Wenn ich weder ein noch aus weiß – 19. Sonntag im Jahreskreis B

Erste Lesung aus dem ersten Buch der Könige, Kap. 19
4 In jenen Tagen ging Elija eine Tagereise weit in die Wüste hinein. Dort setzte er sich unter einen Ginsterstrauch und wünschte sich den Tod. Er sagte: Nun ist es genug, Herr. Nimm mein Leben; denn ich bin nicht besser als meine Väter.
5 Dann legte er sich unter den Ginsterstrauch und schlief ein. Doch ein Engel rührte ihn an und sprach: Steh auf und iss!
6 Als er um sich blickte, sah er neben seinem Kopf Brot, das in glühender Asche gebacken war, und einen Krug mit Wasser. Er aß und trank und legte sich wieder hin.
7 Doch der Engel des Herrn kam zum zweiten Mal, rührte ihn an und sprach: Steh auf und iss! Sonst ist der Weg zu weit für dich.
8 Da stand er auf, aß und trank und wanderte, durch diese Speise gestärkt, vierzig Tage und vierzig Nächte bis zum Gottesberg Horeb.

Autorin:
Silke Weihing Silke Weihing, Pastoralreferentin im Schuldienst, verheiratet, zwei Kinder, immer wieder als Aushilfe bei Gottesdiensten in der JVA für Frauen in Schwäbisch Gmünd tätig

 
Die Predigt:
Wenn ich weder ein noch aus weiß
Gottesdienst in der Frauenvollzugsanstalt Gotteszell in Schwäbisch Gmünd

Liebe Leserin, lieber Leser,
Ich kann nicht mehr!
Ich mag nicht mehr!
Schluss, aus und vorbei!
Ich bin total fertig!
Da geht nichts mehr!
Ich bin fertig – müde – ausgebrannt!!!

Ich vermute, wenn Sie solche Sätze hören, geht auch bei Ihnen sofort das Kopfkino los und Ihnen fallen Situationen ein, in denen Sie genau so etwas gedacht haben. Wann war das?

Erinnern Sie sich an einen Punkt, an eine Situation, eine Begebenheit in Ihrem Leben, in der Sie genau das gedacht haben? Bis hierher und nicht weiter!

Es gibt ja Menschen, die scheinen immer gut drauf zu sein, die sind den ganzen Tag witzig und entspannt, denen scheint nichts und niemand etwas anhaben zu können. Aber ich bin mir sehr, sehr sicher: auch solche Menschen haben schon solche Momente erlebt. Kein Mensch kann immer nur gut gelaunt sein und fröhlich durchs Leben gehen. Das kann ich nicht glauben!

Natürlich liegt die Schmerz-Grenze da bei jedem Menschen woanders – was den einen schon umkippt und völlig aus der Bahn wirft, steckt der andere noch locker weg. Aber dass jemand gar nie an seine Grenze kommt, das kann ich mir nicht vorstellen. Aber uns soll es ja jetzt auch nicht um irgendwelche andere Personen gehen, über deren Leben und Grenzen wir jetzt nachdenken, sondern wir wollen einmal ganz bewusst bei uns selber bleiben. Überlegen Sie einmal für sich: wann waren Sie das letzte Mal in einer Situation, in der Sie das Gefühl hatten, dass Sie einfach fertig und am Ende sind?

Mir sind auf Anhieb viele solche Situationen eingefallen, von denen ich ein paar nennen möchte:
– Mütter und Väter von kleinen Kindern kommen immer wieder in solche Situationen, wenn die Kleine mal wieder nicht schläft oder wenn einen der Sprössling durch sein Verhalten an die Grenze bringt
– Oder im durchgetakteten Berufsalltag, wenn der Druck immer noch mehr zunimmt – irgendwann geht einfach nicht mehr MEHR – Burn Out ist mittlerweile eine sehr verbreitete Krankheit und zeigt, dass Menschen einfach nicht lange Zeit über ihre persönliche Grenze an Belastung und Beanspruchung gehen können:
– Wenn der Partner oder die Partnerin die Beziehung beendet
– Wenn eine mir nahe stehende Person stirbt
– Wenn ich krank bin und es einfach nicht mehr so geht, wie ich das gerne hätte
– Wenn ich mich voll in eine Sache hineingebe, mich total anstrenge… und dann klappt es nicht
– Ja und schließlich noch die besondere Situation, in der Sie alle hier zurechtkommen müssen: auf engem Raum mit vielen Menschen, die man sich nicht selbst ausgesucht hat, mit vielen Regeln und Bestimmungen, die man einhalten muss, sehr oft auch auf sich selbst zurückgeworfen und mit dem eigenen Verhalten und der eigenen Geschichte konfrontiert – das ist ganz bestimmt auch nicht einfach und bringt Sie vielleicht auch das eine oder andere mal an den Punkt, an dem sie sagen: ich kann nicht mehr!

Genauso ergeht es auch einer Gestalt aus der Bibel, von der wir jetzt hören wollen: der Prophet Elija erlebt so etwas auch. Er ist ein Mann Gottes, der sich mit vielen Menschen seiner Zeit angelegt hat. Er hat dafür gesorgt, dass 450 Propheten des gegnerischen Gottes Baal als Lügner und Schwindler entlarvt und sogar getötet werden. Er hat wirklich alles dafür getan, dass die Menschen erkennen, wer ihr wahrer Gott ist und dies unter Einsatz seines eigenen Lebens. Aber nachdem er die feindlichen Propheten zur Strecke gebracht hat, muss er fliehen, da der König ihn deswegen verfolgt und ihn umbringen lassen will. Elija flieht daher in die Wüste. Zum einen als Schutz, zum anderen aber wohl auch als Symbol für seinen eigenen inneren Zustand.
Doch hören wir nun seine Geschichte direkt aus der Bibel:

Schriftlesung 1 Kön 19, 4 – 8

Es ist genug, ich mag nicht mehr leben!
Dieses Gefühl der totalen Resignation, des völligen Ausgebranntseins kennt also auch ein Mann, von dem man denken könnte, dass ihm nichts und niemand etwas anhaben könnte. Er ist ein Mann Gottes, einer, der sein ganzes Leben für seinen Glauben aufs Spiel setzt. Einer, der durch seinen starken Glauben doch eigentlich genug Kraft haben sollte, um auch solche Situationen durchstehen zu können. Aber auch so jemand kennt es, am Ende zu sein. Auch er kommt an seine Grenze und will einfach alles hinschmeißen. Ja, mehr noch, er wünscht sich den Tod. Aber das lässt Gott nicht zu. Er schickt einen Engel.

Was heißt das? Er schickt jemanden, der Elija in seinem Auftrag wieder aufrichtet, ihn stärkt und ihm neuen Lebensmut schenkt. Und die Zeichen, mit denen dies passiert, sind etwas ganz Einfaches: Brot und Wasser. Nichts Außergewöhnliches, keine Riesensache. Allein Brot und Wasser genügen, um Elija nicht völlig verzweifeln zu lassen. Brot und Wasser sind Lebens-Mittel und in diesem Fall sind sie not-wendig!
Steh auf und iß, sonst ist der Weg zu weit für dich!
Wenn wir das auf unsere vorher überlegten eigenen Situationen übertragen:
Wer ist in meinem Leben ein Engel, der mir in so einer schwierigen Situation nahe ist, mir beisteht? Habe ich jemanden, der da ist, auch – oder gerade – wenn es mir dreckig geht?
Und andersherum: für wen kann ich so ein Engel sein, der spürt, wenn es jemand anderem nicht gut geht, wenn jemand am Boden zerstört ist und Hilfe braucht? Oder vielleicht auch nur jemanden, mit dem er oder sie reden kann. Und schließlich: was ist für mich Brot und Wasser? Woraus ziehe ich neue Kraft, neue Energie, neuen Mut, wenn es mir nicht gut geht? Was sind meine Kraftquellen?
Denken wir über diese Fragen doch einmal in ein paar Momenten der Ruhe für uns ganz persönlich nach:
– Ruhige Orgelmusik –

Elija geht es nicht gut. Er hat alles gegeben, aber genau das bringt ihn an seine Grenze. Er kann nicht mehr! Und genau das alles bringt er vor seinen Gott. Er frisst diese schwierige Situation nicht in sich hinein, sondern schmeißt sie sozusagen Gott vor die Füße. Und er nimmt Gott auch in die Pflicht: für dich hab ich alles das getan und trotzdem geht es mir jetzt so scheiße!

Das finde ich persönlich ein tolles Vorbild: gerade wenn ich weder ein noch aus weiß, dann darf ich auch das meinem Gott sagen und anvertrauen. Ich muss meinen Ärger, meine Wut, meine Ohnmacht, meine Ausweglosigkeit nicht in mich rein fressen, nicht runterschlucken. Auch wenn ich vielleicht sonst niemanden habe, dem ich mich anvertrauen kann: Gott kann ich es hinhalten, ihm kann ich es sagen.
Und ihn bitten, es zu wandeln.
Und einen Engel zu schicken, der mich stärkt.
Ich wünsche uns allen, dass wir in Zeiten der inneren Not genau diese Erfahrung machen dürfen. Und damit spüren, dass der Gott des Lebens es ernst meint, dass er mit uns geht, durch alle Höhen und Tiefen.

Von solch ausweglosen und schweren Situationen, für die wir Gott um seine Wandlung bitten, davon singt auch ein Lied, das wir jetzt miteinander singen wollen.

Lied aus dem Gotteslob, Nr. 437, 1-3
Meine engen Grenzen
1. Meine engen Grenzen, meine kurze Sicht
    bringe ich vor Dich: [:Wandle sie in Weite;
    Herr erbarme dich. Wandle sie in Weite;
    Herr erbarme dich. :]
2. Meine ganze Ohnmacht, was mich beugt und hemmt,
    bringe ich vor Dich: [:Wandle sie in Stärke;
    Herr erbarme dich. Wandle sie in Stärke;
    Herr erbarme dich, :]
3. Mein verlor’nes Zutrau’n, meine Ängstlichkeit
     bringe ich vor Dich: [:Wandle sie in Wärme;
     Herr erbarme dich. Wandle sie in Wärme;
     Herr erbarme dich. :]
4. Meine tiefe Sehnsucht nach Geborgenheit
     bringe ich vor dich: [:Wandle sie in Heimat;
     Herr, erbarme dich. Wandle sie in Heimat;
     Herr, erbarme dich. :]

Text: Eugen Eckert 1981
Melodie: G. Fleischer 2006

– Überleitung –
Gott unser Leben bringen, all das Schöne, Gute, Gelungene, aber genauso auch das Schwere, das Unvollendete, das Missglückte – das tun wir im Gottesdienst auch immer in der Gabenbereitung, wenn wir alles zum Altar bringen, symbolisch dargestellt in Brot und Wein. Wir bringen es und bitten Gott, es anzunehmen, uns in allem, was wir erleben, zu begleiten und es zu wandeln.

Dazu ein Text von Andrea Schwarz:
Wir bringen dir unser Leben

Wir bringen dir das Brot unseres Alltags
das nicht immer leicht zu leben ist
manchmal ist es hartes Brot
Leben ist nicht immer einfach
das Brot unseres Alltags
sind auch die Körner die zermahlen werden
das sind die Träume die sterben müssen
und Pläne die durchkreuzt werden
Hoffnungen die nicht erfüllt werden
das ist Mühsal und Arbeit
und das ist unser Hunger und unsere Sehnsucht

Unser Leben ist manchmal so leer wie der Kelch
der jetzt auf dem Altar steht
wir haben den Sinn verloren
wir wissen nicht mehr weiter
wir spüren unsere Einsamkeit
und manchmal ist unser Leben ein Schrei danach
von dir gefüllt zu werden

Und dann sehnen wir uns danach
dass du den Wein des Lebens in uns eingießt
dann sehnen wir uns danach
dass du uns erfüllst
mit Leben und Lebendigkeit
mit Lebensfreude und Lebensfest
und dann wünschen wir uns
das Leben das du uns verheißen hast
den Wein der Freude
das Fest das du uns zugesagt hast

Aus: Andrea Schwarz, Du Gott des Weges segne uns. Gebete und Meditationen.
Herder Verlag, Freiburg Basel Wien 2008
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Eine Antwort auf Wenn ich weder ein noch aus weiß – 19. Sonntag im Jahreskreis B

  1. Walter sagt:

    es heisst, dass die meisten von der tödlichen Kugel getroffenen Soldaten zuletzt nicht nach der Mutter, sondern „Sch…!“ schreien .
    Die „Zeugen“ berichten vom Menschensohn: “ … mein Gott, warum hast Du mich verlassen ?“
    Vielleicht brauchen wir die Ohnmacht, um über die Gnade der Barmherzigkeit – wieder- zu uns selbst zu finden.

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