Hilfe ausstreckt, umso spürbarer kommt ihm Christus mit seiner stärksten Macht, dem Erbarmen, entgegen. Sich trotz aller Unzulänglichkeiten als Gottes geliebtes Kind annehmen zu können, führt zu größerer innerer Harmonie und Gelassenheit. Lange vor unserer Zeit hat Hildegard bereits erkannt, dass Seele und Leib miteinander in Wechselwirkung stehen. Spirituelles Wachstum hat daher positive Auswirkungen auf die Gesundheit. Das Seufzen des Herzens ist für Hildegard Ausdruck empfundener Reue über alles, was ich in meinem eigenen Leben als falsch erkenne. Es kommt darauf an, aufzubrechen und zum Vater zu laufen, damit Christus, der große Arzt, heilsame Veränderungen im Menschen anbahnen kann. Wenn jemand krank ist, kann ohne Mitwirkung des Patienten keine Heilung erreicht werden. Immer ist dabei der ganze Mensch angesprochen. In allen Belangen vom Freizeitverhalten über die Arbeit, Wachen und Schlafen, Essen und Trinken bis zur Sexualität muss er lernen, Ordnung in seine Lebensführung zu bringen, zu gestalten und das richtige Maß für sich zu finden. Bei Hildegard, der Natur- und Heilkundigen, sind viele nützliche und wohltuende Rezepte zu finden, doch können die Kräuter und Nahrungsmittel ihre Heilkraft nur dann entfalten, wenn sie in Dankbarkeit gegenüber dem Schöpfer gebraucht werden. Und etwas vom Schönsten im Zusammenhang mit dem heutigen Thema: Wenn ein Mensch möglichst gut im Einklang mit sich ist, entsteht eine positive Resonanz, die sich aufbauend und heilsam auf seine Umwelt auswirkt.

Die größte Gabe aber ist nach Hildegards innerer Schau die heilige Geistkraft als eine starke Energie, die den ganzen Kosmos erfüllt und aus dem Herzen Gottes strömt. Hildegard nennt die Wirkung dieser Kraft nobilissima viriditas, alleredelste Grünheit. Sie wirkt in allem Lebendigen, im Grün der Pflanze, in den Erneuerungsprozessen des Blutes und der Körperzellen, aber auch in der Seele und in den guten Werken. Sie ist die Symbolfarbe der Hoffnung. Höchste Erfüllung des Menschseins wäre es nach Hildegard, dem Schöpfer mit dem eigenen Leben eine grünende Antwort zu geben, indem wir dem Leben in jeder Gestalt und Form Aufmerksamkeit schenken, es verehren und schützen.

Sei ein treuer Freund deiner Seele! Denken wir an diesen guten Rat, den uns Hildegard mitgibt, wenn wir in diesen schönen Sommerwochen im Garten sitzen oder durch die Wälder streifen. Nehmen wir das Grün Pflanzen und Bäume in vollen Zügen in uns auf. Es wird uns und damit allem sicher gut tun. Amen
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Lesetipps:
Ursula Klammer, Hildegard von Bingen – Wenn es um Gesundheit geht, Kevelaer ² 2008, Taschenbuch
Ingrid Riedel, Mystik des Herzens, Freiburg 2010

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